Internationale Politik Interview Telepolis
Herbert Wulf [1] leitete von 1994 bis 2001 das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC). Er ist aktuell Senior Fellow am BICC und Adjunct Senior Researcher am Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg/Essen.
Telepolis: Während der Olympischen Spiele in Südkorea gab es einige Versuche der Annäherung zwischen Nord- und Südkorea, unter anderem traten beide Länder mit einer gemeinsamen Mannschaft an. Ist der Konflikt um das nordkoreanische Atomprogramm damit entschärft?
Herbert Wulf: Auf keinen Fall. Es ist etwas Entspannung eingetreten. Aber Nordkorea wird mit Sicherheit weiterhin am Atomprogramm festhalten. Es sind Annäherungen auf politisch-diplomatischem Gebiet zwischen Nord- und Südkorea erreicht worden. Aber das heißt noch lange nicht, dass das komplizierte Verhältnis zwischen Nordkorea und den USA entspannt worden wäre.
Telepolis: Schon früher gab es gemeinsame Mannschaften aus Korea bei Olympischen Spielen.
Herbert Wulf: Es gab immer wieder Phasen der Entspannung, einschließlich der Beteiligung an den Olympischen Spielen mit einem gemeinsamen Team in Sidney 2000, Athen 2004 und auch 2006 bei den Winterspielen in Turin. Aber dann haben die Nordkoreaner ihr Atom- und Raketenprogramm wieder vorangetrieben. Heute sind sie technisch-militärisch weiter, so dass die Lage heute noch um einige Grade verschärfter ist als damals.
Telepolis: War das Aufeinanderzugehen bei den Olympischen Spielen also nur Show?
Herbert Wulf: Nein, wenn in der Vergangenheit Phasen der Entspannung immer wieder durch krisenhafte Situationen abgelöst wurden, heißt das nicht, dass man nicht nochmal einen neuen Anfang machen kann. Nur muss man sich über die nötigen Voraussetzungen im Klaren sein: Solange die amerikanische Regierung offen verkündet, und das tut sie unter Trump wieder verstärkt, dieses Regime ablösen zu wollen, wird die nordkoreanische Regierung dieses Atomprogramm fortführen und als Lebensversicherung betrachten.
Wenn man mit Vertretern dort spricht, merkt man, dass sie zwei Ereignisse sehr ernst nehmen: den Sturz von Saddam Hussein und den Tod von Muammar al-Gaddafi. Deren Regime wurden mit militärischen Mitteln gestürzt. Und das möchte das Regime in Nordkorea natürlich nicht riskieren. Deshalb betrachtet man das Atomprogramm als so zentral für die eigene Verteidigung.
Telepolis: Während der Olympischen Spiele ruhten schon im alten Griechenland die Waffen. Heißt das umgekehrt, jetzt werden die Waffen wieder aufgenommen?
Herbert Wulf: Die Waffen in Süd- und Nordkorea haben tatsächlich während der Spiele geruht. Ein geplantes großes Manöver der USA ist verschoben worden, in Nordkorea gab es keinen Atom- oder Raketentest. Aber beide Seiten stehen in den Startlöchern. Jetzt müsste man das vorhandene politische Momentum nutzen. Beispielsweise könnten Südkorea und die USA mit einseitigen Schritten auf Nordkorea zugehen – und das große Manöver nicht durchführen, das Nordkorea immer als militärische Provokation verstanden hat. Dort wird ja auch tatsächlich eine Invasion in Nordkorea geübt. Darauf zu verzichten, wäre eine Möglichkeit, Nordkorea bei der Stange zu halten und die Beziehungen zu verbessern.
Telepolis: Kim Jong-un hat in der Vergangenheit mit Raketen- und Atomtests UN-Beschlüsse ignoriert und den USA offen mit Krieg gedroht. Warum sendet er jetzt Signale der Entspannung?
Herbert Wulf: Das war ein sehr durchdachtes strategisches Kalkül, sich während der Spiele als friedliebend und dialogbereit darzustellen. Das hat ja auch geklappt, die Düpierten sind die beiden Großmächte USA und China. Beide versuchen, auf Nordkorea einzuwirken, und das hat die nordkoreanische Regierung umspielt, indem sie direkt auf die Südkoreaner zugegangen ist. Die dann auch tatsächlich die Entspannungsgesten positiv beantwortet haben.
Telepolis: Waren die Olympischen Spiele also ein Propaganda-Erfolg für Kim Jong-un?
Herbert Wulf: Insofern, als die nordkoreanische Regierung über Jahre immer am Pranger stand – zu Recht, weil sie UN-Beschlüsse missachtet hat. Jetzt zeigte sich das Regime einmal von seiner freundlicheren Seite. Aber wenn das nachhaltig werden soll, muss über einen weiteren Austausch auf politischem und ökonomischem Gebiet verhandelt werden. Und es muss Fortschritte bei der Abrüstung geben.
Telepolis: Trump hat verhalten auf das Gesprächsangebot aus Nordkorea reagiert, er fordert die “völlige, verifizierbare und unumkehrbare” Denuklearisierung. Ist das überhaupt noch realistisch, dass Nordkoreas Machthaber jemals wieder auf Atomwaffen verzichtet?
Herbert Wulf: Das kann bestenfalls das Ende von jahrelang dauernden Verhandlungen sein. Die Nordkoreaner haben sich ja 2007 schon mal zu einem solchen Schritt bereiterklärt, der dann aber tatsächlich nie umgesetzt worden ist.
Die Voraussetzung für den Verzicht auf das Atomprogramm ist tatsächlich, dass man Nordkorea glaubhaft und völkerrechtlich verbindlich versichert, dass es keinen von außen forcierten Regimewechsel geben wird. Aber die amerikanische Regierung betont ja immer wieder, dass sie genau das will: dieses verhasste Regime loswerden. Solange es diese Vorstellung in den USA gibt, und die gab es schon unter George W. Bush, werden die Nordkoreaner auf keinen Fall Zugeständnisse bei ihrem Raketen- und Atomprogramm machen.
Die Amerikaner lehnen einen Dialog mit Nordkorea aus ideologischen Gründen ab
Telepolis: Warum verweigern die USA direkte Gespräche? Nordkoreas General Kim Yong Chol hat Südkoreas Präsidenten Moon Jae gesagt, Kim Jong-un sei bereit zu Gesprächen mit den USA. Wären direkte Gespräche der Ausweg?
Herbert Wulf: Das ist schon seit Jahrzehnten die Forderung der nordkoreanischen Führung: Sie will auf Augenhöhe mit den USA verhandeln. Das ist übrigens auch ein Grund dafür, dass sie dieses Atomprogramm überhaupt begonnen hat – um mit den USA auf Augenhöhe zu verhandeln. Die Amerikaner lehnen dies aus ideologischen Gründen ab.
Als Umweg gab es die sogenannten Sechs-Parteien-Gespräche, bei denen neben den USA und Nordkorea auch China, Russland, Japan und Südkorea beteiligt waren. So musste man nicht bilateral mit Nordkorea verhandeln. Der frühere amerikanische Vizepräsident Dick Cheney hat einmal gesagt, mit solchen Regimen verhandeln wir nicht, solche Regime besiegen wir. Und das ist die Grundhaltung in den USA seit Jahrzehnten. Selbst Obama hat nicht mit Nordkorea verhandelt, sondern das Problem ausgesessen.
Telepolis: Trump hat jetzt neue Strafmaßnahmen erlassen und eine sogenannte Phase 2 eingeleitet. Was bedeutet Phase 2 genau?
Herbert Wulf: Darüber wird spekuliert, das weiß keiner ganz genau. Wenn man einmal die vorhandenen Optionen durchspielt, bleibt: Erstens abwarten, aber dann baut Nordkorea sein Atomprogramm weiter aus.
Zweitens militärische Optionen, die Trump immer wieder angesprochen hat. Das ist aus Sicht der Südkoreaner überhaupt keine Option, denn Nordkorea könnte die südkoreanische Hauptstadt Seoul auch mit konventionellen Mitteln in Schutt und Asche legen.
Die dritte Option wäre Isolation. Das hat man seit Jahrzehnten probiert, mit mangelndem Erfolg: Die Wirtschaft Nordkoreas hat darunter gelitten, aber nicht das Atomprogramm.
Eine vierte Möglichkeit wäre der forcierte Regimewechsel von außen. Aber das ist Wunschdenken. Letztlich bleibt dann nur, eine Kooperation mit Nordkorea zu versuchen. Südkorea tut genau das, muss dazu aber die Amerikaner ins Boot bekommen. China ist sicher damit einverstanden.
Telepolis: Südkoreas Präsident Moon Jae-in steht in der Tradition der Sonnenscheinpolitik, die Nordkorea zur Zusammenarbeit bewegen sollte, dann aber unter George W. Bush abgebrochen wurde. Ist Moon Jae-in eine tragische Figur? Er muss jetzt ausgerechnet mit Donald Trump als Verbündetem zurechtkommen.
Herbert Wulf: Das ist das Problem: Moon Jae-in kann und will nicht auf die Allianz mit den USA verzichten. Er muss mit einem Präsidenten umgehen, der heute das eine sagt und morgen das andere tut. Auf der anderen Seite sieht er die Chance, mit Nordkorea in einen Dialog zu kommen. In diesem Dilemma befindet er sich. Insofern kann er eine tragische Figur werden, weil die USA nicht mitspielen. Oder er schafft es, eine neue Phase der Kooperation einzuleiten. Das hängt von vielen Faktoren ab, die eher in Pjöngjang und Washington entschieden werden.
Telepolis: Sie waren selbst mehrmals in Nordkorea. Warum und was waren Ihre Eindrücke?
Herbert Wulf: Den ersten Besuch habe ich 1991 gemacht und dann mehrere zwischen 2000 und 2005. Es ist ein isoliertes Land. Es pflegt so wenige Außenkontakte, dass selbst diejenigen, mit denen ich im Auswärtigen Amt zu tun hatte, kaum wissen, wie die Welt außerhalb funktioniert.
Das Programm, an dem ich für die Vereinten Nationen beteiligt war, bestand vor allen Dingen darin, Beamte aus dem nordkoreanischen Außenministerium in Institute nach Westeuropa zu bringen, die sich mit Friedens- und Sicherheitspolitik beschäftigen. Dadurch sollte das Verständnis in Nordkorea für Dialog und vertrauensbildende Maßnahmen gestärkt werden. Das Programm ist nach mehreren Jahren beendet worden, weil die USA kein Interesse mehr daran hatten. Es lag nicht an Nordkorea, sondern die Bush-Administration hat den Vereinten Nationen deutlich signalisiert, dass das Programm nicht fortgeführt werden solle.
Telepolis: Was haben Sie damals erfahren, wie begründet Nordkorea das Streben nach Atomwaffen?
Herbert Wulf: Sie fühlen sich bedroht, allein auf der Welt, in eine Ecke gedrängt, als kleines Land umringt von Atomwaffenbesitzern. Und dagegen wollen sie sich schützen. Und sie glauben sicher auch, was sie natürlich nicht sagen, die eigene Bevölkerung bei der Stange halten zu können, wenn im Fernsehen spektakuläre Raketenabschüsse gezeigt werden. Aber der Hauptgrund ist zweifellos, auf Augenhöhe mit den USA verhandeln zu wollen und nicht wie Saddam oder Gaddafi zu enden.
Die Alternative dazu wäre ein Vertrag, wie er mit dem Iran
Telepolis: Sind die Verhandlungen um das nordkoreanische Atomprogramm deshalb ein einziges Vor-und-Zurück, weil Nordkorea eigentlich gar nicht auf Atomwaffen verzichten will?
Herbert Wulf: Es gab in den 1990ern und 2000ern mehrfach ein offenes Fenster für ein Ende des Atomprogramms. Ich fürchte, dass der Zug abgefahren ist und die Nordkoreaner heute, wo das Programm soweit fortgeschritten ist, nicht mehr darauf verzichten wollen. Man hofft wohl in Nordkorea, einen ähnlichen Status zu bekommen wie Israel oder Indien, die über Atomwaffen verfügen und nicht dem Atomwaffensperrvertrag angehören, bei denen man aber das Atomprogramm toleriert. Darauf dürfte Nordkoreas Strategie abzielen.
Telepolis: Was spräche dagegen, Nordkorea einfach als Atommacht anzuerkennen?
Herbert Wulf: Der Atomwaffensperrvertrag und das im letzten Jahr in den Vereinten Nationen ausgehandelte Atomwaffenverbot sehen die Abschaffung von Atomwaffen generell vor. Je mehr Staaten solche Waffen haben, desto größer ist die Gefahr, dass sie irgendwann einmal eingesetzt werden. Aus der Sicht derjenigen, die Atomwaffen abschaffen wollen, wäre es ein fatales Signal, wenn man bei Nordkorea beide Augen zudrücken würde.
Telepolis: Welche Möglichkeit gäbe es stattdessen?
Herbert Wulf: Die Alternative dazu wäre ein Vertrag, wie er mit dem Iran abgeschlossen wurde. Der Iran hat zwar nicht komplett auf Atomwaffen verzichtet, aber wenigstens wurde eine zeitliche Streckung erreicht: Das heißt, an dem Programm wird nicht weitergearbeitet. Endgültige Lösungen sollen dann ein Jahrzehnt später getroffen werden. Das könnte man auch mit Nordkorea versuchen. Aber dazu muss man sich an einen Verhandlungstisch setzen.
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.wulf-herbert.de
Autor: Dirk Eckert
Quelle: https://www.heise.de/-3985851