Rüstungskontrolle für den Weltraum – Aussichtslose EU-Initiative?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 24.08.2013

NDR Radio

Wenn wir im Internet surfen, Fernsehen schauen, mit dem Handy telefonieren oder wenn wir uns im Urlaub von unserem GPS-gesteuerten Navigationssystem leiten lassen – immer sind es Satelliten, die die Daten dafür liefern. Ohne den Weltraum geht im zivilen Leben nichts mehr. Aber auch das Militär nutzt Weltraumtechnik, zum Beispiel zur Aufklärung oder Navigation. Und das macht das All zu einem potenziellen Kampffeld, sagt Max Mutschler von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP):

O-Ton Mutschler

„Bereits heute ist der Weltraum schon stark militarisiert. D.h. Satellitentechnologie aus dem Bereich Erdbeobachtung, Navigation, Kommunikation wird schon seit langer Zeit militärisch genutzt. Das heißt aber auch, dass solche Satelliten immer attraktivere Ziele werden, um sie mit sogenannten Antisatellitenwaffen auch zu stören oder sie eventuell sogar zu zerstören.“

Rüstungsexperten fordern deshalb, dringend eine wirkungsvolle Rüstungskontrolle für den Weltraum zu schaffen. Ansonsten drohe ein Rüstungswettlauf im All mit Anti-Satelliten-Waffen. Mögliche Weltraumwaffen gegen Satelliten sind Mikrosatelliten, sogenannte Kill-Vehicles und Boden-Luft-Raketen oder weltraumgestützte Laserwaffen. Durch den Weltraumvertrag von 1967 ist lediglich die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im All verboten, kritisiert Mutschler:

O-Ton Mutschler

„Darüber hinaus regelt er recht wenig, was den Einsatz und auch die Stationierung von konventionellen, also Nicht-Massenvernichtungswaffen im Weltraum angeht. Hier müsste das Weltraumrecht erweitert werden.“

Doch ein neues Rüstungskontrollabkommen für den Weltraum liegt in weiter Ferne, die Verhandlungen treten seit Jahren auf der Stelle. Grund sind die Interessenunterschiede zwischen den Großmächten. Die Vereinigten Staaten als führende Raumfahrtnation weigern sich seit Jahren, irgendwelche Beschränkungen zu akzeptieren, und setzen auf ihren technologischen Vorsprung, um die Überlegenheit im Weltall zu behalten.

Besonders stur war die US-Regierung unter George W. Bush. Während seiner Präsidentschaft waren Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle verpönt. Stattdessen setzte die Bush-Administration darauf, den Weltraum allein zu kontrollieren. Die eigene Überlegenheit sollte so groß werden, dass die USA notfalls jedem Gegner die Nutzung des Weltraums unmöglich machen können. Außerdem lehnte die Bush-Administration alle Verträge und Vereinbarungen ab, die die Vereinigten Staaten bei der Nutzung des Alls einschränken könnten. Ohne die USA als größte Raumfahrtnation kann aber natürlich keine Rüstungskontrolle im All funktionieren.

Russland und China haben dagegen 2008 einen eigenen Entwurf für einen Rüstungskontrollvertrag im Weltraum vorgelegt. Sie schlugen vor, Waffen im All und Angriffe auf Satelliten zu verbieten, nicht aber auf der Erde stationierte Anti-Satellitenwaffen. Das passte genau zu den militärischen Fähigkeiten Chinas, das 2007 einen eigenen ausgedienten Wettersatelliten in 865 Kilometern Höhe mit einer Rakete abgeschossen hatte. Die USA lehnten den Vorschlag prompt ab. Max Mutschler:

O-Ton Mutschler

„Zum einen sind die USA der Ansicht, dass sie als diejenige Nation mit der fortgeschrittensten Weltraumtechnologie am meisten davon profitieren, wenn der Weltraum zumindest im waffentechnischen Bereich nicht stärker verregelt wird. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Staaten wie China, die ebenfalls ein Interesse an Weltraumwaffen entwickelt haben, weil sie denken, dass ihnen das Möglichkeiten an die Hand gibt, gerade technologisch überlegene Staaten wie die USA auch an einer Schwachstelle zu treffen.“

Mit dem Abschuss des Wettersatelliten hatte China nicht nur seine Macht demonstriert. Die Zerstörung sorgte auch dafür, dass die Menge des Weltraumschrotts im All massiv anstieg. Das mag sich vergleichsweise trivial anhören, ist aber das aktuell dringendste Problem im Weltraum. Denn in mehr als fünfzig Jahren Raumfahrt hat sich jede Menge Satellitenschrott angesammelt.

Schon die Zerstörung eines einzigen Satelliten lässt die Menge des Weltraumschrotts deutlich ansteigen: Bei dem chinesischen Satelliten-Abschuss 2007 entstanden etwa 3.000 neue Trümmerteile. Fehlende Rüstungskontrolle hat so zu einer direkten Zunahme des Weltraumschrotts geführt. Das amerikanische Weltraumüberwachungssystem „Space Surveillance Network“ (SSN) hat mittlerweile insgesamt 16.000 Schrotteile im All erfasst und verfolgt 6.000 weitere. Und das sind nur die Objekte von mehreren Zentimetern Größe. Die Zahl der kleineren Fragmente geht in die Hunderttausende. Wegen der Geschwindigkeit, mit der sie sich durchs All bewegen, können auch kleine Bruchstücke katastrophale Zerstörungen anrichten. Ein Zentimeter große Objekte zum Beispiel haben beim Aufprall die Zerstörungswirkung einer Handgranate.

Der meiste Weltraumschrott ist bei Zusammenstößen und Explosionen entstanden. Die Menge hat nach Ansicht von Fachleuten das Potenzial, die Raumfahrt ernsthaft in Gefahr zu bringen. Die Internationale Raumstation ISS etwa musste im Januar 2012 ein Ausweichmanöver fliegen, weil ihr ein Trümmerteil von der Größe eines Tennisballs entgegenkam. Ist die Situation zu gefährlich, bringt sich die Besatzung auch schon mal in einer Sojus-Kapsel in Sicherheit, um im Kollisionsfall fliehen zu können. Im Schnitt findet so ein Ausweichmanöver einmal im Jahr statt. Auch erdnahe Satelliten müssen einmal pro Jahr manövriert werden, um entgegenkommenden Objekten auszuweichen.

Wissenschaftler arbeiten deshalb an Methoden, wie der Schrott beseitigt werden kann. Überlegt wird, ihn mit Netzen einzufangen oder ihn kontrolliert auf die Erde abstürzen zu lassen, wo er dann idealerweise beim Eintritt in die Erd-atmosphäre verglüht – was nicht immer passiert und somit nicht ohne Risiko ist. Eine Alternative wäre daher, den Schrott auf Umlaufbahnen zu lenken, wo er die Raumfahrt nicht behindert. Wissenschaftler sprechen hier von sogenannten „Friedhofsbahnen“.

Regeln für das Verhalten im Weltraum sind also dringend nötig, sowohl was die Müllbeseitigung angeht, als auch, um einen Rüstungswettlauf zu verhindern. Anders als die USA setzen sich die EU-Länder schon länger für präventive Rüstungskontrolle im Weltall ein. Frankreich zum Beispiel hat schon in den 1980er Jahren ein internationales Verbot von Anti-Satellitenwaffen angeregt. Die EU hat nun einen „International Code of Conduct for Outer Space Activities“ vorgeschlagen, um die festgefahrenen Rüstungskontrollverhandlungen wieder in Schwung zu bringen. Max Mutschler von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

O-Ton Mutschler

„Der europäische Vorschlag ist insofern ein Schritt in die richtige Richtung, als dass er versucht, Verhaltensregeln für den Weltraum zu etablieren. Er geht aber aus meiner Sicht noch nicht weit genug, weil er zu wenige Begrenzungen für die eigentliche Technologieentwicklung auferlegt.“

Kernstück des „Code of Conduct“ und damit ein neuer Ansatz in den festgefahrenen Verhandlungen sind Regeln, die alle Weltraumnationen beachten sollen. Das heißt vor allem, keine Satelliten zu beschädigen. Die Etablierung von Verhaltensregeln käme auch den USA entgegen, die unter Barack Obama wieder ein Stück näher an den Verhandlungstisch herangekommen sind. Allerdings handelt es sich bei dem Code of Conduct nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag, sondern um einen freiwilligen Verhaltenskodex. Das macht ihn natürlich weniger verbindlich. Aber es könnte ein Anfang sein.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20130823-1529-3142.mp3