Die Früchte des Sieges

Während Pentagon und Weißes Haus mit Syrien bereits das nächste potenzielle Ziel eines Militärschlages im Mittleren Osten anvisieren, tobt noch der Kampf um die Neuordnung des Irak.

Volksstimme, 17.04.2003, Nr. 16

Volksstimme

Nach dem schnellen Sieg der alliierten Truppen im Irak über das Regime von Saddam Hussein gehen die USA und Großbritannien jetzt daran, das nach Jahren der Diktatur, Embargo und Krieg zerstörte Land neu zu ordnen. Erste Pläne für den Wiederaufbau hat der stellvertretende US-Verteidigungsminister und Vordenker des Irak-Kriegs, Paul Wolfowitz, am 10. April im US-Senat erläutert. Demnach wird zunächst das im Januar gegründete und dem Pentagon unterstellte Amt für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe mit dem ehemaligen US-General Jay Garner an der Spitze den Irak regieren. Gleichzeitig soll eine Übergangsbehörde gebildet werden, in der alle ethnischen und religiösen Gruppen vertreten sind, um Wahlen und eine Verfassung vorzubereiten. Bis eine irakische Übergangsregierung arbeitsfähig ist, sollen von den USA und Irakern parallel geführte Ministerien arbeiten, die sich vor allem um die öffentliche Grundversorgung kümmern.

Doch es geht nur vordergründig darum – auch wenn es zweifellos dringend ist -, die Bevölkerung zu versorgen und Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Hinter den Kulissen geht es um das irakische Öl und Einfluss im Nahen Osten. Die USA und Großbritannien legen als Sieger des Krieges schon jetzt die Grundlagen, um ein Maximum an Einfluss im Land zu behalten – bei einem Minimum an Aufwand. Dabei gilt es zu verhindern, dass ihnen die Kontrolle entgleitet bzw. andere Großmächte zu viel Einfluss gewinnen. Eine der zentralen Fragen ist dabei, wie es mit der Ölindustrie des Landes weiter geht.

Tatsächlich gibt es in Washington schon diverse Pläne, die auf eine radikale Umgestaltung der Ölindustrie hinauslaufen. Als Ziel hat US-Vizepräsident Dick Cheney letzte Woche angegeben, der Irak solle Ende des Jahres drei Millionen Barrel Öl pro Tag produzieren. Soviel hatte der Irak zuletzt 1988 produziert, letztes Jahr lag die tägliche Produktion bei zwei Millionen pro Tag. Cheney sagte außerdem, dass dafür ausländische Investitionen nötig seien. Zudem solle eine „Organisation“ geschaffen werden, die das Ölministerium überwachen und hauptsächlich aus Irakern zusammengesetzt sein soll. Ausländische Berater sollen der Organisation zuarbeiten.

Bei der Organisation könnte es sich um das irakisch geführte, aber internationale Konsortium handeln, das das einflussreiche „Council on Foreign Relations“ (CFR) für die Nachkriegsordnung im Irak vorgeschlagen hat. Für die amerikanisch-britische Industrie wäre ein solches Konsortium ein gutes Instrument, um dauerhaften Einfluss auf die irakische Ölindustrie zu bekommen, zumal durch die Rechtsform des Konsortiums mit irakischer Führung der Eindruck von Besatzung und imperialistischem Raubzug vermieden werden könnte.

Internationale Konsortien haben sich schon im Kaukasus und in Zentralasien bewährt, wo sie den westlichen Ölkonzernen den Zugriff auf die dortigen Rohstoffvorkommen ermöglicht haben. Wegen fehlender Finanzmittel bzw. hoher Schulden blieb den Ländern meist nichts anderes übrig, als sich auf solche Deals einzulassen. Im Irak, wo die Ölindustrie seit den 70er Jahren verstaatlicht ist, käme das einer Privatisierung der Ölindustrie gleich.

Genau das fordert auch ein rechts-konservativer US-Think-Tank, die „Heritage Foundation“. „Privatisierung funktioniert überall“, so das Motto der Marktradikalen. Einer neuen irakischen Regierung empfiehlt die „Heritage Foundation“ denn auch, einen Gesetzesrahmen zu schaffen, in dem Privatisierungen durchgeführt werden können – nicht ohne zu erwähnen, dass diese Regeln nicht diskriminierend sein dürften und bspw. ausländische Investoren den inländischen gleichgestellt sein müssten.

Die amerikanischen Pläne kollidieren allerdings mit den Vorstellungen von Frankreich, Deutschland und Russland, die sich am 11. April in St. Petersburg zu einem Gipfel getroffen haben, um ihr weiteres Vorgehen abzustimmen. Nicht anders als den USA und Großbritannien geht es auch diesen Ländern vor allem um wirtschaftliche Interessen. So hat sich der russische Ölkonzern Lukoil 1997 das Ölfeld West-Qurna gesichert, der französische Konzern Total will das Majnoon-Feld erschließen. Was diese Verträge jetzt noch wert sind, ist derzeit völlig offen.

Andererseits sind Frankreich, Deutschland und Russland auch daran interessiert, die Gräben wieder zuzuschütten, die sich während des Krieges zwischen ihnen und Washington aufgetan haben. Nicht umsonst verzichteten sie schon während des Krieges auf jede Verurteilung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges durch die Vereinten Nationen. Frankreichs Regierung gab sogar wenige Tage vor Kriegsbeginn zu verstehen, dass das Land an der Seite der USA am Krieg teilnehmen könnte, wenn der Irak Massenvernichtungswaffen einsetzen würde.

Für die USA bekundete Außenminister Colin Powell Interesse an europäischer Hilfe, konkret Truppen für die Friedenssicherung und humanitäre Hilfe. Wie weit die Verbündeten integriert werden, darüber wird in den nächsten Wochen in Washington gestritten werden.

Doch Deutschland, Frankreich und Russland sind nicht gänzlich einflusslos, auch wenn sie nicht am Siegertisch sitzen. Ihnen bleiben zum Beispiel die Schulden als Druckmittel, die der Irak in den letzten Jahrzehnten angehäuft hat: je acht Milliarden in Paris und Moskau, vier Milliarden Dollar in Berlin. Der Aufruf von Paul Wolfowitz, dem Irak jetzt einseitig alle Schulden zu erlassen, wurde umgehend zurückgewiesen. Der Zeitpunkt sein „noch nicht gekommen“, hieß es aus dem Berliner Finanzministerium. Regierungssprecher Bela Anda verwies auf die Vereinten Nationen und nannte humanitäre Hilfe als vordringlich. Überhaupt wollen Frankreich, Deutschland und Russland den Vereinten Nationen beim Wiederaufbau im Irak eine zentrale Rolle zuweisen, um Einfluss nehmen zu können.

Die Bush-Regierung will dagegen die UNO lieber draußen halten. Zwar gestand Bush den Vereinten Nationen beim britisch-amerikanischen Gipfel in Belfast am 8. April eine „vitale Rolle“ beim Wiederaufbauprozess zu, BeobachterInnen werteten das aber als Zugeständnis an Blair, der sich jetzt als Vermittler zwischen Washington und dem „alten Europa“ profilieren will. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac machte umgehend klar, dass ihm eine „vitale Rolle“ für die UNO zu wenig ist.

Der Bush-Regierung bleibt jetzt die Aufgabe, das Fell des Bären so zu verteilen, dass alle zufrieden sind. Die „New York Times“ beschrieb am 9. April die Lage so: „Bush kann es sich weder leisten, die Früchte des Sieges, etwa Öl-Verträge, denen zu verweigern, die den Krieg ausgefochten haben, noch einen anderen großen Streit in den Vereinten Nationen auszulösen wie den, der dem Krieg voranging.“


Autor: Dirk Eckert