Ein bißchen Porto Alegre

Auf dem Wuppertaler Sozialforum wurde über Globalisierung und die ATTAC-Politik gestritten

junge Welt, 27.01.2003,

junge Welt

Während auf der Leinwand Filmaufnahmen früherer Demonstrationen in Brasilien gegen die Globalisierung zu sehen sind, bemüht sich Ulrich Franz vom Wuppertaler Sozialforum um telefonischen Kontakt nach Porto Alegre. »Hallo, ich verstehe dich nicht…« Die Leitungen nach Porto Alegre sind an diesem Wochenende überlastet, schließlich nutzen Zehntausende Aktivisten aus über 150 Ländern die Netze der brasilianischen Stadt während des dritten Weltsozialforums.

In Wuppertal, wo sich Franz um eine Liveschaltung in die »Hauptstadt der Globalisierungsgegner« bemüht, sind es zwar nicht ganz so viele Teilnehmer, aber Franz ist trotzdem mehr als zufrieden. An dem Sozialforum am Wochenende nahmen an drei Tagen rund 350 Menschen aus Wuppertal und Umgebung teil, schätzt er. Und denen wurde in der Tat einiges geboten. Workshops und Podiumsdiskussionen, thematisch gefächert von der Anti-Coca-Cola-Kampagne (Raul Zelik) über den militärisch-industriellen Komplex in Deutschland (Winfried Wolf) bis zum Hartz-Konzept, Abbau von Sozialleistungen und Privatisierungen in Wuppertal.

Spannend wurde es, als ein venezolanischer Gewerkschafter live aus Porto Alegre die Lage in seinem Land erläuterte und vom Streik der Unternehmer gegen die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Chávez berichtete, die den Ölreichtum des Landes mehr der Bevölkerung zugute kommen lassen wolle. In Porto Alegre sei deshalb auch für »Solidarität mit Venezuala« demonstriert worden. An dieser Stelle brach die Telefonleitung einige Male zusammen, was allerdings Raul Zelik, der das Gespräch übersetzte, souverän mit Kurzvorträgen zu Venezuela überbrückte.

Demonstriert wurde am Samstag vormittag auch in Wuppertal, als einige hundert Menschen gegen Globalisierung und Krieg durch die Innenstadt zogen. Gegen Globalisierung? »Globalisierungsgegner« sei ein »Propagandabegriff der herrschenden Wirtschaftseliten«, der ATTAC diffamieren solle, klärte ein Flugblatt von ATTAC Wuppertal auf. »Wir von ATTAC bezeichnen uns explizit nicht als Globalisierungsgegner, da Globalisierung durchaus auch positive Entwicklungsmöglichkeiten für diese Welt bedeuten kann.«

Ob Maria Mies das Flugblatt gelesen hatte? »Ich bin Globalisierungsgegnerin«, stellte die Kölner Soziologin auf dem Podium am Samstag nachmittag klar, als sie mit Winfried Wolf und den Wuppertaler Professoren Manfred Baum und Günther Borchert über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft diskutierte. Auf ATTAC war Mies an diesem Wochenende dabei nicht gut zu sprechen. »Globalisierungskritiker, das ist ein Begriff, den Attac eingebracht hat«, schimpfte sie unter Bezug auf die Debatte der vergangenen Wochen um das Papier von ATTAC-Führung, DGB und der entwicklungspolitischen Organisation VEBRO, in dem die »gerechteGestaltung der Globalisierung propagiert wurde. »In Deutschland werden die Begriffe immer auf ein Niveau heruntergebrochen, das gerade noch sozialdemokratisch vertretbar ist.« Das gab großen Beifall, hatte doch auch die Basis bei ATTAC das Papier mehrheitlich verurteilt. Mies sattelte noch eins drauf: »Statt Sand im Getriebe zu sein, streut ATTACden Leuten inzwischen Sand in die Augen.« Das saß – und Mies hatte das Publikum für sich gewonnen. Ihre Arbeitsgruppe zu »Globalisierung von unten« im Anschluß konnte sich über Mangel an Teilnehmern nicht beklagen.


Autor: Dirk Eckert