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In Syrien tobt der Bürgerkrieg, im Osten des Landes sowie im benachbarten Irak wütet die Terrormiliz Islamischer Staat, der wiederum eine Staatenkoalition unter Führung der USA den Krieg erklärt hat. Im Westen, vor der Küste der Levante, spielt sich derweil eine ganz andere Auseinandersetzung ab: ein Streit um die gerade erst entdeckten Erdgas- und Erdölvorkommen im östlichen Mittelmeer. Im Zentrum des Konflikts liegt Zypern, mit dem sich immer mehr Mittelmeeranrainer gegen die Türkei verbünden.
Die vor Zypern entdeckten Gas- und Erdölvorkommen sollen sich auf schätzungsweise 3,4 Billionen Kubikmeter Gas sowie 1,7 Milliarden Barrel Öl belaufen. Für das kleine Land tut sich damit eine unverhoffte Einnahmequelle auf: Bereits 2018 oder 2019 soll erstmals Gas fließen, später soll es auch exportiert werden. Der Inselstaat hat sich bereits mit dem Libanon, Israel und Ägypten darüber geeinigt, wo die jeweiligen Seegrenzen verlaufen und wem demnach welche Vorkommen gehören. Nur mit der Türkei gibt es keine Einigung, da Ankara den griechischen Teil Zyperns nicht anerkennt. Ankara pocht darauf, dass auch der türkische Norden Zyperns von den Vorkommen profitieren müsse.
Doch juristisch hat die Türkei wenig gegen Zypern in der Hand. Das türkische Nordzypern ist international nicht anerkannt. Auch dass Zypern in seinen Hoheitsgewässern Erdgas fördert und damit seine exklusive Wirtschaftszone nutzt, wird von den meisten Völkerrechtlern als unproblematisch angesehen. Der zyprische Abgeordnete Kyriakos Triantaphyllides warf deswegen der Türkei bereits 2011 im Europaparlament vor, internationales Recht zu verletzen.
O-Ton Triantaphyllides (overvoice)
„Die UN-Seerechtskonvention ist von der EU ratifiziert worden. Insofern ist sie Teil des EU-Regelwerks, das die Türkei wie alle EU-Beitrittskandidaten akzeptieren muss. Doch stattdessen ignoriert Ankara die Seerechtskonvention. Die Türkei unterminiert die Rechte eines souveränen Staates und Gemeinschaftsrecht. Mit einseitigen Aktionen eskalatiert die Türkei den Konflikt. Sie stört die Wiedervereinigungsgespräche in Zypern. Die Türkei trägt so zu großer Instabilität im östlichen Mittelmeer bei.“
Von einer Einigung sind beide Seiten auch heute noch weit entfernt. Stattdessen setzt die Türkei auf Muskelspiele und hat kürzlich neue, bisher nicht veröffentlichte Einsatzregeln für die Marine in Küstengewässern erlassen. Außerdem droht sie Investoren in Zypern mit Sanktionen und sucht auch selbst nach Erdgas- und Erdölvorkommen. Die letzte derartige, militärisch begleitete, Exploration fand genau in dem Gebiet statt, wo das italienisch-südkoreanische Konsortium ENI-Kogas tätig ist. Zypern warf der Türkei deshalb eine „Provokation“ vor und setzte die Gespräche über die Wiedervereinigung der Insel aus, die seit 1974 geteilt ist. Die Gespräche verlaufen bislang zwar ohnehin erfolglos, trotzdem hat der Rohstoff-Streit damit seinen ersten diplomatischen Schaden verursacht.
Die Entdeckung von Erdgas hat die politische Lage im östlichen Mittelmeer mittlerweile gründlich verändert. Die Regierungen von Ägypten, Griechenland und Zypern verabredeten bei einem Treffen im November in Kairo, in Energiefragen zusammenzuarbeiten. Damit gibt es eine Art Allianz gegen die Türkei, auch wenn in Kairo betont wurde, die Zusammenarbeit richte sich nicht gegen ein anderes Land.
Außerdem tritt Israel als neuer Player im Rohstoffgeschäft auf: Das Land hat vor seiner Küste ebenfalls Erdgas gefunden. Das Tamar-Feld mit seinen schätzungsweise mindestens 250 Milliarden Kubikmetern Erdgas ist inzwischen in Betrieb, auf dem Leviathan-Gasfeld soll ab 2017 Erdgas gefördert werden. War Israel früher von Energieimporten abhängig, so ist es in den vergangenen Jahren – weitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit – zum Selbstversorger und Gasexporteur geworden. Im Oktober kündigte Israel an, Erdgas nach Ägypten zu exportieren – und zwar durch dieselbe Pipeline, durch die Ägypten jahrelang Erdgas nach Israel geliefert hat.
Israel könnte mit seiner Marine auch noch als eine Art Sicherheitsdienstleister im Mittelmeer auftreten. Kürzlich gab die deutsche Bundesregierung bekannt, Israel beim Kauf von vier deutschen Korvetten mit 115 Millionen Euro zu unterstützen. Tatsächlich dienen die Schiffe laut einem geheimen Schreiben der Bundesregierung, über das die „Bild am Sonntag“ berichtete, zur Sicherung der – Zitat – „Wirtschaftszone im Mittelmeer“. Solche Schiffe wären natürlich auch geeignet, um Gas- und Öl-Förderanlagen im Mittelmeer zu schützen – etwa vor der libanesischen Hisbollah. Allerdings könnten die Korvetten auch auf türkische Kriegsschiffe treffen. Zypern und Israel arbeiten inzwischen militärisch zusammen und führen auch gemeinsame Seemanöver durch.
Der Streit zwischen Zypern und der Türkei bringt EU und NATO in eine Zwickmühle. Als EU-Mitglied bekommt Zypern natürlich europäische Unterstützung: Zum aktuellen Streit erklärten die EU-Staats- und Regierungschefs, die Türkei habe Zyperns souveräne Rechte in seinen Hoheitsgewässern zu respektieren. Aber die Türkei ist nicht nur EU-Beitrittsaspirant, sondern vor allem auch ein Mitglied der NATO. So versuchte US-Vizepräsident Joe Biden im November in der Frage zu vermitteln.
O-Ton Biden (overvoice)
„Ich war neulich in Zypern. Als höchster US-Repräsentant seit fünf Jahrzehnten. Denn ich will Zypern ermutigen, seine Energieressourcen zu entwickeln, in Zusammenarbeit mit allen – allen – seinen Nachbarn. Und ich habe klargemacht, dass alle profitieren, wenn alle Anrainer des östlichen Mittelmeeres kooperieren, um ein Umschlagplatz für Erdgas zu werden.“
Biden sprach nicht irgendwo, sondern in Istanbul, auf einer Konferenz der renommierten Washingtoner Denkfabrik Atlantic Council . Energie müsse ein Hilfsmittel sein, um Kooperation, Stabilität und Wohlstand zu fördern, mahnte er dort:
O-Ton Biden (overvoice)
„Heute können die Energievorkommen im östlichen Mittelmeer eine wichtige strategische und ökonomische Dividende bringen. Für die Region selbst, aber auch für Europa als Ganzes. Regional können sie wachsende Stabilität und Wohlstand bringen, wenn Israel, die Türkei, Ägypten, Griechenland und Zypern zusammenarbeiten – und hoffentlich eines Tages auch der Libanon. Europa hätte die Möglichkeit, auf neue Versorger zurückzugreifen. Die Energiesicherheit würde sich verbessern, indem die Energieimporte diversifiziert werden.“
Unklar ist allerdings noch, wie Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer nach Europa exportiert werden kann. Möglich wäre der Bau eines Gasverflüssigungsterminals – in Zypern oder Israel. Oder es werden bestehende Terminals in Ägypten genutzt. Möglich, aber sehr teuer, wäre auch der Bau einer Pipeline nach Griechenland. Der direkte und billigere Weg von den zyprischen und israelischen Gasfeldern über Zypern in die Türkei wird offenbar nicht ernsthaft erwogen.
Eine Zusammenarbeit, wie sie Vizepräsident Biden beschworen hat, ist derzeit nicht in Sicht. Der einzige, kleine Lichtblick war das Treffen des griechisch-türkischen Regierungsrates im Dezember: Beide Seiten verständigten sich dort auf den Abbau von Spannungen. Allerdings räumten sie auch „substanzielle Meinungsverschiedenheiten“ ein, was die Hoheitsrechte in der Ägäis und vor Zypern betrifft. So schwelt im Südosten Europas ein Konflikt, den angesichts der Kriege in Nahost eigentlich keiner braucht.
Autor: Dirk Eckert
Quelle: http://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript516.pdf
MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20150306-1347-5942.mp3