Vorbild Wehrmacht?

Rezension des Buches Vorbild Wehrmacht? Wehrmachtsverbrechen, Rechtsextremismus und Bundeswehr

Sozialistische Zeitung - SoZ, 24.11.1998, Nr. 24, S. 18

Rezension Sozialistische Zeitung - SoZ

Mit der Ausstellung “Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht. 1941-1944”, auch bekannt als Wehrmachtsausstellung, ist die Wehrmacht wieder ins öffentliche Interesse gerückt. “Vorbild Wehrmacht?” fragt denn auch eine von Johannes Klotz herausgegebenen Aufsatzsammlung, die dieses Jahr im Kölner PapyRossa-Verlag erschienen ist. Dabei soll nicht nur die Rolle der Wehrmacht im NS-System untersucht werden, sondern auch ein Bogen zur Bundeswehr und den rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr gezogen werden.

Die Wehrmacht habe den Raum freigekämpft, in dem Massen- und Völkermord betrieben werden konnten, stellt Reinhard Kühnl fest und ergänzt, daß die Wehrmacht auch selbst aktiv in die Mordmaschinerie eingegriffen habe.

Die Reichswehr habe die Weimarer Republik abgelehnt und mehr oder weniger autoritäre Staatskonzepte verfolgt und sich mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg nie abgefunden. Die NSDAP erschien ihr als Bundesgenosse, um den militärischen Wiederaufstieg Deutschlands zu ermöglichen.

Zwar habe es auch in der Wehrmacht Widerstand gegen die Art der Kriegsführung im Osten und Südosten gegeben. Spätestens 1938/40 sei die Wehrmacht jedoch weitgehend faschistisch geformt gewesen sei, stellt Kühnl fest. Rechtsempfinden habe “u.U. hinter Kriegsnotwendigkeit zu treten”, formulierte Generalleutnant Müller beim Verlesen des Barbarossa-Erlasses vor Offizieren und Heeresrichtern.

Die Folgen dieser Geisteshaltung beschreiben Christian Gerlach für die Sowjetunion und Martin Seckendorf für Italien und Griechenland. In Italien habe die Hauptverantwortung für die Sicherung des besetzten Gebietes bei der Wehrmacht gelegen. Für jeden getöteten Deutschen sollten zehn Italiener sterben.

Doch diese Regelung wurde bald sehr flexibel gehandhabt. “Werden Soldaten usw. aus Ortschaften beschossen, so ist die Ortschaft niederzubrennen. Täter und Rädelsführer sind öffentlich aufzuhängen”, hieß es später.

Gegen Ende der Besetzung wurden die Opfer unter der Zivilbevölkerung in den Berichten der Wehrmacht unter der Rubrik “Feindverluste” aufgeführt. Bemerkenswert ist dabei, daß die Deutschen in den Kämpfen kaum Verluste hatten. Das lasse Rückschlüsse auf die Art der deutschen Kampfführung und auf den “Feind” zu, so Seckendorf.

Als eine Ursache für die Massenverbrechen der Wehrmacht in Italien führt Seckendorf die Befehlslage an. Die Befehle waren immer nach dem gleichen Muster aufgebaut.

Einerseits wurde – im überhöhten Superlativ – das grausamste und brutalste Vorgehen gegen Partisanen und deren Sympathisanten verlangt. Andererseits wurde versichert, daß kein Soldat oder Offizier für sein Verhalten “im Bandenkampf” juristisch oder disziplinarisch belangt werde. Die deutsche Militärführung war sich also durchaus im Klaren darüber, daß ihre Art der Kriegführung den “normalen” Rahmen überschritt.

In Griechenland ließ die Wehrmacht kein Zweifel über ihre Verantwortlichkeiten aufkommen. Als “Herr über Leben und Tod” aller Griechen bezeichnete sich ein deutscher Kommandant in Griechenland. Der Kommandant für die Ost-Ägäis leitete eine Verordnung über die Gettoisierung der Jüdinnen und Juden auf Rhodos mit dem Satz ein: “In Ausübung der vollziehenden Gewalt wird folgendes angeordnet…”

Gegen jede Form von Widerstand wurde mit Terror vorgegangen. “Die Zahl der Toten stieg sprunghaft. Mordaktionen mit 100 und mehr Toten waren fast alltäglich. Ganze Landstriche wurden entvölkert und verwüstet”, beschreibt Seckendorf das deutsche Vorgehen.

“Der Kampf gegen die Banden … mit den allerbrutalsten Mitteln führen”, war der Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht von 1942. “Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkungen auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anwenden”, heißt es weiter, gefolgt von der Zusicherung, dass niemand wegen Ausführung dieser Befehle belangt würde.

Seckendorf weist darauf hin, dass die in Griechenland vielfach praktizierte Tötung von Frauen und Kindern deshalb nicht als “Ausschreitungen einzelner Soldaten und Offiziere” gesehen werden könne. Vielmehr entsprächen sie einer klaren Befehlslage.

Den Bogen zur Gegenwart schlägt Wolfram Wette: “Mit den neuen Aufgaben der Bundeswehr” werde “zugleich die Traditionslinie der Bundeswehr neu vermessen”. Militärs neigten stark dazu, ihre Legitimation aus einem bestimmten Verständnis von Geschichte abzuleiten. Rechtsradikalismus sei in der Bundeswehr keine Neuheit.

Doch seit die Bundeswehr auch “out of area” eingesetzt werde, seien mancherorts Machtphantasien freigesetzt worden. Als Vorbilder für Kampfeinsätze suchten Soldaten verstärkt nach Vorbildern – so auch in der Wehrmacht.

Die politischen Rahmenbedingungen erläutert im letzten Aufsatz des Buches Gerd Wiegel. “Festzustellen ist eine Rückkehr Deutschlands in die Kontinuität einer imperialistischen Machtpolitik”. Revisionistische Geschichtsbilder, wie sie innerhalb und außerhalb der Bundeswehr vertreten würden, hätten da eine eindeutige Funktion: sie “sollen die historischen Barrieren, die einer ungehemmten deutschen Machtpolitik bisher entgegenstanden, überwinden”.

Die Anforderungen, die sich jetzt für die neue Bundeswehr zu ergeben scheinen, erläutert Wiegel mit einem Zitat von Oberstleutnant Reinhard Herden: “Sind Deutschland und die Bundeswehr wirklich mit allen Konsequenzen bereit, sich auf Gegner einzulassen, die nichts zu verlieren haben? Sie werden auf einen Gegner treffen, der Gefallen am Töten gefunden hat … der zu unbeschreiblichen Greueltaten fähig ist und seine Landsleute opfert, um zu überleben. Verrat ist ihm zur zweiten Natur geworden … Ist die Bundeswehr bereit und legitimiert, dieser Bedrohung notfalls auch mit brutaler Gewalt zu begegnen?”

Die Tatsache eines Vernichtungskrieges sei zwar laut Wiegel nicht aktuell, da ein politisches System fehle, das diesen hervorbringen könne. Doch die gedanklichen und sprachlichen Kontinuitäten zur Wehrmacht in den Sätzen von Oberstleutnant Herden geben schon zu denken.

Johannes Klotz (Hg.): Vorbild Wehrmacht? Wehrmachtsverbrechen, Rechtsextremismus und Bundeswehr, Köln (PapyRossa-Verlag) 1998; 24,80 DM.


Autor: Dirk Eckert

Vorbild Wehrmacht?

Rezension des Buches Vorbild Wehrmacht? Wehrmachtsverbrechen, Rechtsextremismus und Bundeswehr

philtrat, 31.10.1998, Zeitung der StudentInnenschaft der Philosophischen Fakultät der Universität Köln, nr. 25

philtrat Rezension

Mit der Ausstellung “Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht. 1941-1944”, auch bekannt als Wehrmachtsausstellung, ist die Wehrmacht wieder ins öffentliche Interesse gerückt. “Vorbild Wehrmacht?” fragt denn auch eine von Johannes Klotz herausgegebenen Aufsatzsammlung, die dieses Jahr im Kölner PapyRossa-Verlag erschienen ist. Dabei soll nicht nur die Rolle der Wehrmacht im NS-System untersucht werden, sondern auch ein Bogen zur Bundeswehr und den rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr gezogen werden.

Die Wehrmacht habe den Raum freigekämpft, in dem Massen- und Völkermord betrieben werden konnten, stellt Reinhard Kühnl fest und ergänzt, daß die Wehrmacht auch selbst aktiv in die Mordmaschinerie eingegriffen habe.

Die Reichswehr habe die Weimarer Republik abgelehnt und mehr oder weniger autoritäre Staatskonzepte verfolgt und sich mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg nie abgefunden. Die NSDAP erschien ihr als Bundesgenosse, um den militärischen Wiederaufstieg Deutschlands zu ermöglichen.

Zwar habe es auch in der Wehrmacht Widerstand gegen die Art der Kriegsführung im Osten und Südosten gegeben. Spätestens 1938/40 sei die Wehrmacht jedoch weitgehend faschistisch geformt gewesen sei, stellt Kühnl fest. Rechtsempfinden habe “u.U. hinter Kriegsnotwendigkeit zu treten”, wie es Generalleutnant Müller beim Verlesen des Barbarossa-Erlasses vor Offizieren und Heeresrichtern formulierte.

Die Folgen dieser Geisteshaltung beschreiben Christian Gerlach für die Sowjetunion und Martin Seckendorf für Italien und Griechenland. In Italien habe die Hauptverantwortung für die Sicherung des besetzten Gebietes bei der Wehrmacht gelegen. Für jeden getöteten Deutschen sollten zehn Italiener sterben. Doch diese Regelung wurde bald sehr flexibel gehandhabt. “Werden Soldaten usw. aus Ortschaften beschossen, so ist die Ortschaft niederzubrennen. Täter und Rädelsführer sind öffentlich aufzuhängen”, hieß es später.

Gegen Ende der Besetzung wurden die Opfer unter der Zivilbevölkerung in den Berichten der Wehrmacht unter der Rubrik “Feindverluste” aufgeführt. Bemerkenswert ist dabei, daß die Deutschen in den Kämpfen kaum Verluste hatten. Das lasse Rückschlüsse auf die Art der deutschen Kampfführung und auf den “Feind” zu, so Seckendorf.

Als eine Ursache für die Massenverbrechen der Wehrmacht in Italien führt Seckendorf die Befehlslage an. Die Befehle waren immer nach dem gleichen Muster aufgebaut. Einerseits wurde – im überhöhten Superlativ – das grausamste und brutalste Vorgehen gegen Partisanen und deren Sympathisanten verlangt. Andererseits wurde versichert, daß kein Soldat oder Offizier für sein Verhalten “im Bandenkampf” juristisch oder disziplinarisch belangt werde. Die deutsche Militärführung war sich also durchaus im Klaren darüber, daß ihre Art der Kriegsführung den “normalen” Rahmen überschreitet.

In Griechenland ließ die Wehrmacht kein Zweifel über ihre Verantwortlichkeiten aufkommen. Als “Herr über Leben und Tod” aller GriechInnen bezeichnete sich ein deutscher Kommandant in Griechenland. Gegen jede Form von Widerstand wurde mit Terror vorgegangen. “Die Zahl der Toten stieg sprunghaft. Mordaktionen mit 100 und mehr Toten waren fast alltäglich. Ganze Landstriche wurden entvölkert und verwüstet”, beschreibt Seckendorf das deutsche Vorgehen.

Den Bogen zur Gegenwart schlägt Wolfram Wette: “Mit den neuen Aufgaben der Bundeswehr” werde “zugleich die Traditionslinie der Bundeswehr neu vermessen”. Militärs neigten stark dazu, ihre Legitimation aus einem bestimmten Verständnis von Geschichte abzuleiten. Rechtsradikalismus sei in der Bundeswehr keine Neuheit. Doch seit die Bundeswehr auch “out of area” eingesetzt werde, seien mancherorts Machtphantasien freigesetzt worden. Als Vorbilder für Kampfeinsätze suchten Soldaten verstärkt nach Vorbildern – so auch in der Wehrmacht.

Die politischen Rahmenbedingungen erläutert im letzten Aufsatz des Buches Gerd Wiegel. “Festzustellen ist eine Rückkehr Deutschlands in die Kontinuität einer imperialistischen Machtpolitik”.

Die Anforderungen, die sich jetzt für die neue Bundeswehr ergeben, erläutert Wiegel mit einem Zitat von Oberstleutnant Reinhard Herden: “Sind Deutschland und die Bundeswehr wirklich mit allen Konsequenzen bereit, sich auf Gegner einzulassen, die nichts zu verlieren haben? Sie werden auf einen Gegner treffen, der Gefallen am Töten gefunden hat, (…) der zu unbeschreiblichen Greueltaten fähig ist und seine Landsleute opfert, um zu überleben. Verrat ist ihm zur zweiten Natur geworden. (…) Ist die Bundeswehr bereit und legitimiert, dieser Bedrohung notfalls auch mit brutaler Gewalt zu begegnen?”

Die Tatsache eines Vernichtungskrieges sei zwar laut Wiegel nicht aktuell. Da ein politisches System fehle, das diesen hervorbringen könne. Doch die gedanklichen und sprachlichen Kontinuitäten zur Wehrmacht in den Sätzen von Oberstleutnant Herden geben schon zu denken.

Johannes Klotz (Hg.): Vorbild Wehrmacht? Wehrmachtsverbrechen, Rechtsextremismus und Bundeswehr, PapyRossa-Verlag, Köln 1998, 24,80 Mark.


Autor: Dirk Eckert