Seemacht China – eine Bedrohung für die Region?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 11.07.2015

NDR Radio

China baut und baut. Auf Korallenriffen und Sandbänken im Südchinesischen Meer entstehen durch Aufschüttungen künstliche Inseln mit Start- und Landebahnen für Flugzeuge, Hafenanlagen für Schiffe und Leuchttürme. Nach Erkenntnissen des Center for Strategic and International Studies (CSIS) hat China bisher 12,8 Quadratkilometer künstliches Land geschaffen.

Die anderen Anrainer-Staaten sowie die USA sind deswegen alarmiert und vermuten, dass hinter dem Bauprogramm das Motiv steht, die Meeresregion unter chinesische Kontrolle zu bringen. Denn das Südchinesische Meer ist ein wichtiger Verkehrsweg aus dem ostasiatischen Raum Richtung Westen. Zwei Drittel des Welthandels gehen durch diese Region. Außerdem werden unter dem Meeresboden Rohstoffvorkommen vermutet. Deshalb erheben auch andere Länder wie Brunei, Malaysia, die Philippinen oder Vietnam Ansprüche auf die dortigen Inseln. Umstritten sind die Spratley-, Senkaku-, Paracel- und Zhongsha-Inseln sowie das Scarborough-Riff. Die USA wiederum sind mit Schiffen in der Region präsent.

Die Ansprüche Chinas auf das Südchinesische Meer sind nicht neu. Erstmals proklamiert wurden sie am 1. Dezember 1947 von der Republik China unter der Kuomintang-Regierung als sogenannte 11-Punkte-Linie. Diese Linie umfasste praktisch das gesamte Südchinesische Meer. Nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei reduzierte Zhou Enlai, der erste Ministerpräsident der Volksrepublik, die Zahl der Punkte auf neun. Er strich zwei im Golf von Tonkin an der Grenze zu Vietnam. 2009 übermittelte Peking eine Karte mit der 9-Punkte-Linie in einem Dokument an die Vereinten Nationen. Brunei, Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Vietnam legten umgehend Protest ein, weil die 9-Punkte-Linie gegen internationales Recht wie die UN-Seerechtskonvention verstoße.

Die chinesische Regierung denkt dennoch nicht daran, ihre Ansprüche aufzugeben. So heißt es in der kürzlich veröffentlichten chinesischen Militärstrategie ausdrücklich, einige Nachbarn hätten provokative Aktionen unternommen und chinesische Inseln illegal besetzt. Deshalb müssten im Rahmen der neuen aktiven Verteidigungsstrategie die Seestreitkräfte gegenüber den Landstreitkräften deutlich aufgewertet werden. Zitat:

Zitat:

„Die traditionelle Auffassung, wonach das Land die See überwiegt, muss aufgegeben werden. Es ist notwendig für China, eine moderne maritime Militärstruktur aufzubauen, entsprechend seiner Interessen an nationaler Sicherheit und Entwicklung. China muss seine nationale Souveränität und maritimen Rechte und Interessen schützen. China muss seine strategischen Kommunikationslinien auf See sichern und seine überseeischen Interessen. China muss an der internationalen maritimen Zusammenarbeit teilnehmen und diese unterstützen, um selbst zu einer Seemacht zu werden.“

Direkt aufeinander prallten die Kontrahenten beim sogenannten Shangri-La-Dialog Ende Mai in Singapur. Auf der Sicherheitskonferenz warfen die USA China vor, die künstlichen Inseln nur zu bauen, um Landebahnen für Kampflugzeuge zu schaffen. US-Verteidigungsminister Ashton Carter:

O-Ton Carter (overvoice)
„China hat über 2.000 Morgen Land gewonnen, und damit mehr als alle anderen Staaten zusammen. Niemals zuvor ist in der Region so viel Land gewonnen worden. Und das alles in den vergangenen 18 Monaten. Es ist unklar, wie weit China noch gehen will. Aus diesem Grund ist dieser Meeresteil zu einer Quelle der Spannungen in der Region geworden. Der Konflikt hat zu Nachrichten auf den Titelseiten überall auf der Welt geführt. Die Vereinigten Staaten sind tief besorgt wegen der Geschwindigkeit und wegen des Ausmaßes der Landbeanspruchung im Südchinesischen Meer. Wir sind besorgt über die drohende Militarisierung und darüber, dass diese Aktivitäten das Risiko von Missverständnissen und Konflikten unter den Anrainern erhöhen. Als eine pazifische Nation, eine Handelsnation und ein Mitglied der internationalen Gemeinschaft haben die Vereinigten Staaten jedes Recht, sich einzumischen und besorgt zu sein.“

Carter kündigte an, dass die USA weiter mit Schiffen und Flugzeugen in der Region präsent bleiben würden. Zugleich sprach er sich für eine neue diplomatische Initiative aus, da es keine militärische Lösung geben könne. Für China wies Zhao Xiaozhuo von der Akademie für Militärwissenschaft, die Anschuldigungen zurück:

O-Ton Xiaozhuo (overvoice)

„Die Freiheit der Schifffahrt im Südchinesischen Meer ist überhaupt kein Thema, denn sie ist nicht bedroht. Es gibt keinen Grund, China wegen seiner Bauprojekte zu beschuldigen, Frieden und Stabilität zu gefährden. Denn China hat niemals proaktive Maßnahmen unternommen. Tatsächlich existieren die Konflikte im Südchinesischen Meer schon seit Jahrzehnten. Die Region ist friedlich und stabil geblieben, gerade weil China sich so sehr zurückgehalten hat.“

Das sehen Chinas Nachbarn allerdings anders. Dabei ist eine friedliche Lösung aller Streitigkeiten nicht unmöglich. Ein erster Schritt ist längst gemacht: 2002 einigten sich China und die ASEAN, der Verband Südostasiatischer Staaten, darauf, einen Code of Conduct zu erarbeiten, der das Verhalten im Südchinesischen Meer regeln soll. Dabei bekannten sie sich auch zur Freiheit der Schifffahrt und zur Geltung der UN-Seerechtskonvention von 1982. Dieser Konvention ist auch China 1996 beigetreten. Auch Pentagonchef Carter sprach sich für einen Code of Conduct zwischen China und dem Staatenbund ASEAN aus, um die Streitfragen zu lösen. Ebenso der malaysische Verteidigungsminister Hishammuddin Hussein:

O-Ton Hussein (overvoice)

„Malaysia ist sich mehr als bewusst, was im Südchinesischen Meer auf dem Spiel steht. Deshalb haben wir ständig darauf gedrängt, dass der Konflikt in erster Linie diplomatisch gelöst wird. Wir bleiben dabei: Der Code of Conduct ist der beste Weg, die verschiedenen Ansprüche im Südchinesischen Meer zu regeln. Diese Beratungen müssen verstärkt werden, um schnell einen effektiven Code of Conduct zu etablieren. Dann hätten wir endlich den Schlüssel in der Hand, um die Region ordentlich zu verwalten. Denn von der Nutzung der Seewege hängt vieles ab.“

Dennoch konnte man sich seit Jahren nicht auf den Code of Conduct einigen. Immerhin haben Peking und die ASEAN-Staaten bei Beratungen Anfang Juni bekräftigt, ihn in Kürze auszuarbeiten. Gelingt dies nicht, geht die Konfrontation wohl weiter. Denn auch Vietnam baut Anlagen auf den Spratley-Inseln Sand Cay und West London Reef, wie das amerikanische Center for Strategic and International Studies im Mai publik machte. Vietnam kontrolliert den größten Teil der Inselgruppe. Wegen des Inselstreits mit China nähert sich Vietnam sogar dem ehemaligen Kriegsgegner USA an. Kürzlich war US-Verteidigungsminister Ashton Carter zu Gesprächen in Hanoi, wo er und sein Amtskollege Phung Quang Thanh lächelnd und händeschüttelnd vor den Kameras posierten. Carter sagte Vietnam 40 Jahre nach Ende des Vietnam-Krieges Rüstungshilfe im Wert von 18 Millionen Dollar zu, mit denen Vietnam Patrouillen-Boote aus US-Produktion kaufen soll. Und Anfang Juli flog sogar der vietnamesische KP-Chef Nguyen Phu Trong in die USA, wo er im Weißen Haus empfangen wurde.

Auch das etwas weiter entfernt liegende Australien will seine Kontrollfahrten durch das Südchinesische Meer fortsetzen. Japanische Militärs wiederum haben sich für gemeinsame Patrouillen-Fahrten mit der US-Marine ausgesprochen. Generalstabschef Katsutoshi Kawano sagte dem WALL STREET JOURNAL, hierfür gebe es gegenwärtig zwar keine Pläne. Aber wenn China weiterhin aufrüste und seine Präsenz im Südchinesischen Meer ausweite, dann müsse Japan über Patrouillen in der Region nachdenken. Der Befehlshaber des US-Pacific Command, Admiral Harry Harris, lud daraufhin Japan umgehend zu gemeinsamen Operationen ein.

So festgefahren die Lage ist, so ist doch ein Krieg um die Inseln nicht unvermeidlich. Experten erinnern daran, dass China und die USA viele gemeinsame Interessen haben. Beide sind Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und tragen Verantwortung für Frieden, Stabilität und Wohlstand in der Welt. Der Streit um das Südchinesische Meer ist dagegen nur ein regionaler Konflikt, dessen Eskalation allen Beteiligten schaden würde.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript534.pdf

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20150710-1258-2742.mp3