dw-world.de, 14.02.2008, http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,3121015,00.html
Europäische Union (EU) Internationale Politik Wirtschaft DW-WORLD.DE
“Bis Sonntag wird alles unter Dach und Fach sein”, werden ranghohe Politiker des Kosovos zitiert: Der 17. Februar wird derzeit als der wahrscheinlichste Tag gehandelt, an dem die Provinz ihre Unabhängigkeit von Serbien erklären könnte. Noch völlig unklar ist dabei allerdings, ob das Kosovo alleine ökonomisch überhaupt lebensfähig wäre, schließlich galt es bereits zu Zeiten des Kalten Krieges als das “Armenhaus Jugoslawiens”.
Extreme Armut
Auch heute noch gehört das Land zu den ärmsten Regionen Europas: 2005 lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen laut Weltbank bei 1243 Euro im Jahr. 37 Prozent der Bevölkerung leben in Armut und haben umgerechnet weniger als 1,42 Euro am Tag zur Verfügung. Am weitesten verbreitet ist die Armut vor allem bei Kindern und Senioren, Familien ohne Mann, Behinderten, Arbeitslosen, Kleinstädtern und den nicht-serbischen ethnischen Minderheiten, wie den Roma. Die Analfabetenrate liegt bei etwa 25 Prozent, so die Schätzungen des Kosovo Education Centre, jedoch gibt es bislang keine zuverlässigen Daten über das tatsächliche Bildungsniveau der kosovarischen Bevölkerung.
Kann so ein Land wirtschaftlich überleben? Kurz vor der möglichen Unabhängigkeitserklärung kommt Skepsis auf. “Die Kosovo-Sezessionisten ignorieren die ökonomischen Realitäten”, kommentierte etwa das “Wall Street Journal” am 9. Februar: Ruth Wedgwood, Professorin für internationales Recht und Diplomatie an der Johns Hopkins University in Baltimore, spricht sich darin gegen die Unabhängigkeit der Provinz aus: “Kosovo hat Kohle, Blei und Menschen, aber es liegt in einer Ecke Europas, wo nur wenige Touristen wandern gehen”, schreibt sie. Und politisch, argumentiert sie weiter, gebe es ohnehin keinen Grund mehr für eine Unabhängigkeit, seit Milosevic nicht mehr an der Macht ist.
Hoffnung Kohlebergbau
Optimistischer schätzt die Lage Franz Kaps ein: Er war bis Mai 2007 Sondergesandter der Weltbank für Südosteuropa und ist heute noch für sie als Berater tätig. Er setzt auf Stromgewinnung aus Braunkohle: Die Vorkommen werden im Kosovo auf rund 15 Milliarden Tonnen geschätzt. Die Weltbank hat ausgerechnet, das Südosteuropa bis 2012 zusätzliche Stromerzeugungskapazitäten von 4,5 Giga-Watt benötigen wird. Allerdings sind die Anlagen in schlechtem Zustand, deswegen werden derzeit Investoren gesucht. “Wenn das gelingt, könnte das Kosovo sogar Exporteur von Elektrizität werden”, sagt Kaps. Voraussetzung für jede Entwicklung sei nach Kaps aber politische und rechtliche Stabilität. “Der wichtigste Stabilisierungsfaktor wäre, dass Kosovo und Serbien in die EU aufgenommen werden”, fügt er hinzu.
Bis es soweit kommt, dürften die Menschen im Kosovo weiter auf die Hilfe von außen angewiesen sein: Schätzungen zufolge schicken allein ausgewanderte Kosovaren ihren Verwandten in der Heimat rund 450 Millionen Euro pro Jahr. “Das ist die traditionelle Wirtschaftshilfe für das Kosovo”, sagt Karl Kaser. Der Professor für Südosteuropäische Geschichte an der Universität Graz erinnert sich allerdings auch noch an bessere Zeiten: Als Kaser das damalige Jugoslawien in 1980er Jahren mehrmals besuchte, gab es einen Nord-Süd-Transfer: Gelder aus Slowenien flossen auf diese Weise in das Kosovo. “Damals hatte man das Gefühl, es geht bergauf”, erzählt Kaser. Überall seien neue Häuser und auch Hotels gebaut worden, “1989 begannen dann die politischen Probleme.”
Von Jugoslawien zur EU
Dass das Kosovo bei Serbien verbleibt, hält Kaser für ausgeschlossen, schließlich wolle ein Großteil der Bevölkerung die Unabhängigkeit. Und aus Belgrad sei gegenwärtig keine Hilfe zu erwarten. “Serbien liegt selbst am Boden und kann nicht im Kosovo investieren.”, sagt Kaser. Für ihn kommt es jetzt darauf an, dass das Kosovo in die EU aufgenommen wird und die Regierung für stabile Verhältnisse sorgt. Um die Kohlevorkommen zu entwickeln und ausländische Investoren zu gewinnen, brauche es klare rechtliche Verhältnisse. Zwar befürchtet er, dass solche Unternehmen nicht an langfristigen Investitionen interessiert sein könnten und am Ende ihre Gewinne ins Ausland transferieren. Es komme aber eben auf die genauen Bedingungen an, sagt er. Trotz allem ist er optimistisch, wenn er sich die aktuelle Situation anschaut: “Es kann eigentlich nur besser werden”, prophezeit Kaser.
Autor: Dirk Eckert
Quelle: http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,3121015,00.html