Tony Blair geht, Gordon Brown kommt – Großbritannien vor einer Kehrtwende in der Sicherheitspolitik?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 16.06.2007

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Der britische Premierminister Tony Blair gilt als einer der treuesten Gefolgsleute des amerikanischen Präsidenten Bush. In der britischen Presse wird Blair deshalb oft als Bush’s Pudel verhöhnt. Hauptgrund für diese Karikatur ist die Unterstützung der amerikanischen Irak-Politik. Die britischen Truppen übernahmen kurz nach dem Beginn des Krieges die Kontrolle der Region Basra im Süden des Landes um die amerikanischen Soldaten zu entlasten. In wenigen Tagen wird Blair als Premierminister zurücktreten. Sein designierter Nachfolger ist der bisherige britische Schatzkanzler Gordon Brown. Wird er die Irak-Politik Blairs fortsetzen? Hören Sie eine Analyse von Dirk Eckert:

Manuskript Dirk Eckert

Gordon Brown hat einiges vor sich. Wenn er am 27. Juni Nachfolger von Premierminister Tony Blair wird, tritt er ein schwieriges Erbe an. Unter Blair hat sich Großbritannien als engster Verbündeter von US-Präsident George W. Bush am so genannten Krieg gegen den Terror beteiligt. Knapp sechs Jahre nach dem Einmarsch in Afghanistan, vier Jahre nach dem Angriff auf den Irak ist die Bilanz ernüchternd. Beide Länder sind in einem endlosen Krieg versunken. Und britische Truppen stehen mittendrin.

Schon im Oktober 2006 hatte der Generalstabschef der britischen Streitkräfte, Richard Dannatt, den Abzug der Truppen aus dem Irak gefordert. Folgt man einem kürzlich erschienenen Bericht der britischen Zeitung SUNDAY TELEGRAPH, wird Gordon Brown bald nach Amtseintritt ein Papier seiner Militärs auf seinen neuen Schreibtisch in Downing Street Nr. 10 bekommen. Darin werde der Abzug aller Truppen aus dem Irak innerhalb der nächsten zwölf Monate gefordert, so die Zeitung. Das wäre insofern ein Bruch mit der bisherigen Politik. Denn Blair hat einen Zeitplan für einen Abzug immer abgelehnt. Dem Bericht zufolge sind Teile des britischen Militärs der Auffassung, dass zwei Kriege, im Irak und in Afghanistan, zu viel sind und es erfolgversprechender wäre, sich ganz auf den Hindukusch zu konzentrieren. Der Sunday Telegraph sagte in einem anderen Bericht sogar einen „U-Turn“, also eine Kehrtwende, in der britischen Irak-Politik voraus.

Die Zeitung berichtete aber auch, dass nicht alle Militärs dieser Auffassung seien. Manche halten den Irak für strategisch wichtiger als Afghanistan. Sie fürchten deswegen, dass ein Abzug aus dem Irak die „falsche Wahl“ wäre. Es ist also noch nichts entschieden. Würde Brown den U-Turn machen, wäre das auch ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Denn als Schatzkanzler hat Gordon Brown den Irak-Krieg immer unterstützt. Erst kürzlich hat er die Invasion erneut verteidigt. Inzwischen betont Brown, wie wichtig es im Kampf gegen den Terror sei, die Herzen der Menschen zu gewinnen. In vielen Medien wurde das prompt als Kritik am Irak-Krieg ausgelegt. Aber das ist weit übertrieben: Denn vor knapp einem Jahr, am 1. August 2006, hatte schon Blair in einer Rede vor dem World Affairs Council in Los Angeles gesagt, wie wichtig der berühmte Kampf um die „Herzen und Köpfe der Menschen“ sei. Der britische Regierungschef damals wörtlich: „Wir können den Kampf gegen den globalen Extremismus nicht gewinnen, wenn wir ihn nur durch militärische Gewalt und nicht auch auf der Ebene der Werte gewinnen.“ Nötig seien etwa eine Gesamtstrategie für den Nahen Osten, eine Lösung des Israel-Palästina-Problems und die Stärkung der moderaten Moslems gegenüber dem reaktionären Islam, so Blair im August 2006.

Auch den Abzug der britischen Truppen hat Blair längst eingeleitet. Zu Jahresbeginn kündigte er an, 1.600 Soldaten aus dem Irak abzuziehen. Zu Beginn des Irak-Krieges hatte Großbritannien 44.000 Soldaten eingesetzt. Bis Mai wurde die Zahl der britischen Soldaten von zuletzt 7.100 auf 5.500 reduziert. Wenn sich die Verhältnisse in Basra weiter verbessern, so Blair im Februar vor dem britischen Unterhaus, könnte die Zahl der im Süden des Irak stationierten Soldaten auf 5.000 reduziert werden. Offenbar will Blair nicht als der Premierminister in die Geschichtsbücher eingehen, der sein Land in einen Krieg geführt hat, diesen aber für Großbritannien nicht beenden konnte.

Mit der Truppenreduzierung hat Blair auch seinem Nachfolger ein Abschiedsgeschenk gemacht. Gordon Brown kann in seinen ersten Tagen als Premierminister die Regierungsgeschäfte erst mal nach den Plänen seines Vorgängers weiterführen. Brown hat angekündigt, in den ersten 100 Tagen im Amt in den Irak zu fahren, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Ob er den Abzug beschleunigen oder sogar einen endgültigen Abzugstermin festsetzen wird, dürfte eher von der Innenpolitik abhängen. Spätestens im Frühjahr 2010 muss der neue Premierminister Parlamentswahlen ansetzen. Brown gilt als unpopulär. Beendet er den von den Briten nie akzeptierten Irak-Einsatz, könnte er in der Gunst der Wähler zulegen.

Ein baldiger Abzug der britischen Truppen muss keinen Bruch mit der Bush-Regierung zur Folge haben. Denn wenn Großbritannien stattdessen mehr Soldaten nach Afghanistan schickt, käme das der US-Regierung gelegen. Auch die Vereinigten Staaten wollen aus innenpolitischen Gründen schnelle sichtbare Erfolge im Krieg gegen den Terror. Die lassen sich zwar auch in Afghanistan nur schwer erzielen, aber nach allgemeiner Einschätzung immer noch leichter als im Irak. Deswegen geht die Truppenverstärkung, die die US-Regierung gegen den Rat der Baker-Hamilton-Kommission im Irak durchführt, nicht auf Kosten der US-Präsenz in Afghanistan. Tatsächlich verstärkt die britische Regierung ihre Truppen in Afghanistan in fast exakt dem Maße, wie sie Soldaten aus dem Irak abzieht. Fünf Tage nachdem Blair bekannt gegeben hatte, 1.600 Soldaten aus dem Irak zurückzuziehen, verkündete sein Verteidigungsminister Des Browne: Großbritannien werde 1.400 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan schicken. Damit wird die Zahl der britischen Soldaten am Hindukusch massiv anwachsen: von anfangs 2.100 Soldaten auf 7.700.

Ein Irak-Abzug allein wäre im Übrigen noch kein Kurswechsel. Schon Blair hat sich immer eng an den Vereinigten Staaten orientiert. In dem zentralen sicherheitspolitischen Dokument der Labour-Regierung, dem Defence White Paper 2003, wird die proamerikanische Ausrichtung explizit damit begründet, dass größere Militäreinsätze, vor allem wenn sie gegen andere Staaten gerichtet sind, nur mit den Vereinigten Staaten durchgeführt werden können. Für Blair ist es kein Widerspruch, pro-europäisch und pro-amerikanisch zugleich zu sein: „Wir wären verrückt, wenn wir eine dieser Beziehungen aufgeben würden“, formulierte Blair im November 2006 in einer außenpolitischen Rede in London. So machte er zu Beginn seiner Amtszeit 1998 bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Chirac in St. Malo den Weg frei für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Nach den Anschlägen vom 11. September entwickelte er sich aber auch zum treuesten Gefolgsmann von George W. Bush.

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Brown an diesem Kurs grundsätzlich etwas ändern wollte. Innenpolitisch wird Brown nach Einschätzung der Zeitung GUARDIAN sogar einen härteren Kurs einschlagen als sein Vorgänger. Demnach will er die Anti-Terror-Gesetze verschärfen. Vor allem sollen Verdächtige künftig länger als 28 Tage ohne Anklage in Haft genommen werden können. Außenpolitisch gilt Brown als ausgewiesener Atlantiker und moderater Euro-Skeptiker. Als Schatzkanzler hat Brown den Militärhaushalt erhöht und milliardenschweren Rüstungsprojekten zugestimmt. Zum Beispiel der Modernisierung der U-Boote, die die nuklear bestückten Trident-Raketen tragen, oder dem Future Rapid Effect System (FRES). Damit soll das Heer mit einer neuen Generation von Gefechtsfahrzeugen ausgestattet werden. Anfang Juni hat das Verteidigungsministerium Testfahrzeuge bei drei verschiedenen Firmen bestellt. Geplant ist außerdem die Anschaffung von zwei neuen Flugzeugträgern und acht Zerstörern. Die Weichen sind also längst gestellt: gegen eine Wende in der Sicherheitspolitik.


Autor: Dirk Eckert

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