Globalisierungs-Enquete: Ergebnisse ernstgenommen?

jW sprach mit Ulla Lötzer, Obfrau der PDS in der Bundestags-Enquetekommission »Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten«

junge Welt, 28.06.2002, S. 3

Interview junge Welt

F: Heute wird im Bundestag der Abschlußbericht der Enquetekommission debattiert. Was ist das Ergebnis?

Ulla Lötzer: Hervorzuheben ist erst mal: Der Bundestag ist das erste Parlament, das sich überhaupt in dieser Form mit der Globalisierung befaßt hat. Das halte ich schon für einen wichtigen Schritt, weil daß deutlich macht, daß Parlamente wieder an Bedeutung gewinnen müssen.

Die Enquetekommission hat zu den Themen Finanzmärkte, Güter und Dienstleistungsmärkte, Wissenschaftsgesellschaft, Arbeitsmärkte, Ressourcen und Global Governance gearbeitet, darüber hinaus zu Gender, Bevölkerung und Nachhaltiger Entwicklung. Das Ergebnis sind über zweihundert Empfehlungen, von denen ein großer Teil auch für soziale Bewegungen nützlich ist.

F: Zum Beispiel?

Ulla Lötzer: Die Einführung der Tobin-Tax auf europäischer Ebene oder der Schutz öffentlicher Güter sind Mehrheitsempfehlungen. Eine andere Empfehlung ist, erst eine Evaluierung der Liberalisierung von Dienstleistungen vorzunehmen, bevor diese im Rahmen von GATS weitergetrieben wird. Bereiche wie Bildung, Kulturdienstleistungen und öffentliche Daseinsvorsorge sollten ausgenommen, die Rolle der Parlamente und der Zivilgesellschaft gestärkt werden. Gefordert wird auch die Einrichtung einer Task Force mit Ausschußrechten zum Thema Globalisierung im Parlament. Eine der Mehrheitsempfehlungen, die ich in diesem Zusammenhang für wichtig halte, ist auch die Revision des WTO-Patentabkommens (TRIPS) und der EU-Richtlinie zur Patentierung.

F: Wie groß sind die Chancen, daß so etwas umgesetzt wird?

Ulla Lötzer: Das ist eine Frage der politischen Auseinandersetzung. In vielen Empfehlungen steht die Mehrheitsmeinung des Berichts konträr zur Politik der rot-grünen Regierung. Deshalb muß man jetzt von Rot-Grün Konsequenzen einfordern. Nötig ist ein Politikwechsel. Parlamentarier, auch von regierungstragenden Fraktion, sollten sich emanzipieren und z.B. eine gemeinsame parlamentarische Initiative zur Einführung der Tobin-Tax, ähnlich wie im französischen Parlament, möglich machen.

F: Müßte die Bundesregierung die GATS-Verhandlungen nicht sofort aussetzen, wenn sie den Bericht ernst nähme?

Ulla Lötzer: Sie hat genau das Gegenteil getan. Während wir empfehlen, Bildung und andere Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge aus den Verhandlungen auszunehmen und erst eine Evaluierung der bisherigen Liberalisierungsergebnisse vorzunehmen, forciert die Bundesregierung gemeinsam mit der EU-Kommission die GATS-Verhandlungen und stellt sogar Forderungen an die USA, den Bereich der privat finanzierten, höheren Bildung zu liberalisieren.

F: Ist Ihnen die Politik der Bundesregierung bzw. der EU-Kommission bei den GATS-Verhandlungen transparent genug?

Ulla Lötzer: Nein, die gesamten Forderungen, die von der EU-Kommission unter Einbeziehung der Bundesregierung, insbesondere des Bundeswirtschaftsministeriums, erstellt werden, sind nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber dem Parlament Geheimsache. Wir haben diese Geheimhaltungsstrategie und die Einbeziehung der Bildung ja Anfang der Woche auch zum Thema einer Kleinen Anfrage gemacht. Im Kommissionsbericht fordern wir, daß jeder Schritt in den GATS-Verhandlungen in den zuständigen Fachausschüssen behandelt und NGOs und Gewerkschaften einbezogen werden sollen. Also beispielsweise im Wirtschaftsausschuß, und zwar vor einer Entscheidung.

F: Wo liegen Ihre Differenzen zum Abschlußbericht?

Ulla Lötzer: Wir machen in unserem Minderheitenvotum sehr deutlich, daß neoliberale Globalisierung von Anfang an ein politisches und von Entdemokratisierung geprägtes Projekt war. Wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklungen sollen vor allem im Interesse der Privatwirtschaft und besonders der großen internationalen Kapitalgruppen gestaltet werden. Entwicklungsländer werden dabei marginalisiert. Gegen diese neoliberale Deformation von Internationalisierung setzen wir die Stärkung von Demokratie und den Erhalt öffentlicher Güter.


Autor: Dirk Eckert