taz nrw, 15.07.2006, S. 4
Geschichte / Archäologie Köln Nordrhein-Westfalen taz nrw
Max Schönenberg blieb nur ein kurzes Leben in Deutschland. Von den Nazis entrechtet, seines Doktortitels beraubt, in ein Judenhaus gesperrt, wurde der Kölner Arzt 1942 schließlich in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort starb er 1943 an Flecktyphus. Dass sein Name nicht völlig in Vergessenheit geraten ist, ist vor allem dem Künstler Gunter Demnig zu verdanken. Auf dem Gehweg vor seinem ehemaligen Wohnhaus in Köln erinnert heute ein Stolperstein an Schönenberg. Seit Jahren verlegt der Künstler in Köln und inzwischen auch bundesweit seine Steine – kleine Pflastersteine mit einer Messingplatte drauf, auf denen Name und Lebensdaten vermerkt sind. Und der Todesort. Oft ist das Auschwitz oder ein anderes Konzentrationslager.
1.400 Steine hat Demnig in Köln bislang verlegt. Wer wissen will, wo die Steine genau liegen, welche Schicksale sich dahinter verbergen, kann nun auf das Internet zurückgreifen. Das NS-Dokumentationszentrum in Köln hat eine umfangreiche Datenbank erarbeitet, die unter www.nsdok.de weltweit einsehbar ist.
Zu jedem Stolperstein finden sich im Netz vier Fotos, aufgenommen von der Kölner Fotografin Karin Richert. Das erste zeigt den Stein, das zweite die Straße, das dritte das Haus und das vierte die direkte Umgebung des Steines. Oftmals liegen da Steine von Angehörigen, die ebenfalls Opfer der Nazis wurden.
Die Datenbank ist prinzipiell auch übertragbar auf andere Städte, hieß es vom NS-Dokumentationszentrum. Die genauen Bedingungen müssten allerdings noch geklärt werden. Das könnte bald nötig sein, denn immer mehr Orte sind an den Stolpersteinen interessiert. Über 8.000 Stück an 167 Orten hat Demnig nach eigenen Angaben bislang verlegt. Allmählich kommen Orte im Ausland dazu. In Österreich gibt es schon einen Stein, im August folgen sechs weitere. Dann verlegt Demnig einen Stein in Polen, Odessa und Budapest folgen 2007. Nicht überall stießen die Stolpersteine jedoch auf Begeisterung. Mal waren es Nachbarn, mal konservative Politiker, die die Steine ablehnten. In Krefeld war die jüdische Gemeinde gegen das Projekt. Sie interpretierte die Stolpersteine so, dass dadurch NS-Opfer mit Füßen getreten werden. Doch das blieben Minderheitsmeinungen. Die Verbreitung der Stolpersteine konnte das nicht aufhalten.
Immer sind es Initiativen vor Ort, die über NS-Opfer recherchieren und Demnig engagieren. Denn natürlich kann der Künstler nicht alle Informationen zu den NS-Opfern selbst recherchieren. Außerdem müssen Spenden für die Steinpatenschaften eingeworben werden. 95 Euro berechnet Demnig für einen Stein inklusive Verlegen. Gerade in Schulen stößt er auf reges Interesse. Als er angefangen habe, hätten ihn Lehrer gewarnt, dass Schüler heute kein Interesse am Nationalsozialismus hätten. “Ich habe die gegenteilige Erfahrung gemacht”, berichtet er zufrieden. Nächstes Jahr, zu Demnigs 60. Geburtstag, wird das Kölner NS-Dokumentationszentrum den Stolpersteinen und Gunter Demnig eine eigene Ausstellung widmen.
Nicht alle Opfer des Nationalsozialismus werden übrigens einen Stolperstein bekommen. Denn dann müssten manchmal ganze Straßenzüge neu gepflastert werden – die Steine wäre nichts besonderes mehr. “Es kann nur symbolisch bleiben”, sagt Demnig. Die Passanten sollen seiner Idee nach stehen bleiben, stutzen, die Inschrift lesen. “Das Lesen ist auch ein Verbeugen vor dem Opfer”, so Demnig. Und sie können über die Steine laufen, was manche sich gar nicht trauen. Denn jeder Tritt putzt den Stein mit der Messingplatte, lautet Demnigs Konzept. In seinen Worten: “Die Erinnerung wird blank geputzt.”
Autor: DIRK ECKERT