taz - die tageszeitung, 26.06.2024
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BERLIN taz | Julian Assange ist zurück in Australien, verurteilt, aber ein freier Mann. Dass der Gründer der Plattform Wikileaks, die unter anderem US-Kriegsverbrechen im Irak enthüllt hatte, frei ist, ist am Tag seiner Rückkehr nach Australien im politischen Berlin kaum der Rede wert, wie schon am Tag zuvor in Brüssel, wo EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor allem durch Schweigen aufgefallen war.
Immerhin ein knappes Statement kam von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), allerdings nur am Rande eines Besuchs in Jerusalem und auch erst auf die Frage eines Journalisten: „Ich kann nur sagen, dass ich sehr froh bin, dass dieser Fall, der überall auf der Welt sehr emotional diskutiert wurde und viele Menschen bewegt hat, dass er nun endlich eine Lösung gefunden hat“, kommentierte die Außenministerin.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte auf seinem-X-Account immerhin Platz, um der Historikerin Anne Applebaum zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu gratulieren. Einen Kommentar zu Julian Assange sucht man dort jedoch vergeblich. Finanzminister Christian Lindner (FDP) gratulierte auf X Mark Rutte zur Ernennung zum neuem Nato-Generalsekretär: „Deine Erfahrung, Dein diplomatisches Geschick und Deine Führungsstärke werden gebraucht“, schrieb er zu Rutte, zu Assange schrieb er nichts. Nur der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), fand auf X ein paar knappe Worte: „Gut, dass Assange endlich freikommt.“
So blieb es auf Regierungsseite an Kulturstaatsministerin Claudia Roth, ein längeres Statement zu formulieren. „Heute ist ein guter Tag für die Pressefreiheit“, teilte sie mit. „Bei allen legitimen Sicherheitsinteressen von Staaten und bei aller berechtigter Kritik an Wikileaks und seinem Gründer – die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, wenn Staaten gegen Gesetze und Menschenrechte verstoßen“, so Roth weiter.
„Vorbild für Investigativjournalist*innen“
Aber nicht nur der Ampel, auch CDU/CSU und AfD war der berühmte Whistleblower kaum einen Ton wert. „Die Bundesregierung, die eine wertebasierte Außenpolitik predigt, hat bis zum Schluss im Fall Assange passiv zugesehen und geschwiegen, statt sich aktiv für ebendiese Werte einzusetzen“, kritisierte Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Gruppe Die Linke im Bundestag, die Untätigkeit der deutschen Regierung.„Whistleblower wie Julian Assange sind keine Kriminellen, sondern sorgen dafür, dass Kriegsverbrechen aufgedeckt und damit auch geächtet werden können.“
Sahra Wagenknecht (BSW) kommentierte auf X: „Kritischer Journalismus ist keine Spionage! Der Justizskandal bleibt, die US-Kriegsverbrechen, die Wikileaks aufgedeckt hat, bleiben ungesühnt.“
Zufrieden über die Freilassung von Julian Assange zeigten sich auch die Journalist*innenverbände in Deutschland. Von einem „historischen Sieg für die Pressefreiheit“ sprach Reporter ohne Grenzen. „Seine Freilassung ist ein Hoffnungszeichen für Reporterinnen und Whistleblower auf aller Welt, die weiterhin diffamiert werden oder inhaftiert sind“, sagte Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen Deutschland. Sie erinnerte aber auch an den in Russland inhaftierten US-Journalisten Evan Gershkovich, dessen Prozess gerade begonnen hat: „ Am Ende dieses Prozesses kann unserer Ansicht nach nur die Freilassung stehen“, so Osterhaus.
„Endlich kommt Julian Assange auf freien Fuß“, kommentierte Mika Beuster vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), gab allerdings auch zu bedenken: „Der Fall bleibt aber ein abschreckendes Beispiel für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten.“ Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) begrüßte die Nachricht von der Freilassung Assanges, der für seine Leistung die dju-Ehrenmitgliedschaft erhalten hatte. „Ich freue mich für Julian Assange und seine Familie über das Ende der zermarternden Haft“, so die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll. Und ergänzte: „Für Investigativjournalist*innen ist Assange ein Vorbild.“
Autor: Dirk Eckert
Quelle: https://taz.de/Deutschland-zu-Assange/!6019943/