Wenn das Holz Klimageschichte erzählt

Archaeologische Holzfunde sind wichtige Klimadatenspeicher. Denn an den Jahresringes eines Baumes laesst sich mehr ablesen als das Alter.

Impuls (SWR2), 08.08.2016

Radio SWR2

Die Dendrochronologie datiert archäologische Holzfunde anhand der Jahresringe der Bäume. Inzwischen gibt es ganze Archive, in denen Hölzer nicht nur gesammelt und konserviert, sondern auch digital erfasst werden. Das ist nicht nur für Archäologen interessant, sondern auch für die Klimaforschung, denn die Baumringe verraten auch viel über die jeweiligen Umweltbedingungen: Die Bestände reichen inzwischen aus, um das Klima der vergangenen 9.250 Jahre zu rekonstruieren – und zwar jahrgenau.

Manuskript

Etwa 450 Jahre alt ist die große runde Baumscheibe, die da auf dem Tisch vor Thomas Frank liegt. Das mal hellbraune, mal dunkelbraune Holz sieht noch frisch aus, denn der Baum ist erst dieses Jahr einem Sturm zum Opfer gefallen. Jetzt liegt das mächtige Stück Holz im neuen Dendro-Forschungsarchiv Nordrhein-Westfalen in Köln. Thomas Frank, Laborleiter Dendroarchäologie am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Köln, leitet das Archiv, in dem die Bäume und ihre Lebensgeschichte zum Sprechen gebracht werden. Natürlich weiß er, wie man Jahressringe liest:

O-Ton Frank:

„Sie sehen hier diese ganz feinen hellen Linien. Das sind die so genannten Markstrahlen, die immer zum Zentrum führen. Und dazwischen sehen Sie immer helle und dunkle Abschnitte. Und die hellen Abschnitte werden durch die Frühholzzellen gebildet. Und diese etwas dunkleren Streifen sind das so genannte Spätholz. Und beides zusammen ergibt einen Jahrring.“

Anhand der Breite der Jahresringe können Dendrochronologen einen Kalender erstellen. Vom Jahr 7236 vor Christus bis heute reichen die Holz-Bestände des Dendro-Forschungsarchivs, die Forscher in den vergangenen 40 Jahren zusammengetragen haben. Findet jemand ein altes Stück Holz, müssen nur die Jahresringe ausgemessen werden, und schon lässt sich das Material datieren – und zwar jahrgenau.

O-Ton Frank:

„Ich kann mindestens für zwei Jahreszeiten Klimainformationen ableiten, und das über Jahrtausende weit zurück. Das ist auch mit der Grund, warum mein Vorgänger, Dr. Burghart Schmidt, alle diese Funde aufbewahrt hat: Weil er nämlich geahnt hat, dass wir eines Tages naturwissenschaftliche Verfahren haben werden, von denen man damals nur träumen konnte, die uns aber noch Informationen über dieses Klimageschehen geben, Informationen, die in diesem biologischen Umweltarchiv Baum drinstecken.“

Denn tatsächlich machen Dendro-Wissenschaften heute weit mehr, als Jahresringe zu bestimmen. Inzwischen gibt es neue Methoden, das zum Teil Jahrtausende alte Holz zu untersuchen. Die Dendro-Chemie analysiert zum Beispiel die chemischen Bestandteile des Holzes. Und mit der Hochfrequenz-Dichtemessung lassen sich Dichteunterschiede in den Jahresringen feststellen. Was heute alles möglich ist, das habe sich vor 30 Jahren kein Mensch vorstellen können, sagt Frank:

O-Ton Frank:

„Wir können heute in großem Maßstab die stabilen Isotope, die Verhältnisse der stabilen Isotope im Holz zueinander untersuchen. Das sind vor allem das Verhältnis von 12C und 13C, dem Kohlenstoff, was dann als ein Deltawert betrieben wird. Und genauso auf 16O zu 18O, die Sauerstoffisotope. Und das ging schon seit den 90er Jahren, aber steckte noch in den Anfängen. Heute haben wir große Massenspektrometer, die solche Proben auch in großer Menge und sehr schnell untersuchen können.“

Damit eröffnen sich den Archäologen, aber auch anderen Wissenschaften, ganz neue Möglichkeiten. Denn aus der Breite der Jahresringe sowie aus der chemischen Analyse des Holzes lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die damaligen Umweltbedingungen ziehen. Sind die Baumringe breiter, war das Wetter günstig. Man kann daraus schließen, dass auch die Ernten in diesem Jahr gut waren. Plötzliche Klimaveränderungen, die die Bäume am Wachsen hindern, wirkten sich auch auf alle anderen Pflanzen aus, und damit auch auf die Landwirtschaft. Wenn Vulkane ausbrechen und mit ihrer Asche den Himmel verdunkeln, lässt sich das in Jahresringen erfassen. Der Ausbruch des Krakatau 1883 hatte solche Folgen oder die Eruption von Santorin 1627 v. Chr. Thomas Frank:

O-Ton Frank:

„Das hat Einfluss auf die Getreideproduktion, auf das gesamte wirtschaftliche Leben einer Gesellschaft. Also, diese Umweltinformationen sind heute aus der Archäologie auch nicht mehr wegzudenken. Die gehören mit dazu, um das Gesamtbild interpretieren zu können. Paläoklimatologie ist ein wichtiger Informant geworden für unsere archäologischen Wissenschaften.“

Bisher lagerten die Holzstücke und Baumstämme der Kölner Dendrochronologen mehr schlecht als Recht auf einem Bauernhof im Bergischen Land. Jetzt sollen die Bestände, die auf 20 bis 30.000 Proben geschätzt werden, ins neue Forschungsarchivs NRW aufgenommen werden. Dazu muss jedes einzelne Stück umgepackt, inventarisiert und mit einem Barcode versehen werden. Das ganze geht nur in Schutzkleidung. Denn niemand kann ausschließen, dass immer noch Keime, Bakterien oder Krankheitserreger in einem Stück Holz stecken, das dereinst in einer mittelalterlichen Toilette verbaut war. Am Schluss werden die in Folie eingepackten Holzstücke in einer Datenbank registriert. Hat dann jemand eine Anfrage, soll die künftig innerhalb eines Tages beantwortet werden können.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://mp3-download.swr.de/swr2/impuls/beitraege/2016/08/08-dendrochronologie.12844s.mp3