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Im Jahr 2009 hat Barack Obama in Prag seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt verkündet, die er freilich, wie der US-Präsident anmerkte, wohl selber nicht mehr erleben werde. Nun könnte seine Vision zumindest teilweise Wirklichkeit werden: Eine der fünf offiziellen Atommächte steht vor der Frage, ob sie dem Club der Atomwaffenbesitzer weiter angehören will. Es handelt sich um Großbritannien, dessen Atommacht auf den nuklear bestückten Trident-Raketen beruht, die wiederum auf U-Booten stationiert sind.
Die Lebensdauer dieser vier U-Boote der Vanguard-Klasse endet in absehbarer Zeit. Zwischen 2023 und 2027 sollen sie nach den Planungen der Regierung in London durch Nachfolgemodelle ersetzt werden. Doch das Projekt ist nicht zuletzt wegen der Kosten umstritten. 20 Milliarden Pfund soll die Neuanschaffung der vier U-Boote kosten. Kritiker rechnen mit tatsächlichen Kosten von insgesamt 100 Milliarden Pfund.
Wozu, so fragen Kritiker, braucht Großbritannien die teuren Waffen, während das Geld auch anders verwendet werden könnte. Denn die britischen Streitkräfte erleben gerade die größte Reform in den vergangen 50 Jahren. Die Zahl der Soldaten wird um 20 Prozent verkleinert. Allein um ihre Panzerfahrzeuge zu modernisieren, müssen die Briten in den kommenden Jahren laut Schätzungen allein 5 Milliarden Pfund investieren. Auch in Deutschland ist die Umstrukturierung bemerkbar: Anfang Juli haben die Briten die Stadt Münster verlassen – nach fast 70 Jahren. In wenigen Jahren werden sie alle ihre deutschen Stützpunkte aufgegeben.
In Umfragen spricht sich eine Mehrheit der Briten gegen die teure Atombewaffnung aus. Fast 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges brauche Großbritannien keine Atomwaffen mehr, da kein Feind in Sicht sei, argumentieren die Gegner. Außerdem gebe es genügend andere Bedrohungen – von gescheiterten Staaten bis zu Cyberkriegen –, auf die sich die britischen Streitkräfte vorbereiten sollten – statt auf einen atomaren Angriff.
Gegen die Modernisierung des Nukleararsenals spricht auch, dass Großbritannien sich wie jede Atommacht im Atomwaffensperrvertrag dazu verpflichtet hat, langfristig abzurüsten. Doch die Regierung in London argumentiert, dass der Atomwaffensperrvertrag nicht zu einseitiger Abrüstung verpflichtet. So erklärte Alistair Burt, Unterstaatssekretär im britischen Außenministerium, im Juni im Unterhaus:
O-Ton Burt (overvoice)
„Die Position der Regierung, die nukleare Abschreckung aufrechtzuerhalten, stimmt vollständig mit unseren Verpflichtungen überein, die wir als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags haben. Wir sind nicht zu einseitiger Abrüstung verpflichtet, und es ist auch nicht verboten, Trägersysteme für Nuklearwaffen zu besitzen, wie sie derzeit jeder Atomwaffenstaat hat.“
Die Entscheidung über den Bau der neuen U-Boote soll 2016 fallen. Die regierenden Konservativen wollen an der Atombewaffnung festhalten. Ihr Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, machen sich dagegen für kostengünstigere Alternativen stark. Die Regierung erstellte deshalb eine Studie, in der geprüft wurde, ob es zum Beispiel billiger wäre, die Atomwaffen auf Flugzeugen oder anderen U-Booten zu stationieren. Ob Atomwaffen überhaupt nötig sind, wurde freilich gar nicht erst geprüft.
Das Fazit der Studie war für die Liberaldemokraten eine herbe Schlappe. Demnach ist jedes andere System teurer als der Neubau von Vanguard- U-Booten. Bei einer Aussprache über die sogenannte „Trident Alternative Review“ im britischen Unterhaus am 17. Juli mussten sich die Liberaldemokraten von der oppositionellen Labour-Partei deshalb scharfe Kritik anhören. Kevan Jones, der im Labour-Schattenkabinett als Verteidigungsminister gehandelt wird, kritisierte die Haltung der Partei, die einerseits mit den Konservativen koaliert, sich andererseits aber gegen Trident ausspricht:
O-Ton Jones (overvoice)
„Ich denke, es ist der alte liberaldemokratische Trick: Sie reiten zwei Pferde zur selben Zeit. Viele von uns, die mit ihnen in der Lokalpolitik zu tun hatten, kennen das seit Jahren. Sie wollen ihren unilateralistischen Flügel zufrieden stellen und davon überzeugen, dass sie nuklear abrüsten. Und gleichzeitig behaupten sie vor der Wählerschaft, sie hätten eine glaubwürdige Nuklearpolitik.“
Angesichts der für die Liberaldemokraten so vernichtenden Regierungsstudie verschärfte Parteichef und Vizepremier Nick Clegg seine Rhetorik. Atomwaffen seien ein Relikt des Kalten Krieges, sagte er dem Radiosender LBC. Großbritannien stationiere heute schließlich auch keine Armee mehr an den weißen Klippen von Dover, um eine Invasion vom Kontinent zu verhindern, schimpfte er. Sein Parteifreund, der Chefsekretär des Schatzamtes Danny Alexander, schlug im Unterhaus einen Kompromiss vor:
O-Ton Alexander (overvoice)
„Die Schlussfolgerung, die ich aus der Studie ziehe, ist, dass zwar Alternativen existieren, aber kein neues System zur Verfügung steht, bevor die Lebensdauer der gegenwärtigen Vanguard-Boote ausläuft. Aber ein Abrüstungsschritt ist machbar: Wir können die 24-stündigen Patrouillenfahrten beenden, wenn wir sie nicht brauchen. Wir müssen weg von einem veralteten Konzept des Kalten Krieges hin zu einem, das zu der Welt passt, in der wir heute leben.“
Doch das lehnen die beiden großen Parteien, die Konservativen und die Labour-Partei, ab. Sie argumentieren, für eine Abschreckung, die den Namen verdient, brauche es beim gegenwärtigen Stand der Technik vier U-Boote: Eines, das den Hafen verlässt, ein zweites, das zurückkehrt; ein drittes, das gewartet wird und ein viertes für Übungen. In der Parlamentsdebatte im Unterhaus wertete der Labour-Abgeordnete Jones den Vorschlag der Liberaldemokraten als Gefährdung der Sicherheit des Landes:
O Ton Jones (overvoice)
„Wir sind überzeugt, dass der einzige glaubwürdige Weg zu einer minimalen nuklearen Abschreckung in der ständigen Seestationierung besteht. Andernfalls wäre das Vereinigte Königreich verwundbar. Die Vorschläge des Chefsekretärs würden das Vereinigte Königreich nicht nur verwundbarer machen. Sie würden auch dazu führen, dass wir keine Erst- oder Zweitschlagfähigkeiten mehr hätten.“
Doch auch in der Labour-Partei finden sich Kritiker der Atombewaffnung. Schon vor sechs Jahren hatte der damalige Labour-Premier Tony Blair keine eigene Mehrheit im Parlament, 95 Abgeordnete seiner Partei stimmten damals gegen neue Trident-U-Boote. Ende Juni forderten Dutzende prominente Parteimitglieder und Abgeordnete in einem Offenen Brief, Labour müsse das Thema vor den Wahlen 2015 noch einmal diskutieren, um im Falle eines Wahlsieges gerüstet zu sein, wenn die Entscheidung 2016 ansteht.
Doch nicht nur die Kosten könnten ein Problem werden, auch das geplante Unabhängigkeitsreferendum in Schottland könnte die atomaren Zukunftspläne durchkreuzen. Denn der größte Teil der britischen Atom-U-Boot-Flotte liegt in einem schottischen Hafen, der Faslane-Marinebasis westlich von Glasgow. Das Referendum ist für den 18. September 2014 angesetzt. Offiziell gibt sich London siegessicher, dass die Schotten das Vereinigte Königreich nicht verlassen werden. Doch sicher ist das keineswegs, schließlich hatte die Schottische Nationalpartei seit 2011 im Regionalparlament die absolute Mehrheit. Die Partei ist separatistisch und linksliberal. Atomwaffen lehnt sie ab und verlangt den Abzug der Trident-Raketen.
Hinter den Kulissen arbeitet die Regierung in London deshalb an Plänen, wie auf einen Sieg der schottischen Separatisten reagiert werden kann. Überlegt wird zum Beispiel, das Militärgelände zu britischem Territorium zu erklären – ähnlich den britischen Militärbasen auf Zypern. Sollte Schottland da nicht mitmachen, blieben in letzter Konsequenz nur noch der Rückbau der Marinebasis und ihr Neubau an anderer Stelle. Damit würde die britische Atombewaffnung aber noch mal um einige Milliarden teurer.
Autor: Dirk Eckert
MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20130726-1631-4442.mp3