Weniger Demokratie in Aachen

Bürgerentscheid gegen Privatisierung städtischer Wohnungen scheiterte deutlich an der 20-Prozent-Hürde. Der Verein "Mehr Demokratie" wirft der Stadt Aachen vor, die Abstimmung gezielt hintertrieben zu haben

taz köln / taz nrw, 19.09.2002, Nr. 110, S. 2

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Nach dem gescheiterten Bürgerentscheid gegen den Verkauf der Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft (GeWoGe) wirft der Verein „Mehr Demokratie“ der Stadt Aachen vor, die Wahlbeteiligung „künstlich niedrig“ gehalten zu haben. „In einem bundesweit fast einmaligen Fall wurden dem Begehren von Anfang an immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen, ein Scheitern war deshalb programmiert“, kritisierte Daniel Schily, der Geschäftsführer von „Mehr Demokratie“ in Nordrhein-Westfalen.

Bei der Abstimmung am Sonntag sprachen sich 25.802 WählerInnen – 15 Prozent der Wahlberechtigten – gegen die Privatisierung des öffentlichen Eigentums aus. Damit verfehlte die Initiative „Ja zur kommunalen Wohnungsgesellschaft“, die von Mieterverein, Kirchen, Gewerkschaften, SPD und Grünen unterstützt wird, jedoch die notwendige Marke von 20 Prozent aller Wahlberechtigten um rund 9.000 Stimmen. 4.845 BürgerInnen, 2,8 Prozent aller Wahlberechtigten, sprachen sich für den Verkauf aus.

Nicht einmal Wahlbenachrichtigungen habe die Stadt verschickt, kritisiert Schily. Auch die Möglichkeit zur Briefwahl habe es nicht gegeben. „In Aachen hat bei der letzten Bundestagswahl mehr als jeder fünfte Bürger seine Stimme per Brief abgegeben. Vielen Aachenern wurde beim Bürgerentscheid die Stimmabgabe unmöglich gemacht, diese entscheidenden Stimmen fehlten am Sonntag.“

Darüber hinaus habe die Stadt nur 58 Wahllokale eingerichtet. Bei der Bundestagswahl gebe es 160. Außerdem sei der Termin eine Woche vor der Bundestagswahl ein Fehler gewesen: In Bayern fänden hingegen am 22. September in 15 Orten Bürgerentscheide statt, in Hessen gebe es drei landesweite Volksabstimmungen.

Nur in Aachen sei die Verknüpfung von Bundestagswahl und Bürgerentscheid als unpraktikabel und für die Bürger verwirrend abgelehnt worden. „Dies ist eine Beleidigung der Intelligenz mündiger Aachener Bürger“, kommentierte Schily. „Mehr Demokratie“ fordert für NRW eine Herabsetzung des Zustimmungsquorums auf 10 Prozent wie etwa in Bayern. Bürgerentscheide müssten im Übrigen gleich behandelt werden wie Bundestagswahlen. „Billig-Bürgerentscheide wie in Aachen beschneiden das politische Selbstbestimmungsrecht der Bürger.“

Die Ratsmehrheit von FDP und CDU will mit dem Verkauf von städtischen Gesellschaftsanteilen an der Wohnungsgesellschaft 250 Millionen Euro einnehmen. Mit dem Geld soll der Stadthaushalt saniert werden. Die Wohngesellschaft umfasst 7.000 Wohnungen, in denen rund 20.000 Menschen leben. Die Bürgerinitiative will nach dem gescheiterten Bürgerentscheid darauf achten, dass ein Sozialkatalog Bestandteil des Verkaufs sein wird.


Autor: Dirk Eckert