Neue Aufrüstungsrunde durch bewaffnete Großdrohnen – Rüstungskontrollvereinbarungen ohne Chance?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 03.11.2012

NDR Radio

Unbemannte Luftfahrzeuge werden als Waffensysteme bei Militärs und Regierungen immer beliebter. US-Präsident Barack Obama nutzt sie, um in Pakistan islamistische Extremisten zu bekämpfen. Auch die Bundeswehr plant, Drohnen zu kaufen, die sich bewaffnen lassen. Die auch UAVs, also Unmanned aerial vehicles, genannten Systeme liefern mit ihren Kameras Live-Bilder aus dem Kriegsgebiet. Sind sie mit Raketen bewaffnet, lassen sich damit zugleich Angriffe durchführen, ohne das Leben der eigenen Soldaten zu gefährden. Gezielte Tötungen tief im feindlichen Hinterland sind möglich – schnell, überraschend und anonym. Damit verringert sich auch der Rechtfertigungsdruck, unter dem Regierungen im Kriegsfall stehen. So überrascht es wenig, dass immer mehr Länder die neue Technologie anstreben.

Bei der gegenwärtigen Euphorie denkt jedoch kaum jemand darüber nach, welche Folgen sich aus der zunehmenden Verbreitung von Drohnen ergeben. Völkerrechtliche Bedenken etwa bei Drohnenangriffen in Pakistan werden gerne pauschal mit dem Hinweis weggewischt, dass man sich ja im Krieg gegen den Terrorismus befinde. Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière verstieg sich in der Drohnen-Diskussion kürzlich sogar zu der Behauptung, dass Waffensysteme an sich stets ethisch neutral zu beurteilen seien. Nachdem dann Kritiker darauf hingewiesen haben, dass zum Beispiel chemische und biologische Waffen oder Streubomben und Landminen weltweit geächtet sind, zog de Maizière seine Aussage ausdrücklich zurück.

Allerdings setzte der Verteidigungsminister mit seiner anfänglichen Bedenkenlosigkeit nur die Tradition seiner Regierung fort. So hatte die Bundesregierung 2009 in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag erklärt, sie sehe derzeit keinen Bedarf für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Dort hieß es:

Zitat

„Unbemannte Fahrzeuge und UAVs stellen eine technische Lösungsmöglichkeit dar und keine neue Fähigkeit. Es werden daher keine sicherheits- oder rüstungspolitischen Folgen gesehen.“

Bei so viel Ignoranz überrascht es auch kaum, dass die Militärs und Regierungen in ihrem Kaufrausch noch nicht über Rüstungsbegrenzungen und Rüstungskontrolle nachdenken. Naturwissenschaftler sind da weiter. Sie haben die Vereinigung International Committee for Robot Arms Control – kurz ICRAC – gegründet, die sich für Rüstungskontrolle von Roboter-Waffen einsetzt. Einer der Initiatoren ist Jürgen Altmann, Physiker an der Technischen Universität Dortmund:

O-Ton Altmann

„Die Staaten müssen selbst verstehen, dass Begrenzung bei bewaffneten, unbemannten Systemen ihren Interessen entspricht. Das ist im Moment noch nicht der Fall. Aber es könnte sein, dass sich das in der Perspektive ergibt und Überzeugungsarbeit in diese Richtung ist dringend nötig.“

Die Initiative ICRAC setzt sich dafür ein, einen Rüstungswettlauf mit Drohnen zu verhindern. Insbesondere fordern die Wissenschaftler, Zahl, Reichweite, Nutzlast und maximale Flugdauer von Drohnen festzulegen und zu beschränken. Die Frage bleibt aber, inwieweit sich die Ausbreitung von Drohnen überhaupt noch aufhalten lässt. Denn nicht nur das Militär nutzt die unbemannten Luftffahrzeuge. Auch im Zivilleben werden Drohnen – dann natürlich unbewaffnet – immer öfter eingesetzt. Das kann in der Landwirtschaft sein, beim Katastrophenschutz oder auch in den Medien – eben überall dort, wo Luftaufnahmen nötig sind. Der Journalist und Drohnenexperte Marcus Bösch beschäftigt sich mit den neuen Möglichkeiten, die Drohnen bieten:

O-Ton Bösch

„Ich glaube, dass wir gerade das Drohnenzeitalter betreten. Drohnen gibt es inzwischen im Elektrosupermarkt. Es gibt eine riesige und wachsende sogenannte Diy-Community, Do-it-yourself-Community, vor allem in den USA, wo monatlich sehr viele Drohnen-Bausätze verkauft werden. Und diese Diy-Community baut da viel dran rum.“

Auch innerstaatlich gibt es bislang kaum Regulierungen von Drohnen-Einsätzen. Man kann die kleinen Fluggeräte mit den Videokameras, die Mini-Helikoptern ähneln, im Internet bestellen. Marcus Bösch:

O-Ton Bösch

„Wir sind da ganz am Anfang einer Entwicklung. Erst in diesem Jahr wurde überhaupt der Begriff des unbemannten Fluggeräts in die Gesetzgebung mit aufgenommen. Was jetzt folgen wird, ist ein riesiger Regelungsapparat. Man kann das schon ein bisschen in den USA beobachten. Da hat die amerikanische Flugbehörde zum Beispiel Lizenzen, die schon vergeben worden waren für Hollywood-Produktionen, jetzt wieder einkassiert und gesagt: ‚Nein, ihr dürft das nicht. Wir müssen das erst mal fertig regulieren.’ Und ich glaube, dass das ganz klar auch in Deutschland passieren wird.“

Allerdings gibt es jetzt schon Gesetze, die automatisch auch für Drohnen gelten, gibt Marcus Bösch zu bedenken. Etwa was den Schutz der Privatsphäre angeht. Im internationalen Rahmen ist es ähnlich. Weltweit existiert zwar kein Rüstungskontrollregime für Drohnen. Aber es gibt einzelne Rüstungskontrollvereinbarungen wie den KSE-Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, der für bewaffnete – und strenggenommen auch für unbemannte – Land- und Luftfahrzeuge gilt. Drohnen könnten also in die Liste der Waffen aufgenommen werden, die durch den Vertrag begrenzt werden. Dazu müssten sich allerdings die Vertragsparteien einig sein. Das dürfte schwierig werden, denn Russland und der Westen sind sich schon uneins über die Umsetzung der 1999 in Istanbul beschlossenen Anpassung. Aktuell ruht die Ratifizierung in den NATO-Staaten. Russland hat daraufhin 2007 den KSE-Vertrag seinerseits ausgesetzt.

Außerdem bezieht sich der KSE-Vertrag nur auf Europa. Weltweit gibt es kein entsprechendes Vertragswerk. Aber es gibt – national wie international – bestehende Vereinbarungen, die auch für Drohnen gelten. Dazu gehört das Verbot von chemischen und biologischen Waffen. Daraus ergibt sich, dass es verboten ist, unbemannte Luftfahrzeuge mit derartigen Kampfstoffen auszurüsten. Und es gibt das Wassenaar-Abkommen von 1996 zur Exportkontrolle von sogenannten Dual-use-Gütern, also Produkten, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Dieses Abkommen würde einen guten Ansatzpunkt bieten, um den Export von Drohnen-Technologie zu unterbinden, urteilt ein Bericht des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung von 2011.

Physiker Jürgen Altmann fordert vor allem, bewaffnete Drohnen zu kontrollieren. Notwendig sei außerdem zu verhindern, dass zivil genutzte Drohnen so aufgerüstet werden, dass sie als Waffen genutzt werden können. Der Wissenschaftler plädiert dafür, die bisherigen Regelungen weiterzuentwickeln, die die militärische Nutzung von Dual-use-Gütern verhindern sollen:

O-Ton Altmann

„Mit gutem Willen wäre das machbar. Wenn man sich die detaillierten Regelungen der Exportkontroll-Regime anguckt für Raketen oder für chemische und biologische Dinge oder für konventionelle Systeme, wo es gerade darum geht, doppelt verwendbare Dual-use-Geräte einerseits für zivile Zwecke weitgehend zu erlauben, andererseits aber die militärische Nutzung bei Exporten weitgehend zu verhindern, dann sieht man, dass da eine ganze Menge Möglichkeiten sind, das durch Detailregelungen in den Griff zu bekommen.“

Doch bis Drohnen der Rüstungskontrolle unterworfen werden, dürfte es noch dauern. Bislang verfügen nur wenige Länder über größere Drohnen. Doch das wird sich ändern, wie ein Vorfall in diesem Herbst gezeigt hat. Im Oktober schoss Israel eine unbekannte Aufklärungsdrohne über seinem Staatsgebiet ab. Später bekannte sich die libanesische Hisbollah zu der Spionagemission. Die Drohne selbst war vermutlich im Iran hergestellt worden. Der Fall zeigt: Die Verbreitung der Drohnen-Technologie geht weiter. Die gegenwärtige Überlegenheit des Westens, insbesondere der USA und Israels, wird also auf Dauer keinen Bestand haben. Das zeigt, wie wichtig Rüstungskontrollvereinbarungen sind, um ein Wettrüsten zu verhindern.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript381.pdf

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20121102-1418-4401.mp3