Telepolis, 27.08.2002, http://www.telepolis.de/deutsch/special/info/13151/1.html
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55.000 Emails hat [1]Francis Boyle nach seinem Zweieinhalb-Wochen-Urlaub vorgefunden. Die Emails kamen allesamt von besorgten oder empörten politischen Freunden. Diese hatten eine Email erhalten, als deren Absender Francis Boyle angegeben war.
Wer den Text las, musste den Eindruck bekommen, dass Boyle, ein bekannter pro-palästinensischer Aktivist und Professor für Völkerrecht an der Universität Illinois, alle seine politischen Überzeugungen über Bord geworfen hat. In der Mail, die unter seinem Namen massenhaft verschickt wurde, heißt es unter anderem, wie das Magazin Wired [2]berichtete:
„Wenn ich in den Zeitungen lese, dass Zivilisten in Afghanistan oder der West Bank von amerikanischen oder israelischen Truppen getötet werden, kümmert mich das überhaupt nicht.“
Boyle, der zwischen 1991 und 1993 Rechtsberater der palästinensischen Delegation bei den Friedensverhandlungen mit Israel war und den Krieg gegen Afghanistan als illegal [3]verurteilt hatte, ist Opfer eines [4]Joe Job geworden. Der Name kommt von der Seite Joes.com, der vor einigen Jahren auf diese Weise geschadet wurde. Dass Joe Jobs auch im Netzkrieg (Vgl. [5]Intifada im Cyberspace) zwischen Israelis und Palästinensern eingesetzt werden, der nach der zweiten Intifada begonnen hatte, ist allerdings neu.
Francis Boyle scheint nicht der einzige Betroffene unter den pro-palästinensischen Aktivisten zu sein. Wired berichtet von Monica Tarazi, Direktorin des [6]Anti-Arab Discrimination Committee, in deren Namen ebenfalls eine falsche Nachricht kursierte, sowie von Mazin Qumsiyeh, Medizinprofessor in Yale. Letzter hatte eine Email an eine Mailingliste von Aktivisten geschrieben. Jemand leitete die Mail über 1500 Mal weiter. Die angemailten Personen in Yale reagierten verärgert, ebenso wie daraufhin Qumsiyeh, der umstandslos und ohne weitere Belege „diese Zionisten“ als Urheber ausmachte.
Völlig auszuschließen – aber eben auch nicht bewiesen – ist es jedoch nicht, dass es pro-israelische Aktivisten waren, welche die gefälschten Emails in Umlauf brachten, um Boyle zu schaden. Schließlich vergleicht Boyle den Staat Israel wegen dessen Umgangs mit den Palästinensern mit Südafrika zu Zeiten der Apartheid und gehört außerdem zu den Befürwortern einer Boykottkampagne gegen Israel, für die derzeit an amerikanischen Universitäten geworben wird.
„Es hat einmal funktioniert, um Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung zu schaffen, und ich bin mir sicher, es funktioniert wieder“
so [7]Boyle.
Mit der Kampagne, die amerikanische Unternehmen wie McDonalds zum Rückzug aus Israel bewegen will und der sich auch der Friedensnobelpreisträger und südafrikanische Bischof Desmond Tutu angeschlossen hat, soll Israel gezwungen werden, die 1967 besetzten Gebiete zu verlassen. Von Israel werden derartige Vergleiche zurückgewiesen, da das die komplexe Lage im Nahen Osten ignoriere. Die [8]Anti-Defamation League sieht in der Kampagne einfach nur den Versuch, Israel zu dämonisieren. Der Vergleich mit dem Apartheid-Regime sei falsch und abstoßend.
Eben die Anti-Defamation League, von Boyle schon mal als dirty tricks organization for Israel beschimpft, hat aber die gefälschten Emails verurteilt. Wired hält es auch für möglich, dass die Mail von pro-palästinensischen Aktivisten kommt. Die [9]SpamCon Foundation habe herausgefunden, dass die Mails in der Gegend von St. Louis abgeschickt wurden und dann über einen Email-Server gingen, der mit der Internetseite [10]Arab Wide Web in Verbindung stand.
Links
[1] http://194.109.221.180/francisboyle
[2] http://www.wired.com/news/print/0,1294,54708,00.html
[3] http://194.109.221.180/francisboyle/afg_spiegel.html
[4] http://www.spamfaq.net/terminology.shtml#joe_job
[5] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/info/4133/1.html
[6] http://www.adc.org
[7] http://cgi.wn.com/?action=display&article=15225500&template=worldnews/search.txt&index=recent
[8] http://www.adl.org
[9] http://www.spamcon.org
[10] http://www.arabwideweb.com
Autor: Dirk Eckert