Falscher Vergleich oder antisemitisch?

attac streitet, seit auf einer Veranstaltung Massaker an Palästinensern mit dem Warschauer Ghetto gleichgesetzt wurde

taz köln, 06.03.2003, Nr. 131, S. 5

taz köln

Die Ereignisse im Warschauer Ghetto mit den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila 1982 in Beirut zu vergleichen, ist historisch falsch und relativiert den Holocaust. Das hat der Koordinierungskreis (Ko-Kreis) von attac köln am 26. Januar klar gestellt, nachdem sich ein Gastreferent, Alfonso de Vito vom italienischen No-Global-Netzwerk, auf einer attac-Veranstaltung in der Alten Feuerwache entsprechend geäußert hatte.

So weit, so gut. Doch das Kölner attac-Plenum folgte dem Ko-Kreis nicht und lehnte einen entsprechenden Antrag am 20. Februar mit 9 zu 8 Stimmen bei einigen Enthaltungen ab. „Wenn mir jemand vor einem Monat erklärt hätte, dass attac nicht bereit ist, sich von einem Vergleich zu distanzieren, der den Holocaust relativiert, hätte ich ihn für verrückt erklärt“, sagt Hans Günter Bell, einer der Antragssteller, heute.

Jetzt tobt in der Kölner attac-Gruppe ein Streit um die Frage, wo berechtigte Kritik an israelischer Politik aufhört und Antisemitismus anfängt. Einigkeit besteht lediglich darin, dass der Vergleich zwischen Warschauer Ghetto und israelischer Besatzungspolitik „historisch falsch“ ist. Dann gehen die Meinungen auseinander.

Einige befinden, dass damit der deutsche Faschismus nicht verharmlost werde, wie aus dem Plenums-Protokoll hervorgeht, das der taz vorliegt. Andere, wie Attac-Mitglied Heinrich Piotrowski, stören sich insbesondere an der verlangten Distanzierung. Es gehe nicht an, einen Menschen „nach einem Halbsatz abzuurteilen“, argumentierte er gegenüber der taz. Sicher sei der Vergleich „eine blöde Bemerkung, die man in Deutschland nicht machen sollte“. Trotzdem sei de Vito „kein Antisemit“.

Claus Ludwig spricht sich für „inhaltliche Diskussionen statt Nachverurteilungen“ aus. Er ist sich sicher, dass es nicht de Vitos Absicht war, den Holocaust zu relativieren, sagt er der taz.

Bell legte nach der Ablehnung des Antrags die Leitung der Sitzung nieder und sagte dann laut Protokoll, dass er „zumindest heute Abend, evtl. auch überhaupt nicht in einer Organisation mitarbeiten wolle, die solche Positionen vertrete“. Dann verließen er und vier weitere Teilnehmer die Sitzung. Mittlerweile hat er sich entschieden: Er bleibt bei attac – und will einen „Arbeitskreis Antisemitismus“ ins Leben rufen. Eine entsprechende Mitteilung an den Ko-Kreis soll nächsten Montag erfolgen.


Autor: DIRK ECKERT