Ist pazifistische Bildungsarbeit nach 20 Jahren noch aktuell?

jW sprach mit Roland Schüler, Vorstandsmitglied des Kölner Friedensbildungswerk, das vor kurzem sein 20jähriges Bestehen beging

junge Welt, 15.11.2002,

Interview junge Welt

F: Wie kam es zur Gründung des Friedensbildungswerkes?

Roland Schüler: Das war ein Kind der Friedensbewegung der 80er, die sich nach dem NATO-Doppelbeschluß bildete. Die Friedensbewegung hat sehr viel in Lerngruppen gearbeitet und soziale Bildungsarbeit gemacht. Sich zu informieren ist einer der wichtigsten Punkte jeder Bewegung. Wir hatten kein Expertentum, weil es das nicht gab oder es nicht direkt für die Friedensgruppen zugänglich war.

F: Das war vor zwanzig Jahren. Was hat sich seitdem geändert?

Roland Schüler: Wenn man die aktuelle politische Diskussion betrachtet, dann hat sich nichts geändert. Krieg und die Bereitschaft zum Krieg sind in der Gesellschaft und zwischen den Staaten weiterhin vorhanden. Der Unterschied zu damals liegt darin, daß der Krieg jetzt in allen Medien angekündigt wird. Der Afghanistan-Krieg, aktuell der Irak-Krieg sind angekündigte Kriege.

Vor zwanzig Jahren war es unsere Aufgabe und die Aufgabe der Bewegungen, überhaupt Informationen zu sammeln, weiterzugeben und auf diese Weise Sicherheits- und Verteidigungspolitik öffentlich und transparent zu machen.

F: Heute diskutieren Journalisten in Talkshows, ob es von Vor- oder Nachteil wäre, den Irak anzugreifen.

Roland Schüler: Ja, und auch die Politik diskutiert das öffentlich. Was wir allerdings nicht erreicht haben, ist, daß man die richtigen Schlüsse aus den öffentlichen Debatten zieht.

F: Seitdem hat sich das soziale Umfeld verändert. Die Grünen haben sich zum Beispiel zur Kriegspartei gewandelt. Wie hat sich das auf das Friedensbildungswerk ausgewirkt?

Roland Schüler: Das hat sich positiv ausgewirkt. Daß Teile der Bündnispartner oder der Klientel jetzt in der Regierung sind, hat dazu geführt, daß die Leute, die eine andere Vorstellung haben von Friedenspolitik, sich wieder mehr der friedenspolitischen Bildung zuwenden.

F: Wann lief Ihre Arbeit am besten?

Roland Schüler: Mit dem Golfkrieg Anfang 1991 war vom Engagement und Zuspruch her ein Höhepunkt erreicht. Erst nachdem man merkte, daß alles, aber auch wirklich alles Engagement nichts nützte, ist der Zuspruch weggebrochen.

F: Dann war Bosnien der Tiefpunkt?

Roland Schüler: Ja, die ganze Entwicklung in Jugoslawien ist an der Friedensbewegung und der friedenspolitischen Bildung vorbeigegangen. Es ging erst wieder aufwärts, als man einen konkreten Punkt hatte: Als sich die Grünen auf die andere Seite stellten und dann 1998 den Jugoslawien-Krieg forcierten.

F: Haben sich nach dem 11. September wieder Menschen abgewandt? Nach Bosnien und Kosovo war das die dritte Gelegenheit zu sagen: Aber diesmal geht es doch nicht ohne Militär.

Roland Schüler: Nein, heute steht eine andere Fragestellung im Vordergrund. Diese Art der Intervention mit Militär kann nicht die richtige Antwort auf Terrorismus sein. Aber wie kann man mit dieser neuen Form des Terrorismus umgehen?

Genau das ist im Anschluß an den 11. September 2001 diskutiert worden. Das kann man nicht mit althergebrachten Politikrezepten und Vorstellungen beantworten. Genau solche Diskussionen sind in den Räumen des Friedensbildungswerkes gut aufgehoben.

F: Welche Bilanz ziehen Sie nach zwanzig Jahren?

Roland Schüler: Wir haben zwei Dinge erreicht. Der erste große Erfolg war, daß Friedens- und Sicherheitspolitik öffentlich diskutiert werden. Das andere ist, was wir im Bereich von alternativer Konfliktbearbeitung hier im Raum Köln mit Menschen bewirken konnten. Wenn wir auch nicht die ganze Welt verändern, so machen wir doch – wie vor zwanzig Jahren – Basisarbeit, in dem wir vor Ort Formen alternativer Konfliktbearbeitung – wie Mediation und Schulstreitschlichtung – verbreiten.

F: Wer sind heute Ihre Bündnispartner?

Roland Schüler: Wir arbeiten immer noch mit den Dritte-Welt-Initiativen zusammen. Die sind aber inzwischen auch weniger geworden. Selbstverständlich gibt es immer noch die Friedensbewegung. Und natürlich spielen heute die Globalisierungskritiker von ATTAC eine wichtige Rolle. ATTAC ist ja auch eine Bewegung, die von unten kommt.


Autor: Dirk Eckert