Saudi-Arabien – Garant für Stabilität oder auf gefährlichem Konfliktkurs mit dem Iran?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 28.11.2015

NDR Radio

Seit März führt Saudi-Arabien jetzt Krieg im Jemen. Eines der Kriegsziele hat das Königreich inzwischen erreicht: Der vom Stamm der Huthi vertriebene Präsident des Landes, Abd Rabbuh Mansur Hadi, ist in diesem Monat wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Er war nach Saudi-Arabien geflohen. Doch die von der saudischen Regierung aufgestellte Truppe konnte die Huthi bislang noch nicht aus der Hauptstadt Sanaa vertreiben. Riad sieht sie als Verbündete des Irans an und will sie deshalb von der Macht auf der arabischen Halbinsel fernhalten.

Inzwischen ist die humanitäre Lage im Jemen nach mehr als sieben Monaten Krieg verheerend. Alle namhaften Hilfsorganisationen der Welt – Amnesty International, Human Rights Watch, Oxfam, das Internationale Rote Kreuz, Save the Children, die Weltgesundheitsorganisation, das Welternährungsprogramm – alle beklagen unisono die schlechte Lage der Bevölkerung. Der Chef des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, sprach bei einem Besuch Anfang August von einer humanitären Katastrophe:

O-Ton Maurer (overvoice)

„Ich sehe eine Menge ernsthaft verletzter Menschen. Die Situation hier in Aden ist katastrophal. Es muss viel mehr getan werden für die Menschen, die jeden Tag unter diesem Konflikt leiden.“

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind in dem Krieg bisher mehr als 5.000 Menschen getötet worden, die Hälfte davon Zivilisten. Rund zehn Prozent der Einwohner im Jemen sind auf der Flucht, die Hälfte hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Außerdem werfen Menschenrechtsorganisationen Saudi-Arabien und seinen Verbündeten Kriegsverbrechen vor, sowie die Zerstörung historischer Häuser in der Altstadt von Sanaa, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Stephen O’Brien, Direktor des UN-Büros für Humanitäre Angelegenheiten und Katastrophenhilfe, schilderte Ende Oktober in New York die Lage als dramatisch:

O-Ton O’Brien (overvoice)

„Es besteht großer Bedarf an humanitärer Hilfe in weiten Teilen des Jemens. Betroffen sind etwa 80 Prozent der Bevölkerung. Es ist absolut lebenswichtig, dass wir versuchen, jeden zu erreichen, der in Gefahr ist oder irgendetwas braucht, was humanitäre Hilfe angeht. Natürlich ist die erste und beste Antwort, die Kämpfe zu stoppen.“

Deutliche Worte von den Vereinten Nationen. Doch Saudi-Arabien denkt gar nicht daran, den Krieg zu beenden. Im Westen fragen sich deshalb immer mehr, ob das Königreich noch der Garant für Stabilität in der Region ist, als der das Land lange galt. Schon die Behauptung, dass die Huthi der verlängerte Arm des schiitischen Iran sind, ist fragwürdig. Christian Koch vom Gulf Research Centre in Genf:

O-Ton Koch

„In Riad hat man eben die Befürchtung gehabt, dass, sollte die Huthi-Miliz in der Lage sein, auch die Hafenstadt Aden im Süden [des Jemen] zu kontrollieren, dass es dann sehr schwer sein wird, sie wieder zurückzudrängen und dass damit die Tür geöffnet wird, durch die sich der Iran mehr und mehr in den Jemen einmischt und seine Unterstützung für die Huthis weiter ausweitet.“

Kritiker sind jedoch der Ansicht, dass erst der Krieg die Huthi wirklich in die Arme Teherans getrieben habe. Die Huthi sind sogenannte Zaiditen und gehören damit zwar einer schiitischen Strömung des Islam an. Aber sie sind eben auch Bürger des Jemen und stellen ein Drittel der Bevölkerung. Wie weit sie tatsächlich Kontakte nach Teheran hatten und heute haben, ist umstritten. Doch Riad will auf jeden Fall verhindern, dass die Schiiten ihren Einfluss im Nahen Osten weiter ausbauen und eine weitere Hauptstadt unter ihre Kontrolle bringen – nach Bagdad, Damaskus und Beirut.

Der Krieg im Jemen ist nicht der einzige Grund, weshalb Saudi-Arabien immer mehr in Misskredit gerät. Verstöße gegen die Menschenrechte sind in dem streng islamischen Königreich an der Tagesordnung. Zuletzt machte der Fall des Bloggers Raif Badawi Schlagzeilen, der öffentlich ausgepeitscht wurde. Negativ fällt auch auf, dass die Saudis gegen den sogenannten Islamischen Staat ungleich weniger aktiv sind als im Jemen. Riad sehe in der Terror-Organisation Islamischer Staat oder auch Al Qaida eben keine so große Gefahr, sagt Christian Koch vom Gulf Research Centre.

O-Ton Koch

„Die Saudis haben auf ihrer obersten Prioritätenliste die Gefahr aus dem Iran. Sie ordnen deswegen andere Gefahren, die sie natürlich auch sehen, diesem Ziel unter. So steht der Kampf gegen die Huthis im Jemen im Vordergrund. Man benutzt auch andere Gruppierungen innerhalb des Landes, um diesen Kampf zu unterstützen. Und damit besteht die Gefahr, dass bei Gruppen, zum Beispiel wie Al Qaida, erstmal weggeguckt wird und man sich diesen Problemen erst später widmet, wenn man sein erstes Ziel erreicht hat.“

Und so profitiert ausgerechnet Al Qaida auf der arabischen Halbinsel von dem Krieg. Die Gruppe ist im Jemen seit längerem aktiv. Laut Presseberichten konnte sie ihren Einflussbereich inzwischen weiter ausbauen und mehrere Städte einnehmen. Wie schon in Syrien und im Irak schaut Saudi-Arabien weg, wenn es um die sunnitische Terrorgruppe geht. Wichtig ist nur, dass der Einfluss des schiitischen Irans eingedämmt wird.

Für seinen Krieg im Jemen hat Saudi-Arabien allerdings die Unterstützung der sunnitischen Welt. Die Liste ist lang. Zur Kriegskoalition gehören Ägypten, Bahrain, Kuwait, Oman, Jordanien, Marokko, Mauretanien, Katar, Senegal, Somalia, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Sudan. Dass der Sudan dabei ist, ist insofern bemerkenswert, als sich das Land unter dem vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesuchten Präsidenten Omar al-Bashir damit offenbar vom Iran abgewendet hat. Die große Koalition hat Gründe: Die Arabische Liga hat noch keine eigenen Streitkräfte. Christian Koch:

O-Ton Koch

„Man ist zwar dabei, ein Projekt einer arabischen Armee mit anderen Staaten, darunter Ägypten, auszuarbeiten. Aber da gibt es bis jetzt noch gar keine konkreten Fortschritte. Und so verlässt man sich im Moment hauptsächlich auf Kämpfer von anderen Ländern, darunter Sudan, Mauretanien. Sogar aus Kolumbien hat man jetzt Söldner in den Jemen gebracht, um dann vom Boden heraus Kämpfe durchzuführen.“

Dass offenbar auch Soldaten aus Katar im Einsatz sind, hat die deutsche Bundesregierung in Erklärungsnöte gebracht. Denn Berlin hatte zuvor die Lieferung von Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 sowie von Panzerhaubitzen genehmigt. Mit der Begründung, dass das Land sich „nicht aktiv an Kampfhandlungen“ im Jemen beteilige. Inzwischen häufen sich die Hinweise, dass dem nicht so ist. Wohl auch wegen des Krieges im Jemen entscheidet die Bundesregierung derzeit nicht über die Lieferung von Schlüsselkomponenten für das Sturmgewehr G36, das in Saudi-Arabien in Lizenz hergestellt wird. Der Hersteller Heckler & Koch hat deswegen eine Untätigkeitsklage gegen die Bundesregierung eingereicht.

Mit den USA hat Saudi-Arabien aber keine solchen Probleme. Diese brauchen Saudi-Arabien im Kampf gegen den Islamischen Staat. Kürzlich genehmigte Washington den Verkauf von modernen Bomben im Wert von 1,3 Milliarden Dollar an Riad. US-Außenministeriums-Sprecher Mark Toner rechtfertigte das Rüstungsgeschäft so:

O-Ton Toner (overvoice)

„Wir betonen seit langem, dass es keine militärische Lösung des Konflikts gibt. Wir rufen die Huthis auf, nicht länger saudische Bürger und saudisches Territorium zu bedrängen und zu attackieren. Wir unterstützen einen UN-Friedensprozess für eine friedliche Lösung des Konflikts.“

Das ist allerdings eine sehr merkwürdige Interpretation des Konflikts. Immerhin hat Saudi-Arabien im Jemen interveniert, während die Huthis Einheimische sind, also Bürger des Landes. Saudi-Arabien kann sich offenbar militärisch auf die USA verlassen. Dabei stellt Washington, genau wie Riad, den Kampf gegen die Terror-Organisation Al Qaida hinten an. Eine Spezialeinheit, die Al Qaida auf der arabischen Halbinsel bekämpfte und nach dem Vormarsch der Huthi abgezogen worden war, soll erst wieder zurückkehren, wenn Präsident Hadi wieder in Sanaa an der Macht ist. Das zeigt: Das saudische Vorgehen im Jemen findet die Unterstützung der USA. Ob dieser Krieg aber ein Beitrag zur Stabilität der Region ist, darf bezweifelt werden.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript558.pdf

MP3: http://media.ndr.de/progressive/2015/1127/AU-20151127-1244-1442.mp3