taz nrw, 04.01.2006, S. 2
Nordrhein-Westfalen Wirtschaft Interview taz nrw
taz: Herr Münch, die Arbeitsagentur erwartet für 2006 bis zu 12.000 Arbeitslose weniger in Nordrhein-Westfalen. Eine gute Nachricht?
Thomas Münch: Eigentlich sollten wir laut Peter Hartz zum 31. Dezember nur noch zwei Millionen Arbeitslose in Deutschland haben. Was die Arbeitsagentur für NRW verspricht, ist davon weit entfernt. Insofern bin doch enttäuscht.
taz: Die Arbeitslosigkeit ist 2005 in NRW sogar leicht gestiegen. Hartz-Befürworter erklären das auch damit, dass erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger durch Hartz IV zu den Arbeitslosen gezählt werden.
Thomas Münch: Auch ohne Hartz IV hat die Zahl der Arbeitslosen vom Dezember 2004 bis Ende 2005 zugenommen. Die Hartz-Reformen greifen also nicht. Gleichzeitig laufen die Kosten bundesweit aus dem Ruder. Deshalb wird nun alle paar Monate eine neue Idee hervorgezaubert. Aktuell ist das der Kombilohn.
taz: Die Union hofft, dass durch die Bezuschussung von Geringverdienern mehr Arbeitsplätze entstehen.
Thomas Münch: Ich habe selten eine solche Beratungsresistenz in der Politik erlebt. 2001 hat das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg alle Kombilohn-Modelle untersucht. Wenn überhaupt, würden dadurch bundesweit maximal 20 bis 30.000 Arbeitsplätze entstehen. Ich frage mich, warum man die Erkenntnisse der eigenen Wissenschaftler nicht zur Kenntnis nimmt.
taz: NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann will ein eigenes Kombilohnmodell vorschlagen. Nur Arbeitslosengeld-II-Empfänger sollen bezuschusst werden, so dass keine bestehenden Arbeitsplätze subventioniert werden.
Thomas Münch: Herr Laumann sollte sich mal von Arbeitsmarktforschern beraten lassen. Wenn ein Unternehmer die Wahl hat zwischen einem älteren Langzeitarbeitslosen mit Lohnzuschuss und einem jüngeren, gut qualifizierten Bewerber ohne Zuschuss, wird er sich immer für den Letzteren entscheiden. Problematisch ist auch, dass durch Kombilöhne der Niedriglohnsektor erweitert wird. Wir zwingen Menschen, als working poor in Armut zu leben. Und das öffentlich subventioniert. Als Absicherung nach unten bräuchte es deshalb einen Mindestlohn.
taz: Der NRW-Landkreistag hat nun gefordert, Hartz IV nachzubessern, damit die Reform wirken könne. Reicht das?
Thomas Münch: Keine Nachbesserung wird zu weniger Arbeitslosigkeit führen. Der Konstruktionsfehler bei Hartz I bis IV liegt darin, dass Arbeitslosigkeit als Vermittlungsproblem angesehen wird. Wenn in immer weniger Zeit immer weniger Menschen immer mehr produzieren, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir teilen die Arbeitszeit gerecht auf, oder ein Teil arbeitet viel, der andere gar nicht. Daran lässt sich auch durch alle sozialpolitischen Innovationen nichts ändern.
taz: Sie kennen als ehemaliger Leiter des Kölner Arbeitslosenzentrums auch die Praxis. Welche Probleme haben Betroffene heute in Nordrhein-Westfalen mit Hartz IV?
Thomas Münch: Gut 50 Prozent der Bescheide stimmen nach wie vor nicht. Die Ein-Euro-Jobs werden von den meisten Betroffenen als Zwangsarbeit empfunden, weil sie keine Perspektive bieten. Nur 3 bis 4 Prozent bekommen so einen regulären Arbeitsplatz. Außerdem sind die Verwaltungskosten viel höher als angenommen. Aber was kann man schon erwarten, wenn alle Erkenntnisse der Arbeitsmarktforschung vernachlässigt werden und man das Modell von einem Volkswagenmanager nimmt, gegen den inzwischen die Staatsanwaltschaft ermittelt.
THOMAS MÜNCH, 52, ist Professor an der FH Düsseldorf. Davor leitete der Pädagoge das Kölner Arbeitslosenzentrums (KALZ).
Autor: DIRK ECKERT