junge Welt, 19.09.2002,
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Frankreichs Regierung hat in der vergangenen Woche eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben beschlossen. Demnach soll der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 1,8 auf 2,3 Prozent steigen. 40 Milliarden Euro verschlingt das Programmgesetz für die Verteidigung von 2003 bis 2008. Die Pläne der Linksregierung, das Haushaltsdefizit bis 2004 auf Null zu senken, hat die neue Regierung damit verworfen. Seit Juni ist in Paris eine rechts-bürgerliche Regierung im Amt. Das Finanzministerium rechnet im nächsten Jahr mit einem Haushaltsdefizit von 2,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Der größte Teil des Geldes soll für einen zweiten Flugzeugträger verwendet werden, der bis 2012 fertig sein soll. Wie Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie sagte, prüfe Frankreich eine Zusammenarbeit mit Großbritannien beim Bau des neuen Flugzeugträgers. Großbritannien baut selber an seinen ersten beiden Flugzeugträgern, von denen der erste ebenfalls im Jahr 2012 in Betrieb genommen werden soll. Von einer Zusammenarbeit verspricht sich Alliot-Marie finanzielle Einsparungen.
Der französische Präsident Jacques Chirac hat außerdem nach Angaben von Alliot-Marie den anderen EU-Ländern vorgeschlagen, die Ausgaben für das Militär aus der Berechnung des Haushaltsdefizits herauszunehmen, das die EU-Staaten nach Brüssel melden müssen. Der Vertrag von Maastricht sieht vor, daß die Neuverschuldung nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen darf.
Der Vorschlag aus Paris kommt nicht von ungefähr: Chirac hatte vor einiger Zeit gewarnt, die EU könnte wegen der militärischen Übermacht der USA an Einfluß in der Welt verlieren. Der »Krieg gegen den Terror« erweist sich damit auch in Europa als Beschleuniger von Rüstungsvorhaben. Denn Frankreich mußte die Erfahrung machen, daß ein Flugzeugträger für ein Land, das beim weltweiten »Antiterrorkrieg« nicht in der letzten Reihe agierenen will, zu wenig ist. Die »Charles de Gaulle« war drei Monate in Reparatur, bevor sie auf hohe See in Richtung Afghanistan geschickt werden konnte. Diese schwimmenden Festungen werden von Militärs als zentraler Bestandteil der Machtausübung in allen Teilen der Welt angesehen.
Die Rüstungsindustrie registrierte die französische Aufrüstung mit Befriedigung. Jorma Wiitakorpi, Chef des finnischen Unternehmens Patria, nutzte die Gelegenheit und empfahl Europas Regierungen unter Verweis auf Chirac die Produkte seiner Firma: gepanzerte Fahrzeuge und Überwachungssysteme für Grenzanlagen. »Der 11. September hatte einen positiven Effekt für gepanzerte Fahrzeuge, aber es wird seine Zeit brauchen«, sagte Wiitakorpi laut Reuters.
Die europäische Rüstungsindustrie beklagt seit längerem die ihrer Ansicht nach zu geringen Militärausgaben in Europa sowie die »Technologielücke«, die zwischen der US-Armee und den Truppen der europäischen NATO-Staaten klaffe. Der Krieg in Afghanistan hat die Entwicklung von High-Tech-Waffen in den USA nochmals vorangetrieben. So wurden etwa erstmals »Unbemannte Flugkörper« (UAV) mit Bewaffnung eingesetzt.
Darüber hinaus müssen nach jedem Krieg die Waffenkammern wieder aufgefüllt werden – für die Industrie ein einträgliches Geschäft. Die Budgetverwaltung des US-Kongresses beziffert die bisherigen Ausgaben für den »Krieg gegen den Terror« auf 37 Milliarden Dollar. Ein Krieg gegen den Irak könnte noch mal 100 bis 200 Milliarden Dollar kosten. Diese Zahl nannte jetzt ein Berater der Bush-Administration im Wall Street Journal. Gute Aussichten für Waffenproduzenten.
In Europa ist die französische Aufrüstung ein Lichtblick am Horizont der Rüstungslobby. Zwar sahen die NATO-Verteidigungsminister Anfang Juni die Notwendigkeit, die Ausgaben zu erhöhen, Generalsekretär George Robertson forderte bessere Fähigkeiten und gegebenenfalls »zusätzliche Ressourcen für Verteidigung und Sicherheit«. Manche in den NATO sahen sogar die Einsatzbereitschaft des Bündnisses in Gefahr. Konkrete finanzielle Zusagen der einzelnen Mitgliedsstaaten blieben jedoch aus.
Der Vorstoß von Chirac stößt bisher auf wenig Begeisterung. Die EU-Kommission hat sehr diplomatisch geäußert, sie gehe davon aus, daß die Militärausgaben wie gehabt in das Defizit eingerechnet werden. Die BRD, Belgien und Italien lehnten in ersten Stellungnahmen den Vorschlag ab. In Berlin galt bisher, daß die technologische Modernisierung des Militärs vor allem durch Einsparungen gemeistert werden könne. Vor der Wahl dürfte sich daran nichts ändern.
Einige schon geplante Rüstungsprojekte wie die Rakete Meteor, die als Bewaffnung des Eurofighters eingesetzt werden soll, sind bisher nicht finanziert. Trotz Hochwasserschäden hat es aber doch zur Finanzierung eines neuen Panzers für die Bundeswehr gereicht. Bis zu 2,5 Milliarden Euro soll das Projekt kosten. In Frankreich werden trotz Erhöhung des Militäretats Tausende Lehrerstellen gestrichen. Die oppositionellen Sozialisten sprachen deshalb von einer »regelrechten Provokation«.
Autor: Dirk Eckert