Neues Deutschland, 05.10.2002, S. 7
Internationale Politik USA Neues Deutschland
Der Gegenwind für Tony Blair gewinnt an Stärke. 40 Prozent der Labour Parteidelegierten sprachen sich gegen Blairs Kriegskurs aus und ein Gegendossier wirft ein anderes Licht auf das Gefahrenpotenzial Iraks.
Wie gefährlich ist Irak? Großbritanniens Premier Tony Blair hatte im September ein Dossier vorgelegt, dass die Gefährlichkeit Bagdads beweisen und einen Krieg gegen das Land als legitim erscheinen lassen soll. „Die Geschichte von Saddams Massenvernichtungswaffen ist keine amerikanisch-britische Propaganda. Die Geschichte und die gegenwärtige Gefahr sind wirklich vorhanden“, so Blair. Genau das wird in einem Gegendossier bezweifelt, dass Kritiker des Kurses von Tony Blair über das Rüstungspotenzial Iraks verfasst haben.
Die Autoren sind Alan Simpson, Abgeordneter von Blairs Labour-Partei, und Glen Rangwala, Dozent für Politik am Newnham College der Universität Cambridge. „Es gibt keinen Grund für einen Krieg gegen Irak. Das Land hat nicht gedroht, die USA oder Europa anzugreifen und hat keine Verbindung zur Al-Qaida. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass das Land neue Massenvernichtungswaffen oder Trägersysteme hat“, heißt es in dem Gegendossier. Simpson und Rangwala argumentieren mit Aussagen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), mit deren Satellitenbildern und darauf zu sehenden neuen Gebäuden Bush und Blair eine angebliche Entwicklung von Atomwaffen durch Irak begründeten. „Wir wissen nicht, ob das etwas bedeutet. Eine Gebäude zu errichten ist das eine, ein Nuklearwaffenprogramm erneut zu starten, ist das andere.“ Was C-Waffen betreffe, so hat der Irak diese Waffen größtenteils unter Aufsicht der UNSCOM zerstört. Das gleiche gelte für die Produktionsanlagen.
Vor dem zweiten Golfkrieg, als Saddam Hussein noch ein nützlicher Verbündeter gegen den Iran war, gingen Großbritannien und die USA noch anders mit dem Land um. In den Jahren vor der Invasion Kuwaits hat der Irak unter Saddam Hussein tatsächlich Chemiewaffen produziert und eingesetzt – zuerst im Krieg gegen den Iran, dann 1988 in Halabja gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land. Der UNO-Sicherheitsrat habe in dieser Zeit keine einzige Resolution verabschiedet, die den Einsatz von C-Waffen kritisiert hätte, weil die USA und Großbritannien das verhindert hätten. Die Autoren ziehen daraus die Schlussfolgerung: „Der Irak hat niemals chemische Waffen gegen einen äußeren Feind eingesetzt ohne die Zustimmung der mächtigsten Staaten.“ Deshalb sei auch nicht anzunehmen, dass Saddam Hussein heute solche Waffen einsetze, sollte er denn welche haben.
Auf dem Labour-Parteitag setzte sich die Parteiführung Anfang der Woche mit einer Formulierung durch, wonach militärische Aktionen „im Rahmen des Völkerrechts“ durchgeführt werden dürften. Doch Blairs Erklärungsnot wächst.
Autor: Dirk Eckert