Zwischen westlichen und eigenen Interessen – das Mali-Krisenmanagement der Afrikaner

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 01.12.2012

NDR Radio

Das Wie und das Wann müssen noch geklärt werden. Aber dass eine Militärintervention die Abspaltung des Nordens von Mali beenden soll, das ist längst beschlossene Sache. Die Regierung des westafrikanischen Landes will die Intervention und hat dabei prinzipiell die Rückendeckung seiner Nachbarn, der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS sowie der EU, Frankreichs und der USA.

Denn der Westen fürchtet, dass in Nord-Mali ein neuer Terror-Staat entsteht, seit dort radikale Muslime mit Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Qaida die Macht übernommen haben. Und die Nachbarn fürchten die Ausbreitung des Islamismus genauso wie eine Rebellion der Tuareg. Das Nomadenvolk siedelt nicht nur in Mali. Tuareg leben auch in den angrenzenden Ländern der Sahara – in Niger, Algerien, Libyen und Burkina Faso. Krieger der Tuareg waren es, die im April den Norden Malis erobert hatten. Später wurden sie dann von den verbündeten Islamisten wieder entmachtet, die das islamische Recht der Scharia mit seinen drakonischen Strafen eingeführt haben.

Die Planungen für eine Militärintervention laufen im Rahmen der ECOWAS. Die westafrikanische Staatengemeinschaft will eine 3.300 Soldaten starke Eingreiftruppe schicken, um die malische Armee bei der Rückeroberung des nördlichen Landesteils zu unterstützen. Kommen sollen die Soldaten nach derzeitiger Planung aus Burkina Faso, Ghana, Nigeria, Niger, Togo, Tschad und dem Senegal. Die Vorbereitungen für die Offensive dafür laufen und werden wohl mindestens sechs Monate dauern. Andere sprechen von etwa einem Jahr. Denn die malische Armee gilt als desolat und muss erst neu aufgebaut werden.

Unterstützung kommt außerdem von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Sie wird sich aber eher im Hintergrund halten und militärisch-logistische Hilfe leisten. Allerdings wird zugleich spekuliert, dass Frankreich aus der Luft direkt in den Konflikt eingreifen könnte. Der Publizist Bernhard Schmid beobachtet die französische Politik in Paris:

O-Ton Schmid

„Frankreich ist in gewisser Weise der politische Stichwortgeber, neben der Zentralregierung in Mali, die durchaus auch sicherlich den Norden zurückerobern möchte und es auch sagt. Allerdings mit dem Interessenkonflikt, dass die Zentralregierung in Mali gerne eine stärkere malische, nationale Kontrolle behalten möchte über die Intervention, als Frankreich das möchte.“

Auch die EU will mit militärischem Gerät und Aufklärungsergebnissen helfen. Außerdem will sie rund 240 Militärausbilder schicken, die die malische Armee trainieren sollen. Mit dabei sein sollen auch deutsche Militärberater. Dafür hat sich jedenfalls Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgesprochen.

Die ECOWAS kann allerdings nicht ohne Hilfe Algeriens intervenieren. Denn das nordafrikanische Land hat eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze zu Mali. Ein Teil der Islamisten, die in Nord-Mali die Macht an sich gerissen haben, kommt aus Algerien. Sie waren nach einem jahrelangen, blutigen Krieg gegen die dortige Armee über die Grenze nach Mali geflohen. Algerien fürchtet nun, dass diese Aufständischen ins Land zurück kommen, wenn sie aus Nord-Mali vertrieben werden. Alexander Stroh vom Hamburger GIGA-Institut für Afrika-Studien:

O-Ton Stroh
„Algerien hat eine sehr, sehr lange gemeinsame Grenze mit Mali. Genau in dem Gebiet, das am allerschwierigsten zu überwachen ist. Die meisten Nachschubwege für die islamistischen Gruppen in Mali führen durch Algerien. Algerien selbst hat ein großes Interesse daran, den Islamismus, den militanten Islamismus einzudämmen und vor allen Dingen nicht im eigenen Land wirken zu lassen.“

Die Regierung in Algier hat sich deshalb lange gegen eine Militärintervention in Nord-Mali gesträubt. Skeptisch sieht man auch, dass Frankreich die Intervention befürwortet. Da wirke die Vergangenheit Frankreichs als Kolonialmacht von Algerien nach, sagt Bernhard Schmid.

O-Ton Schmid

„Algerien achtet sehr, sehr stark darauf, sich die Voraussetzung für eine starke Eigenständigkeit gegenüber Frankreich, aber auch anderen Mächten, auch gegenüber den USA, zu bewahren – als ehemalige Kolonie, die nach einem sehr blutigen Unabhängigkeitskampf mühsam ihre nationale Unabhängigkeit errungen hat.“

US-Außenministerin Hillary Clinton ist deshalb Ende Oktober nach Algier gereist, um Präsident Abd al-Aziz Bouteflika umzustimmen. Offenbar mit Erfolg, denn die algerische Regierung wird wohl im Kriegsfall ihre Grenze nach Mali dicht machen und so die Islamisten von eventuellen Nachschub- und Rückzugswegen abschneiden. Die USA selbst wollen sich in diesem Konflikt zunächst nicht direkt engagieren. Allerdings hat die US-Regierung keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die Al-Qaida-Verbündeten wieder von der Macht vertrieben sehen will.

Vielleicht kommt es aber doch nicht zu einer Militärintervention. Eine der Islamisten-Gruppen, die den Norden Malis beherrschen, die Ansar Dine, hat sich jüngst zu Verhandlungen bereiterklärt. Unter Vermittlung von Burkina Faso erklärten Vertreter von Ansar Dine im vergangenen Monat in der dortigen Hauptstadt Ouagadougou, die Organisation lehne „jede Form des Extremismus und Terrorismus“ ab. Wie ernst das zu nehmen ist, muss sich erst noch zeigen. Schließlich waren es Mitglieder von Ansar Dine, die Ende Juni im malischen Timbuktu Grabdenkmäler zerstört hatten, die zum Weltkulturerbe gehörten, weil sie angeblich antiislamisch waren. Der Afrika-Experte Bernhard Schmid:

O-Ton Schmid

„Meines Erachtens gibt es schon einen Versuch, der als solcher auch nicht kritikwürdig ist, die Gruppen auseinander zu dividieren, um möglichst den harten Kern der ideologisch total überzeugten Dschihadisten zu schwächen. Da spricht meines Erachtens im Kern nicht so viel dagegen.“

Ob die ECOWAS die Abspaltung beenden und die staatliche Einheit von Mali militärisch wiederherstellen kann, muss sich erst noch zeigen. Es wäre allerdings nicht die erste Intervention der eigentlich als Wirtschaftsorganisation gegründeten Staatengemeinschaft: In den vergangenen Jahren griff die ECOWAS in Liberia ein, später in Sierra Leone, Guinea-Bissau und der Elfenbeinküste. Der Hamburger Afrika-Kenner Alexander Stroh:

O-Ton Stroh

„Was hier zu beobachten ist, ist eher im Sinne dessen, was Europa und Amerika immer gefordert haben, nämlich dass es tatsächlich eine afrikanische Initiative ist und dass die afrikanische Regionalorganisation, eben die ECOWAS, hier von Anfang an sich sehr stark selbst ins Spiel gebracht hat und von Anfang an gesagt hat, hier soll es eine afrikanische Lösung für ein afrikanisches Problem geben.“

Trotzdem bleiben Probleme: Etwa, dass die ECOWAS bei einer Militär-Intervention auf ihr Mitglied Nigeria angewiesen ist. Das Land hat mehr Einwohner als die anderen 14 Mitglieder zusammen. Es finanziert entsprechend zwei Drittel des Etats der ECOWAS, auch ihr Sitz ist in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Nigeria will bei der geplanten Intervention den Hauptteil der Soldaten stellen.

Ausgerechnet Nigeria hat aber selber Probleme mit radikalen Muslimen. Im Norden des Landes terrorisiert die islamistische Sekte Boko Haram die Bevölkerung und verübt immer wieder blutige Anschläge gegen christliche Kirchen. Nigeria ist damit bisher nicht fertig geworden – keine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Intervention in Nord-Mali.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript385.pdf

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20121130-1546-0801.mp3