Integration der militärischen Kräfte

Volksstimme, 08.05.2003,

Volksstimme

Die Ergebnisse des Brüsseler Gipfels der vier EU-Länder Frankreich, Deutschland, Luxemburg und Belgien haben es in sich. Sie wollen die Zusammenarbeit ihrer Armeen u.a. dadurch verstärken, dass sie eine gemeinsame Spezial-Kampftruppe aufbauen, deren Kern die deutsch-französische Brigade sein soll und in die belgische Kommandoteile und luxemburgische Aufklärungselemente integriert werden. Ein eigenes Hauptquartier soll nächstes Jahr im belgischen Tervuren als gemeinsame Planungs- und Kommandozentrale eingerichtet werden. Bis Juni 2004 soll zudem ein europäisches strategisches Lufttransportkommando aufgestellt sein.

Großbritannien und andere Länder, die im Irak-Krieg auf Seiten der US-Regierung standen, hatten das Treffen von Anfang an als gegen die europäisch-amerikanische Zusammenarbeit gerichtet kritisiert. Dementsprechend bemühte sich der Vierer-Gipfel, die Wichtigkeit der Partnerschaft zwischen EU und USA zu betonen, die für Europa “eine grundlegende strategische Priorität” bleibe. Nicht “weniger USA in der NATO, sondern mehr Europa” sei das Ziel, wie der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in Brüssel versicherte.

Allerdings brauche die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik jetzt “neue Impulse”, wie es in der Abschlusserklärung des Gipfels heißt. Und so wollen die Vier auch ihre neue Spezial-Kampftruppe verstanden wissen, die “durch Streitkräfte anderer interessierter Staaten verstärkt” werden könne und “für europäische Einsätze, für NATO-Einsätze und für EU-geführte Einsätze im Auftrag der Vereinten Nationen” zur Verfügung stehe – was selbstverständlich auch für das Lufttransportkommando gilt.

Der Gipfel übernahm auch eine Reihe von Vorschlägen, die Deutschland und Frankreich schon letztes Jahr vorgebracht hatten. So solle in den Verfassungsvertrag, den der europäische Konvent derzeit ausarbeitet, eine Solidaritätsklausel, “an die alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gebunden sind”, aufgenommen werden. Mit einer “Europäischen Agentur für Entwicklung und Beschaffung militärischer Fähigkeiten” soll “ein günstiges Umfeld für eine wettbewerbsfähige europäische Rüstungsindustrie” geschaffen werden.

Schließlich wollen die Vier das Prinzip der “verstärkten Zusammenarbeit” in der EU auf den Bereich der Verteidigungspolitik ausweiten. Damit wären Mehrheitsentscheidungen möglich und somit eine deutsch-französische Dominanz, da Entscheidungen wohl kaum gegen die großen Zwei der EU, Deutschland (Wirtschaftskraft) und Frankreich (Atomwaffen), gefällt werden würden. Wohl auch deshalb stießen die Vorschläge bei den anderen EU-Mitgliedern nicht gerade auf Begeisterung.

Stattdessen führten der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der britische Regierungschef Tony Blair rund um den Gipfel eine Diskussion über die künftige Ordnung der Welt. Blair sprach sich dabei ausdrücklich gegen eine multipolare Weltordnung und für US-amerikanische Vorherrschaft statt rivalisierender Machtzentren aus. Auch US-Außenminister Colin Powell kritisierte den Vierer-Gipfel und insbesondere den Aufbau einer Kommandozentrale. Die USA waren schon unter Bill Clinton nur unter der Bedingung mit einer Europäischen Sicherheitspolitik einverstanden, dass es zu keiner Duplizierung von schon in der NATO vorhandenen Strukturen komme.

Trotz der verhaltenen Reaktionen in der EU könnte der Vierer-Gipfel sich aber noch als Erfolg erweisen. Schließlich wurden Fakten geschaffen, auf die die anderen Länder reagieren müssen. Und tatsächlich: Wenige Tage nach dem Brüsseler Gipfel sprach sich der griechische Außenminister George Papandreou – Griechenland hat gerade die EU-Ratspräsidentschaft inne – bei einem informellen Treffen der EU-Außenminister am 2. Mai in Rhodos dafür aus, eine europäische Sicherheitsdoktrin zu entwickeln.

Der Rahmen für die zukünftige europäische Sicherheitspolitik soll nach den Vorstellungen der griechischen Ratspräsidentschaft beim EU-Gipfel am 20. Juni in Thessaloniki verabschiedet werden. In der Bedrohungsanalyse dürfte die EU zu relativ ähnlichen Ergebnissen kommen wie die USA. Die EU will aber laut “Frankfurter Rundschau” eine eigene “europäische Antwort” formulieren: “ein Bündel wirtschaftspolitischer, diplomatischer und militärischer Mittel” (FR).

Was der Kern der neuen Doktrin ist, die dem Strategischen Konzept der NATO verdächtig ähnlich sieht, hat der griechische Außenminister klar gesagt: Sie ist “eine Doktrin zur Anwendung von Gewalt”. Damit hat die EU innerhalb von nur einer Woche die wesentlichen Elemente eines künftigen Militärbündnisses EU beschlossen: Eine gemeinsame Strategie und ein künftiges Hauptquartier in Tervuren – das freilich noch nicht alle EU-Staaten akzeptieren. Gemeinsame Streitkräfte hat die EU mit ihrer 60000 SoldatInnen starken Eingreiftruppe schon, die neulich die NATO in Mazedonien abgelöst hat. Eine Solidaritätsklausel, die im Kriegsfall die Mitglieder zu möglicherweise militärischem Beistand verpflichtet, wird gerade im Konvent diskutiert.

Vielleicht ist jetzt auch die europäische Rüstungsindustrie etwas zufriedener. Am 28. April hatten die britische BAE Systems, EADS (Deutschland, Frankreich, Spanien) und die französische Thales in einer gemeinsamen Erklärung unter der Überschrift “Höchste Zeit für Taten” beklagt, es fehlten “erhöhte Budgetanstrengungen, Harmonisierung der Anforderungen und Integration unserer militärischen Kräfte”.

Europa gebe mit 40 Milliarden Dollar pro Jahr deutlich weniger für Investitionen im Verteidigungssektor aus als die USA mit 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Erhöhung der Investitionen sei aber entscheidend für die langfristigen Perspektiven der europäischen Verteidigungsindustrie. “Wir müssen rasch einen Anfang finden, um das transatlantische Gefälle an Mitteln und Fähigkeiten zu verringern. Nur so können wir es schaffen, auf der internationalen Ebene als eine glaubwürdige Kraft und als verlässlicher Partner der USA gesehen zu werden”, mahnte die Industrie.


Autor: Dirk Eckert