Impuls (SWR2), 21.09.2016
Geschichte / Archäologie Köln Radio SWR2
Von Lucy, dem Frühmenschen, wissen wir seit neuesten Untersuchungen des Skeletts, dass sie durch einen Sturz vom Baum ums Leben kam. Es sind Knochenfunde wie ihrer, die zu der These geführt haben, dass die Menschheit in Afrika entstanden ist. Wo Lucy einst durch die Bäume kletterte – ihre Überreste fand man 1974 in Äthiopien – da untersuchen heute Wissenschaftler, welche Umweltbedingungen herrschten, als der moderne Mensch entstand. Und die Forscher aus verschiedenen Ländern, darunter aus Deutschland, wollen herausfinden, was homo sapiens später veranlasst hat, seine angestammten Gebiete zu verlassen.
Frank Schäbitz hat da eine Vermutung: Veränderte Umweltbedingungen könnten ein Grund sein. Der Kölner Professor hat deshalb 2014 Bohrungen am Grund des Lake Chew Bahir in Äthiopien geleitet, im Deutschen auch als Stefaniesee bekannt. Denn was sich dort im Laufe der Jahrtausende angesammelt hat, gibt wichtige Hinweise auf die jeweiligen Klimabedingungen und damit auch auf die Vegetation und wie dort Menschen leben konnten. Frank Schäbitz:
O-Ton Schäbitz (schaebitz-sedimente-1):
„Und der See kriegt einmal über die Luft, aber auch über die Zuflüsse Materialien zugeführt. Und diese Materialien, wenn der See keinen Ausfluss hat, bleiben im See und werden dort am Boden abgelagert, in den sogenannten Seesedimenten. Und solange der See nicht komplett austrocknet, besteht auch keine Gefahr, dass diese Sedimente wieder entfernt werden, sondern sie wachsen auf.“
Bis zu 280 Meter tief haben die Wissenschaftler gebohrt. Es war eine aufwendige Kampagne mit Bohrspezialisten und Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen, darunter Archäologen, Ethnologen und Geowissenschaftler. Allein an Wasser mussten jeden Tag 40.000 Liter herbeigeschafft werden, zwei Tanklaster waren im Dauereinsatz. Am Ende hatte das Team in mehreren gleichzeitigen Bohrungen 3500 Kilogramm an Sedimenten gewonnen. In den USA wurden die Bohrkerne dann aufgeschnitten und gescannt. Jeder Kleinigkeit, die die Forscher finden, gibt wertvolle Hinweise. Blütenpollen und Insekten erzählen von der Vegetation, Muschelkrebse vom Salzgehalt.
O-Ton Schäbitz (schaebitz-scanner):
„Da muss man im Prinzip nur die Bohrhälften auf die Maschinen legen und der Scanner fährt darüber wie ein Fotoapparat und kann je nach Einstellung ganz dünne Lagen dann messen. Das geht soweit, dass man also im unter dem Millimeterbereich feine Lagen messen kann. Wir messen das kontinuierlich von oben bis unten durch.“
Die Sedimente erzählen die Geschichte der mindestens letzten 200.000 Jahre, vielleicht sogar der letzten 450.000 Jahre, und decken damit komplett die Zeit ab, seit der homo sapiens die Welt betreten hat. Erste Ergebnisse der Bohrungen sind inzwischen absehbar: Demnach gab es in der Zeit vor 120.000 bis 70.000 Jahren starke Klimaschwankungen in Ostafrika. Die Menschen damals müssen unfreiwillig schnelle Anpassungen trainiert haben, vermutet Schäbitz. Zumal das bergige Äthiopien auch noch die Möglichkeit bot, die Höhenlage zu wechseln, um in andere Klimazonen zu kommen. Doch für die Zeit vor 70 bis 60.000 Jahren konnten die Wissenschaftler einen Klimawechsel ausmachen: Es wurde dauerhaft trocken.
O-Ton Schäbitz (schaebitz-balkanroute):
„Dieser Klimaumschwung so zwischen 60 und 70.000 Jahren, den wir jetzt bei uns in den Seesedimenten sehen, der könnte vielleicht der Anlass gewesen sein, dann Ostafrika zu verlassen und eventuell auf der Nilroute nach Norden zu kommen und dann eben über den Nahen Osten, über die Balkanroute, wie man das so schön sagt, dann hier bis nach Mitteleuropa zu kommen.“
Der moderne Mensch – ein Klimaflüchtling? Soweit sind die Forscher noch nicht, denn die vollständige Auswertung dauert noch ein paar Jahre. Ziel ist es, aus den verschiedenen Bohrkernen ein sogenanntes Altersmodell zu erstellen, also eine möglichst lückenlose Zeitleiste. Dann versteht man vielleicht besser, warum der Mensch seinen Zug über die ganze Welt angetreten hat. Frank Schäbitz:
O-Ton Schäbitz (schaebitz-theorien):
„Da gibt es seit Jahren eine ganze Menge an Theorien. Einige sind naturwissenschaftlich begründet, dass sich das Klima geändert hat, dass sich die Umwelt daraufhin geändert hat, und dass der Mensch dann quasi ein Klimaflüchtling ist, als er sich auf den Weg machte. Aber es gibt auch mittlerweile einige interessante Erkenntnisse, dass das nicht ausschließlich nur naturbestimmte Gründe gab, sondern auch durchaus Gründe, die in der Gesellschaft, in den frühen Kulturen, die sich da entwickelt haben, mitbegründet liegen.“
Autor: Dirk Eckert
MP3: http://mp3-download.swr.de/swr2/impuls/beitraege/2016/09/21-waren-sie-klimafluechtlinge.12844s.mp3