Sanktionen gegen Russland – Wie Europas Rüstungsindustrie damit umgeht

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 14.11.2015

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Von den EU-Sanktionen gegen Russland ist auch die europäische Rüstungsindustrie betroffen. Nicht nur, dass weitere Rüstungsgeschäfte nun nicht mehr möglich sind. Gestoppt sind auch Rüstungsexporte, die schon lange vor den Sanktionen abgeschlossen wurden und deshalb eigentlich ausgenommen sein sollten. Doch dann war der Druck wegen der russischen Politik gegenüber der Ukraine doch zu groß: In Frankreich wie in Deutschland stoppten die Regierungen millionenschwere Rüstungsdeals. Nicht geliefert werden zwei französische Mistral-Hubschrauberträger und ein Gefechtsübungszentrum des deutschen Herstellers Rheinmetall. Die Folgen sind aber überschaubar, ist sich Rüstungsforscher Jan Grebe vom Bonner International Center for Conversion (BICC) sicher:

O-Ton Grebe

„Insgesamt wird die europäische Rüstungsindustrie dies relativ problemlos verkraften, weil das Gesamtvolumen der Geschäfte mit Russland sehr, sehr gering ist.“

Tatsächlich hat Frankreich es inzwischen geschafft, seine Hubschrauberträger andernorts zu verkaufen. Ägypten übernimmt sie nun, wie der französische Präsident François Hollande Ende September mitteilte. Zuvor hatte sich die französische Regierung relativ geräuschlos mit Moskau geeinigt. Nachdem Paris zuerst noch versucht hatte, den Schiffsdeal mit einem Wohlverhalten Moskaus im Ukraine-Konflikt zu verknüpfen, sagte der Elysée-Palast schließlich zu, dass bereits geleistete Zahlungen vollständig zurückerstattet werden.

Damit geht eine lange Zitterpartie zu Ende. Eingefädelt hatte den Deal 2011 der damalige Präsident Nicholas Sarkozy. Er war deshalb immer dagegen, das Geschäft abzublasen. Doch sein Nachfolger Hollande gab schließlich dem internationalen Druck nach, der insbesondere von Kanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama, Polen und den baltischen Staaten kam, und stoppte das Rüstungsgeschäft. Der innerfranzösische Streit schlug sich auch in der Abstimmung nieder, mit der die französische Nationalversammlung den Auflösungsvertrag billigte, den Paris mit Moskau ausgehandelt hatte. 13 Abgeordnete stimmten dafür, sieben dagegen – von den insgesamt 577 Abgeordneten hatten also die meisten die Abstimmung boykottiert.

Wie hoch der Schaden für die französische Industrie ist, bleibt vorerst unklar. Sarkozy hatte argumentiert, zwei Milliarden gingen verloren, wenn Frankreich das Geschäft mit Russland suspendiert. Die Regierung hatte von weniger als einer Milliarde gesprochen. Die beiden Mistral-Kriegsschiffe hatten ursprünglich einen Kaufpreis von 1,2 Milliarden Euro. Laut Auflösungsvertrag erhält Moskau bereits gezahlte 785 Millionen Euro zurück. Ob zudem eine Entschädigungszahlung fällig wird, ist unbekannt. Wie teuer die Hubschrauberträger am Ende an Ägypten verkauft wurden, wurde nicht mitgeteilt. In Paris kursiert aber die Zahl von 950 Millionen Euro.

Die Franzosen sind damit fein raus, die Deutschen noch nicht. Doch Rüstungsforscher Jan Grebe ist sich sicher, dass auch die deutsche Industrie den Rüstungsexportstopp verkraftet:

O-Ton Grebe

„Insgesamt auch wird die deutsche Rüstungsindustrie die Sanktionen in dem speziellen Bereich gar nicht merken oder sehr, sehr gering nur. Die potenziellen Geschäfte werden in anderen Weltregionen gemacht. Und da ist Russland nur ein ganz kleiner Teil, der auch politisch schon immer problematisch war.“

In Deutschland musste die Firma Rheinmetall die Lieferung eines Gefechtsübungszentrums nach Russland absagen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel untersagte das Geschäft, das Rheinmetall mit 135 Millionen Euro beziffert. Russland zeigte sich davon wenig beeindruckt. Das Gefechtsübungszentrum stehe schon fast, hieß es aus Moskau. Doch Rheinmetall-Sprecher Peter Rücker betont, dass aus Deutschland nichts geliefert wurde:

O-Ton Rücker

„Die Aussage Russlands, dass das Gefechtsübungszentrum in weiten Teilen bereits existiert, kann man damit erklären, dass unser Anteil am gesamten Zentrum nur einen Teil von etwa 10 bis 15 Prozent des gesamten Gefechtsübungszentrums ausmacht, so dass es durchaus sein kann, dass weite Teile in Russland bereits aufgebaut sind.“

Rheinmetall führt nun nach eigenen Angaben Gespräche mit der Bundesregierung über mögliche Entschädigungszahlungen. Insbesondere für den Rheinmetall-Standort Bremen sei der Verlust schon ein Problem, sagt Sprecher Rücker. Für das Unternehmen insgesamt halte sich der Schaden aber in Grenzen, schließlich liege der Umsatz bei 4,5 bis 5 Milliarden Euro pro Jahr. Für die deutsche Rüstungsindustrie ist der Fall dennoch von Bedeutung, geht es doch um eine grundsätzliche Frage: Wer zahlt, wenn nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigte Exporte gestoppt werden? Denn so waren die Rheinmetall-Lieferungen für das Gefechtsübungszentrum – Sensor-, Mess- und Informationstechnik – genehmigt worden. Damit muss jetzt die Frage der Entschädigung neu diskutiert werden, sagt Georg Adamowitsch, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV):

O-Ton Adamowitsch

„Ja, für das betroffene Unternehmen ist dieses natürlich immer ein Problem, weil in dem unternehmerischen Rechnungswesen nicht die politischen Kriterien gelten, sondern Haftungsrecht und andere Fragen. Und weil das Unternehmen jetzt in seiner Bilanz sehen muss, wenn hier nicht bezahlt wird, wie sich das auswirkt. Von daher gibt es intensive Diskussionen mit der Bundesregierung, inwieweit diese politisch getroffene Entscheidung ausgeglichen werden kann. Im Kriegswaffenkontrollgesetz sind dort entsprechende Regelungen vorhanden. Das Gefechtsübungszentrum ist aber nach Außenwirtschaftsgesetz genehmigt worden und da sind solche Kompensationsregeln nicht drin. Von daher ist dieses eine interessante Rechtsmaterie, die, soweit ich informiert bin, noch zu keinen Ergebnissen in den Gesprächen zwischen der Bundesregierung und Rheinmetall geführt hat.“

Für die Geschäfte der deutschen Rüstungsindustrie insgesamt ist der Lieferstopp allerdings ein vergleichsweise kleines Problem. Im Rüstungsexportbericht 2011 macht das Gefechtsübungszentrum 85 Prozent des Geschäftsvolumens mit Russland aus. Es gibt also kaum andere Rüstungsexporte nach Moskau. Künftige Geschäfte erwartet Deutschlands oberster Rüstungslobbyist Adamowitsch, wie Wirtschaftsminister Gabriel übrigens SPD-Mitglied, nun allerdings nicht mehr.

O-Ton Adamowitsch

„In der Zwischenzeit haben sich die außen- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen auch mit Russland tatsächlich diametral verändert, bis hin, dass die westlichen Länder Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt haben. Und von daher ist die Frage, ob sich mit Russland weitere Geschäfte abschließen lassen, obsolet.“

Rüstungsforscher Grebe beobachtet, dass die deutsche Rüstungsindustrie sich deshalb nach anderen Kunden umsieht.

O-Ton Grebe

„Im Nahen und Mittleren Osten sind potenziell große Absatzmärkte, die schon teilweise erschlossen sind. In Asien mit vielen Staaten, die sich auch in ungelösten Territorialkonflikten befinden, die besonders Beschaffung an maritimen Waffensystem haben. Aber auch zu Teilen in Lateinamerika, wo Staaten eine Modernisierungsstrategie der Streitkräfte fahren. Und natürlich zum geringen Teil, da wiederum eher sozusagen Altprodukte, im südlichen Afrika, wo Staaten versuchen, vor allem auf Piraterie zu reagieren.“

Und genau dorthin, in den Nahen Osten, hat ja auch Frankreich die Mistral-Hubschraubträger verkauft. Denn Anhänger des sogenannten Islamischen Staates verüben inzwischen auch in Ägypten Anschläge, vor allem auf der Sinai-Halbinsel. Die Mistral-Hubschrauberträger sind ausgelegt für je 450 Soldaten mit je 16 Kampfhubschraubern und je 13 Panzern. Sie gelten mit ihren Kommandozentralen und schwerem Gerät auch als geeignet für Landeoperationen, zum Beispiel auf dem Sinai. Die Gefahr durch islamische Extremisten hat im Westen die Prioritäten geändert. Die Demokratisierung Ägyptens ist bis auf weiteres suspendiert, dafür soll die Regierung von Präsident Abdal Fattah al Sisi gestärkt werden, damit das Land stabil bleibt. So hat Frankreich Ägypten erst kürzlich 24 Rafale-Kampfflugzeuge verkauft im Wert von 5,2 Milliarden Euro. Für die europäische Rüstungsindustrie öffnet sich hier ein Milliardenmarkt.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript556.pdf

MP3: http://media.ndr.de/progressive/2015/1113/AU-20151113-1300-1942.mp3