Von Nichtsnutzen zu fleißigen Arbeitern

Die Fabrik, mit der einst Friedrich Engels – Vater des gleichnamigen Sozialisten – den Arbeitern im Bergischen Land „Wohlstand“ und den 15-Stunden-Tag brachte, ist heute ein Museum. Es dokumentiert den Strukturwandel des Landes

taz köln / taz nrw, 04.07.2002, Nr. 105, S. 3

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Eine dreiviertel Bahnstunde von Köln entfernt, mitten im Bergischen, liegt Engelskirchen. Die Gegend ist ländlich, in den Dörfern findet sich ab und zu ein Betrieb, manchmal ein Supermarkt, ein Autohändler. Doch in Engelskirchen fällt der Blick auf eine stattliche, neoklassizistische Villa, wie sie hier wohl kaum jemand vermutet hätte, dahinter eine ehemalige Fabrik und eine Kirche. Die Anordnung ist kein Zufall: Im 19.Jahrhundert gründete hier der Wuppertaler Unternehmer Friedrich Engels – Vater von Friedrich Engels, dem Sozialisten und Ko-Autor des „Kommunistischen Manifests“ – mit seinem englischen Geschäftspartner Peter Ermen die Baumwollspinnerei Ermen & Engels. Für sich baute er die Villa, für die Arbeiter die Kirche.

1984 nahm der Landschaftsverband Rheinland diese und andere Fabriken in ein dezentrales Museumskonzept auf, um an „authentischen Schauplätzen“ den Strukturwandel des Landes zu zeigen. Jedes Museum hat ein Schwerpunktthema: Papierproduktion in Bergisch Gladbach, Metallverarbeitung in Solingen, in der Oberhausener Zinkfabrik Altenberg ist die Zentrale des Rheinischen Industriemuseums.

In Engelskirchen sieht der Besucher neben der Baumwollspinnerei, wie aus der Wasserkraft der Agger Strom gewonnen wurde. Vom alten Zustand zeugen nur noch Fotos. In der restaurierten Anlage sind heute das Museum, dazu Büros, Wohnungen und Arztpraxen untergebracht. Auch Rathaus und Feuerwehr haben hier Platz gefunden. In der Villa sitzt der Bergische Abfallwirtschaftsverband. Nur die Kirche hat den Wandel der Zeit unverändert überstanden. In Engelskirchen, der Stadt der Internationalen Blockflötentage, gehören der Familie Engels noch heute diverse Grundstücke und Mietshäuser. Sogar eine Familiengruft.

Den Grundstein für diesen Reichtum legte Friedrich Engels sen. 1837 mit der Fabrik Ermen & Engels. Er war der Prototyp eines patriarchalischen Unternehmers. Der Wohnsitz neben der Fabrik, die Sorge ums Seelenheil der Arbeiter zeugen davon. So richtete er eine „Unterstützungskasse“ ein, die – zur Freude des Bürgermeisters – die Armenkasse der Gemeinde entlastete. Die Rechtfertigung für sein Tun zog Engels aus dem protestantischen Pietismus: „Arbeit ist dem Menschen Bedürfnis, wenn er nicht verkommen will. Ich sehe das schon deutlich an Engelskirchen. Früher waren die Leute (…) faul und liederlich. Jetzt herrscht wirklich schon ein andrer Geist dort, und ich muss mich verwundern, wie mancher frühere Nichtsnutz ein fleißiger Arbeiter und wirklich gesitteter geworden ist. Dabei nimmt der Wohlstand sichtbarlich zu“, schrieb er dem ehemaligen Wuppertaler Pfarrer Snethlage.

Der Wohlstand freilich war hart erarbeitet – von den Arbeitern: 12 Stunden täglich, an Samstagen gar 15. Und Engels hatte Engelskirchen auch deshalb als Standort für eine Fabrik nach englischem Vorbild gewählt, weil die Arbeitskraft dort so billig war. „Die Bewohner sind sehr arm und sehen mit Sehnsucht einer neuen Nahrungsquelle entgegen“, schrieb er an Geschäftspartner Ermen. „Kinder wird man verhältnismäßig weit billiger (…) wie bei uns haben können“, notierte er voller Begeisterung nach einer Erkundungsreise 1837. Engels nutzte diese Gelegenheit weidlich aus, so dass 1852 ein Schulpfleger vom „Königlichen Landrath“ eine Untersuchung forderte „wegen übermäßiger Beschäftigung der Arbeiter in der Fabrik zu Engelskirchen selbst an Sonn- und Feiertagen und namentlich auch der jugendlichen Arbeiter, die noch nicht zur 1. hl. Kommunion aufgenommen sind“.

Engels schärfster Kritiker aber war sein Sohn. Der wusste bereits 1839 aus eigener Anschauung in Wuppertal: „Denn es ist ausgemacht, dass unter den Fabrikanten die Pietisten am schlechtesten mit den Arbeitern umgehen, ihnen den Lohn auf alle mögliche Weise verringern, unter dem Vorwande, ihnen Gelegenheit zum Trinken zu nehmen.“ Der Konflikt zwischen Vater und Sohn war programmiert, der Vater sperrte dem jungen Rebellen zeitweise die Gelder. Erst nach dem Scheitern der 48-er-Revolution trat Friedrich Engels Junior wieder in die Firma ein, leitete bis 1869 die Fabrik von Ermen & Engels in Manchester.

Nach 1945 erlebte die Fabrik zwar noch eine kurze Blüte, aber dann wurde die Konkurrenz aus Billiglohnländern zu stark. Bis zu 600 Beschäftigte hatte die Baumwollspinnerei zu ihren besten Zeiten im 19. Jahrhundert. Gegen Ende waren gerade noch 30 Menschen beschäftigt. „Ermen und Engels sieht sich zur Liquidation gezwungen“, vermeldete die Oberbergische Volkszeitung am 11. Januar 1979.

Rheinisches Industriemuseum, Engelsplatz 2, 51766 Engelskirchen Di-Fr 10-17 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr. Tel 02263 / 9 28 50


Autor: DIRK ECKERT