Böse Ziele

Amerikanische Umtriebe: Das FBI und die Studentenunruhen an der Universität Berkeley (1)

junge Welt, 01.10.2002,

junge Welt

Einer der wichtigsten Orte der politischen Auseinandersetzung der 60er Jahre in den USA war die Universität Berkeley in Kalifornien. Lange vor den Hippies, dem 67er »Summer of Love« und den großen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg fanden hier Auseinandersetzungen zwischen revoltierender Jugend und Establishment statt. Sie drehten sich zunächst um das Recht auf freie Meinungsäußerung auf dem Campus. Der Journalist Seth Rosenfeld vom San Francisco Chronicle hat die Geschichte des Protests mit Hilfe von jetzt nach langjährigem Rechtsstreit freigegebenen FBI-Unterlagen rekonstruiert (http://www.sfgate.com/campus). Die Unterlagen zeigen, daß konservative Politiker, darunter der spätere Präsident Ronald Reagan, und das FBI mit zum Teil illegalen Methoden versuchten, die Proteste kleinzukriegen, welche sie als Fortsetzung der sogenannten kommunistischen Umtriebe begriffen, die sie gerade in der McCarthy-Ära glaubten besiegt zu haben. Das ganze Ausmaß dieser Aktivitäten hat Rosenfeld erst herausgefunden, nachdem er im Rahmen des Freedom of Information Act (FOIA) die Herausgabe der Akten erzwingen konnte.

Für FBI-Chef J. Edgar Hoover war bereits 1960 klar, daß die Kommunisten versuchen würden, die Universität »für ihre eigenen, bösen Ziele« unter Kontrolle zu bringen. An der Universität befanden sich Laboratorien, die im Zusammenhang mit der Nuklearwaffenforschung standen. 1946 verhaftete das FBI einen britischen Bürger namens Eltenton, der im Auftrag des sowjetischen Konsulats Informationen über das Strahlungslabor in Berkeley eingeholt hatte. Spektakulärer geriet 1950 die Verhaftung von Julius und Ethel Rosenberg, denen in einem schauprozeßähnlichen Verfahren vorgeworfen wurde, sie hätten der Sowjetunion geheime Dokumente über die Atombombe zukommen lassen – Beweise gab es dafür keine, im Prinzip begründete die Tatsache, daß sie dem Umfeld der politisch bedeutungslosen Kommunistischen Partei der USA zugerechnet werden konnten, ihre Hinrichtung.

Gerade weil es in den USA so gut wie keine Kommunisten gab, konnte man ihnen alles vorwerfen, schließlich war für Hoover die Spionage »das Verbrechen des Jahrhunderts«. Am 17. Februar 1951 startete er ein geheimes Programm, dessen Ziel es war, politisch verdächtige Personen aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Das Programm mit dem Codenamen »Responsibilities Program« wurde nie dem Kongreß vorgelegt oder vom Weißen Haus abgesegnet. Es sollte verhindern, daß Kommunisten »heimtückisch die Parteilinie der Kommunistischen Partei in die Köpfe der Kinder einflößen«, wie es damals in einem FBI-Papier hieß. Im Rahmen dieses Programms trat das FBI an die Gouverneure der Bundesstaaten heran und erstattete diesen mündliche Berichte über verdächtige Staatsangestellte – 908 an der Zahl. Wie das FBI später schätzte, haben mehr als 500 Menschen auf diese Weise ihre Stellung verloren. Die Angeklagten hatten nie eine Chance, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. An der Universität Berkeley waren es 15 Beschäftigte, über die das FBI den Gouverneur von Kalifornien, Earl Warren, unterrichtete.

Hoover fühlte sich in seiner Ansicht, daß es in Kalifornien von Kommunisten nur so wimmeln würde, durch den Burns-Report von 1951 bestärkt. Hugh M. Burns, demokratischer Senator aus Fresno, führte den Vorsitz eines Unterkomitees für Unamerikanische Umtriebe – eine Art kalifornische Version des Komitees für Unamerikanische Umtriebe des Kongresses unter Senator Joseph R. McCarthy. Der 291-Seiten-Report beschuldigte die Universität Berkeley »wissentlich oder unwissentlich die internationale kommunistische Verschwörung in diesem Land unterstützt zu haben«. Ab 1952 setzte Burns »Kontaktmänner« an der Universität ein, um die vermuteten Kommunisten ausfindig zu machen. Die Universität und ihr Präsident Robert Gordon Sproul wehrten sich gegen diese Anschuldigungen. Besonders auffällig an dem Burns-Report war, daß, obwohl die Gefahr als besonders groß beschrieben wurde, keine einzige Person benannt wurde, die wenigstens im Verdacht stand, für die Sowjetunion bzw. die Kommunisten etwa atomare Geheimnisse auszuspionieren. Gleichwohl schlug der Bericht ein wie eine Bombe. »Kalifornien gewarnt: Die Roten sind auf dem Campus«, titelte eine Zeitung, »Report klagt Berkeley-Chefs an, Verschwörung der Roten unterstützt zu haben« eine andere.

Der Nachfolger von Sproul als Universitätspräsident war Clark Kerr, der als loyaler Staatsangestellter galt und vor seiner Ernennung 1958 durch das FBI überprüft worden war, weil er als Universitätspräsident auch Zugang zu den Atomwaffenlaboratorien haben würde. Das Burns-Komitee und dessen Arbeit lehnte er jedoch ab, weil es ihm übertrieben und unbegründet erschien. Statt dessen verteidigte er die akademische Freiheit und auch Kollegen, die den Treueschwur nicht leisten wollten. Das machte ihn bei Burns und seinen Mitstreitern schwer unbeliebt. Das Komitee forderte, Kerr zu überwachen, der Liberalen und Linken helfe und vielleicht ein »Undercover-Kommunist« sei. Tatsächlich gelang es dem Burns-Kreis, das FBI und dessen Chef Hoover auf Kerr aufmerksam zu machen. Die Frage Nummer 7 in einem Bewerbertest der Universität von 1959 gab Hoover, ohnehin schon an Berkeley interessiert, den Rest: »Welche Gefahren für die Demokratie gehen von einer nationalen Polizeiorganisation wie dem FBI aus, die im Geheimen arbeitet und für öffentliche Kritik nicht empfänglich ist?« Als Hoover diese Frage gelesen hatte, setzte er persönlich eine verdeckte PR-Kampagne in Gang, mit der die Universität gezwungen werden sollte, die Frage zurückzuziehen. Außerdem trat das FBI direkt an den kalifornischen Gouverneur Edmund G. »Pat« Brown heran. Der veranlaßte schließlich, daß die Universität die Frage zurückzog, ihr Bedauern ausdrückte und »größten Respekt« gegenüber dem FBI und seiner Arbeit aussprach.

Doch es kam noch schlimmer: Am 13. Mai 1960 demonstrierten Hunderte Menschen vor dem Rathaus in San Francisco gegen den Unterausschuß für Unamerikanische Umtriebe. Das FBI war überrascht. »Gestern hatten wir eine Demonstration von Kommunisten in San Francisco, wie wir sie seit dem berüchtigten Streik von 1934 nicht hatten«, schrieb Richard Auerbach vom FBI-Büro San Francisco an Hoover. Viele der Demonstranten waren Studierende aus Berkeley. Für Auerbach war das nach dem Bewerbertest bereits der zweite Vorfall, der sich unter Kerr an der Universität ereignete und nichts anderes als einen »Verfall von Sittlichkeit und Patriotismus« bewies. McCarthy schien wirkungslos, die Kommunisten standen schon wieder vor der Tür. Das Ziel ihrer Agitation war jetzt die Jugend. In Berkeley schienen sie bereits Fuß gefaßt zu haben. Und ein viel zu liberaler Uni-Präsident sah ihren Umtrieben tatenlos zu.


Autor: Dirk Eckert