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Als am 30. April 1975 die letzten amerikanischen Hubschrauber mit zahlreichen Menschen an Bord überstürzt Saigon verließen, endete der Vietnam-Krieg, einer der blutigsten Kriege des 20. Jahrhunderts. Einen Tag später übernahmen die Kommunisten die Macht. Millionen Menschen, vor allem Vietnamesen, hatte der Krieg das Leben gekostet.
Saigon, die ehemalige Hauptstadt von Südvietnam, heißt seitdem Ho-Chi-Minh-Stadt. Fast 40 Jahre nach dem Rückzug der US-Truppen ist Vietnam dem Namen nach immer noch eine Sozialistische Republik. Und doch hat sich etwas verändert: Die ehemaligen Kriegsgegner USA und Vietnam nähern sich unübersehbar einander an.
US-Politiker geben sich inzwischen in Hanoi förmlich die Klinke in die Hand. Im Juli traf Außenministerin Hillary Clinton in Hanoi ihren vietnamesischen Amtskollegen Pham Binh Minh. Bereits zum fünften Mal fanden im Juni in Hanoi US-amerikanisch-vietnamesische Gespräche über Sicherheit und Verteidigung statt. Im Juli besuchte dann eine vietnamesische Delegation unter der Leitung des stellvertretenden Verteidigungsministers Nguyen Chi Vinh die USA. Dabei ging es um zwei Themen: erstens die Kriegsfolgen und zweitens die künftige Zusammenarbeit.
Vietnam schätzt die USA vor allem als Handelspartner. Das offiziell immer noch sozialistische Land hat in den 1980er Jahren marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt und sich für ausländische Investoren geöffnet. 1995 haben Vietnam und die USA wieder normale diplomatische Beziehungen aufgenommen. Bill Clinton war der erste US-Präsident, der das Land seit Kriegsende besuchte. Er hob außerdem das amerikanische Handelsembargo gegen Vietnam auf.
Auch sein Nachfolger George W. Bush besuchte das Land. 2001 trat ein bilateraler Handelsvertrag zwischen Vietnam und den USA in Kraft. Seither hat sich der Handel zwischen beiden Ländern mehr als verachtfacht. 2007 reiste mit Nguyen Minh Triet erstmals ein vietnamesischer Präsident seit Ende des Vietnam-Kriegs zu einem Staatsbesuch in die USA.
Im Januar dieses Jahres kam es zu einer denkwürdigen Begegnung in den amerikanisch-vietnamesischen Beziehungen. Vier US-Senatoren trafen in Hanoi mit Ministerpräsident Nguyen Tan Dug zusammen. Unter ihnen war auch John McCain. Der einstige Präsidentschaftskandidat der Republikaner war Kampfpilot und über Vietnam abgeschossen worden. Mehrere Jahre verbrachte er in Gefangenschaft. – Im sogenannten „Hanoi Hilton“, einem berüchtigten Lager, wurde er gefoltert. Anfang des Jahres war McCain als US-Senator zurückgekehrt und der Premier der Sozialistischen Republik Vietnam bat ihn, sich dafür einzusetzen, dass die USA Vietnam als Marktwirtschaft anerkennen. Denn dann könnte Vietnam in den Genuss von US-Handelsvergünstigungen kommen.
Befördert wird die vietnamesische Annäherung an die USA durch den Streit mit China. Hanoi und Peking beanspruchen beide mehrere Inselgruppen im Südchinesischen Meer, das in China schlicht Südmeer heißt und in Vietnam Ostmeer. Erst im Juni protestierte Vietnam, als China eine Ausschreibung für Öl- und Gas-Unternehmen bekannt gab, für ein Gebiet im Südchinesischen Meer, das laut Hanoi innerhalb der vietnamesischen 200-Meilen-Zone liegt, also in der exklusiven Wirtschaftszone des Landes. Zuletzt hatte Peking Hanoi damit verärgert, dass es die Stadt Sansha auf den Paracel-Inseln administrativ aufgewertet hat. China will dort Soldaten stationieren.
Wem das Südchinesische Meer gehört, ist nicht nur zwischen China und Vietnam umstritten. Auch andere Anrainer wie Taiwan, Malaysia, Brunei und die Philippinen erheben territoriale Ansprüche. Im Südchinesischen Meer werden Rohstoffvorkommen vermutet, außerdem ist es eine wichtige Route für die internationale Handelsschifffahrt. Ein Drittel der weltweiten kommerziellen Schifffahrt geht durch das umstrittene Gebiet.
Vietnam fordert, die Streitigkeiten nach dem UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 zu klären. Danach wäre letztlich der Internationale Seegerichtshof in Hamburg zuständig, den Streit zu entscheiden. Peking will die Konflikte aber lieber bilateral beilegen. Der Streit beschäftigt inzwischen aber auch die ASEAN, die Vereinigung südostasiatischer Staaten. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 45 Jahren konnte sich die ASEAN auf ihrem Gipfel in Kambodscha im Juli nicht auf eine Abschlusserklärung einigen. Der Grund war eben die Frage, ob der Streit in der Erklärung wenigstens erwähnt werden sollte.
Die USA haben zu den Territorialstreitigkeiten offiziell keine Meinung. Wie Vietnam dringt Washington aber darauf, die Konflikte nach internationalem Recht beizulegen. Allerdings engagieren sich die USA in der Region zunehmend auch militärisch, trotz der Sparzwänge im Pentagon. Verteidigungsminister Leon Panetta kündigte diesen Sommer während seiner Asien-Reise an, 60 Prozent der US-Flotte künftig in Südostasien zu belassen. Darunter sind auch relativ neue Schiffe, die eigens für Einsätze vor feindlichen Küsten entwickelt wurden. Pentagonchef Panetta:
O-Ton Panetta (overvoice)
„Wir werden sechs Flugzeugträger in diese Region schicken, die Mehrheit unserer Kreuzer, Zerstörer, Kampfschiffe für die küstennahe Gefechtsführung sowie der U-Boote.“
Leon Panetta war es auch, der im Juni als erster US-Verteidigungsminister Cam Ranh Bay besuchte. Diesen natürlichen Tiefwasserhafen hatten die USA im Vietnam-Krieg als Marinestützpunkt genutzt. Hier wurden Soldaten und Nachschub an Land gebracht. Bei einer Fahrt durch den Hafen erinnerte Panetta an die vielen Toten des Krieges:
O-Ton Panetta (overvoice)
„Ich erinnere an die vielen Opfer. An die, die in dem Krieg gekämpft haben und starben. Dieses Opfer wird zu einem Heilungsprozess führen. Wir können die Wunden der Vergangenheit heilen.“
Bei dem Besuch von Panetta ging es aber keineswegs nur um die Aufarbeitung der Vergangenheit. 2011 haben Vietnam und die USA ein Memorandum of Understanding zu Militärfragen unterzeichnet. Aktuell kooperieren die Militärs beider Länder bei Rettungsmaßnahmen auf See, bei der Katastrophenhilfe sowie bei Maßnahmen, mit denen die Sicherheit und Freiheit auf den Meeren gewährleistet werden soll. Langfristig wollen die USA den Tiefwasserhafen Cam Ranh Bay wieder regelmäßig nutzen.
Mittlerweile gibt es sogar gemeinsame Militärübungen zwischen den einstigen Kriegsgegnern. Im April übten beispielsweise 1.400 US-Soldaten vor der Küste von Danang, unter anderem standen Tauchgänge auf dem Programm.
Die Annäherung hat dazu geführt, dass sich die USA nun erstmals daran beteiligen, Agent Orange-Reste zu beseitigen. Mit der dioxinhaltigen Chemikalie hatten die USA im Vietnamkrieg den Dschungel entlaubt, um den Kämpfern des Vietcong die Deckung zu nehmen. Das im Agent Orange enthaltene Dixon gilt als stark krebserregend und wird für viele Missbildungen bei Neugeborenen in Vietnam verantwortlich gemacht. US-Außenministerin Hillary Clinton:
O-Ton Clinton (overvoice)
„Das Thema Agent Orange ist ein Thema, das uns sehr besorgt. Wir haben deshalb unser finanzielles Engagement ausgeweitet, um zu helfen.“
So wird nun seit August auf dem früheren US-Luftwaffenstützpunkt Danang in Vietnam mit US-Hilfe daran gearbeitet, den Dioxin-verseuchten Boden zu reinigen. Über Danang wurde das Gift seinerzeit nach Vietnam gebracht. Die Entseuchung kostet insgesamt 41 Millionen US-Dollar und soll bis 2016 abgeschlossen sein. Die USA weigern sich allerdings bis heute, Entschädigungen zu zahlen. Die vietnamesisch-amerikanische Annäherung dürfte das kaum aufhalten: Beide Seiten sind fest entschlossen, in die Zukunft zu schauen und die Vergangenheit abzuschließen – nicht zuletzt aus Sorge vor einen zu mächtigen China.
Autor: Dirk Eckert
Quelle: http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript379.pdf
MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20121019-1916-5201.mp3