Telepolis, 21.06.2017
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Den Frieden fördern, Krisen verhindern und Konflikte diplomatisch lösen, bevor sie mit Gewalt ausgetragen werden, das ist ein hehres Ziel. Wie es zu erreichen ist, das hat erstmals eine deutsche Regierung in einem eigenen Strategiepapier ausgearbeitet. “Krisen müssen, wo immer möglich, durch vorausschauende Politik schon im Vorfeld verhindert werden”, sagte[1] Außerminister Sigmar Gabriel, nachdem das Kabinett vergangene Woche diese Leitlinien[2] gebilligt hatte.
Damit gebe es endlich ein strategisches Grundsatzdokument für das friedenspolitische Handeln der Bundesregierung, sagte Gabriel weiter: “Alle Instrumente, ob zivile Projekte, polizeiliche Ausbildung oder im Extremfall der Einsatz der Bundeswehr stehen im Dienst einer politischen Strategie. Wir wollen stärker in Vorsorge investieren, der Einsatz militärischer Gewalt bleibt ultima ratio.” Und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erklärte[3], Entwicklungszusammenarbeit könne “im besten Fall Konflikte schon im Vorfeld verhindern und mögliche Ursachen erfolgreich bewältigen”.
Eine Welt aus den Fugen
Anlass für das neue Papier gibt es wahrlich genug. “Wir sehen eine Welt, die ‘aus den Fugen geraten’ zu sein scheint. Es gibt kaum eine Krise, die wir nicht irgendwann auch in Europa und Deutschland spüren”, heißt es direkt in der Einleitung. Ob in Syrien, Libyen, Mali, Jemen oder in der Ostukraine – “in vielen Teilen der Welt” scheine die Krise “zur Normalität geworden zu sein”. Konfliktprävention und Konfliktlösung seien für Deutschland sowohl ein moralisches Gebot wie auch im ökonomischen Interesse, führen die Leitlinien aus. Denn erstens sei die “Förderung des Friedens in der Welt” eines der zentralen Staatsziele, “die das Grundgesetz deutscher Politik vorgegeben hat”. Und zweitens beruhe unser Wohlstand “auf einem freien und fairen Welthandel (…) Das Streben nach Frieden entspricht nicht nur unserem Wertefundament – es liegt auch in unserem Interesse.”
Im Einzelnen stehen als Instrumente der Friedenspolitik[4] laut Leitlinien zur Verfügung: zivile Projekte, polizeiliche Ausbildung, Friedensmediation, Rüstungskontrolle und Abrüstung (etwa Räumung von Minen und Kampfmitteln sowie Kleinwaffenkontrolle), aber auch Bundeswehreinsätze. “Dabei haben zivile Maßnahmen und die Prävention von Krisen stets Vorrang”, so die Bundesregierung. Im Extremfall sei der Einsatz der Bundeswehr nicht ausgeschlossen: “Der Einsatz völkerrechtlich zulässiger militärischer Gewalt bleibt für die deutsche Politik das letzte mögliche Mittel.”
Bei der Verhinderung von Kriegen bleibt die Bundesregierung aber keineswegs stehen. Nötig sei auch eine langfristige Vision eines “positiven Friedens, die über die Abwesenheit von Krieg weit hinaus reicht”, heißt es weiter in den Leitlinien. Strukturelle Ursachen gewaltsamer Konflikte wie “Armut, Ungleichheit, Verletzung der Menschenrechte und Einschränkung politischer Teilhabe” müssten auch angegangen werden. Es gelte, “Gewalt als Austragungsform von Konflikten zu verhindern, Fragilität als Nährboden von Gewalt abzubauen und langfristige Entwicklung zu ermöglichen”. Das nötige internationale Engagement sei aber “mühsam und langwierig”. Am Ende würden sich jedoch “Beharrlichkeit und ein langer Atem” auszahlen.
Zu wenig konkret
Parallel zur Entwicklung der neuen Leitlinien hatte die Bundesregierung unter dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Peacelab-Prozess[5]. Unter dem Motto “PeaceLab2016: Krisenprävention weiter denken!” wurden 27 Veranstaltungen mit 1.800 Teilnehmerinnen und Teilnehmern abgehalten. Im dazugehörigen Blog[6] verfassten Minister, Abgeordnete und Wissenschaftler u.a. Beiträge.
Dort wurden auch erste Reaktionen auf die Leitlinien[7] verlinkt. Schon die Überschriften verraten allerdings, dass es massive Kritik gibt: “Keine Ambition bei Krisenprävention”, heißt es bei Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen). “Leider keine Selbstkritik bei Krisenprävention”, befand Kathrin Vogler (Linke). Und “Gut im Grundsatz – enttäuschend im Handeln” meinte das Forum Ziviler Friedensdienst. Positive Reaktionen sind bisher nicht verzeichnet.
Zu wenig konkret seien die neuen Leitlinien, so der Tenor der Kritik. Denn anders als in der Nato, die das berüchtigte Ziel verabschiedet hat, dass langfristig jedes Mitglied zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Rüstung auszugeben hat, fehlen entsprechende Zielvorgaben für Krisenprävention. Es mangele “weder an Erkenntnis noch an guten Absichten”, befand[8] Oliver Knabe vom Forum Ziviler Friedensdienst. Aber: “Es fehlen klare Zielsetzungen und jegliche Budgetvorgaben zur Stärkung ziviler Krisenprävention und Friedensförderung”. Außerdem befürchtet Knabe, “dass mit dem Zusatz, ‘wo immer möglich’ zivilen Maßnahmen Vorrang einzuräumen (S. 23), militärischen Einsätzen ohne zivile Strategie der Konflikttransformation Tür und Tor geöffnet wird”.
Blinder Fleck: die eigene Politik
Als Grundlagendokument tauge das Papier nicht, kritisierte[9] auch Franziska Brantner: “Nichts wird konkretisiert, es mangelt an Ambition, klare Vorgaben zur Finanzierung: Fehlanzeige!” Die Leitlinien wiederholten nur, was schon im Aktionsplan Zivile Krisenprävention[10] von 2004 Jahren stehe. Schwarz-Rot habe eine “Einigung auf denkbar kleinstem gemeinsamem Nenner” erzielt.
Dass sich die Bundesregierung “zu viel konkreteren Maßnahmen zur Prävention von Gewaltkonflikten” hätte verpflichten müssen, meinte[11] auch Kathrin Vogler (Linke), “In den Leitlinien findet sich kein Wort davon, was die Bundesregierung selbst zur Verschärfung internationaler Konflikte beiträgt: Durch eine Außenwirtschaftspolitik, die ganze Länder unter dem Diktat des Freihandels ausplündert, durch die Unterstützung von Despoten wie der Diktatur in Saudi-Arabien und durch Rüstungsexporte in Krisenregionen.”
Tatsächlich zählen die Leitlinien viele Konflikte in der Welt von Südsudan über Syrien bis in die Ostukraine zwar auf, nur was die deutsche Regierung jeweils selbst dazu beigetragen hat, wird nicht thematisiert.
Rüstungsexporte bleiben hoch
Bezeichnend ist zudem, dass das Bundeskabinett die Leitlinien just am selben Tag verabschiedete, an dem der neue Rüstungsexportbericht[12] sowie den Zwischenbericht[13] für die Monate Januar bis April 2017 zur Kenntnis genommen wurden. Demnach wurden in 2016 Waffen und Rüstungsgüter im Wert von 6,82 Milliarden Euro exportiert. Das ist fast eine Milliarde weniger als im Rekordjahr 2015, aber immer noch mehr als 2014. Damals waren es knapp 4 Milliarden Euro. Besonders zu Buche schlug eine Fregatte für Algerien.
Wie Rüstungsexporte alles konterkarieren könne, was in den friedenspolitischen Leitlinien aufgeschrieben wurde, zeigt ein Blick in den Bericht. So sind dort Waffenlieferungen und Genehmigungen sowohl an Katar (zum Beispiel 33 Leopard 2-Kampfpanzer und 19 Panzerhaubitzen 2000) verzeichnet als auch an Saudi-Arabien. Aktuell boykottiert Saudi-Arabien Katar und wirft ihm Unterstützung des Terrorismus vor. Außenminister Gabriel hat deswegen davor gewarnt[14], dass sich die Krise nicht zu einem Krieg ausweiten dürfe.
Sollte es doch dazu kommen, wären deutsche Waffen auf beiden Seiten im Einsatz. Wie übrigens auch amerikanische, da die USA mitten in der Krise ein milliardenschweres Waffengeschäft mit Katar vereinbart haben: Sie verkaufen dem Land 36 Kampfjets vom Typ F-15. Zwölf Milliarden Dollar bezahlt Katar dafür. Dabei hatte US-Präsident Trump noch applaudiert, als Saudi-Arabien und andere Golfstaaten den Kontakt zu Katar abgebrochen hatten.
Eine Verschärfung der deutschen Regeln für Rüstungsexporte, wie sie Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister angekündigt hatte, kommt jedoch nicht mehr vor der Bundestagswahl. Das sei eine “Aufgabe der nächsten Legislaturperiode”, sagte[15] einer Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums dem Militärblogger Thomas Wiegold. Dass das Wirtschaftsministerium noch “weiteren Prüfungs- und Erörterungsbedarf” sehe, hatte zuvor schon die taz berichtet[16]. Demnach soll die entsprechende Arbeit bis Ende Dezember 2017 dauern.
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2017/170614-Leitlinien_Krisenpraevention_Konfliktbewaeltigung_Friedensfoerderung.html
[2] http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/764982/publicationFile/228083/170614-Leitlinien_Krisenpraevention_Konfliktbewaeltigung_Friedensfoerderung_DL.pdf
[3] http://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2017/juni/170614_Minister_Mueller_begruesst_Leitlinien_zur_Krisenpraevention/index.html
[4] http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/06/2017-06-14-friedenspolitische-leitlinien.html
[5] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/Aktuelles/160705_PeaceLab2016.html
[6] http://www.peacelab2016.de/peacelab2016/
[7] http://www.peacelab2016.de/peacelab2016/debatte/friedensfoerderung/article/reaktionen-auf-die-leitlinien/
[8] http://www.forumzfd.de/Leitlinien_der_Bundesregierung_Friedenfoerdern
[9] http://www.franziska-brantner.eu/presse/keine-ambition-bei-krisenpraevention/
[10] http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/384230/publicationFile/4345/Aktionsplan-De.pdf
[11] http://www.kathrin-vogler.de/start/aktuellalt/details/zurueck/aktuell-kopie-1-4/artikel/leider-keine-selbstkritik-bei-krisenpraevention/
[12] http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Aussenwirtschaft/ruestungsexportbericht-2016.pdf?__blob=publicationFile
[13] http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Aussenwirtschaft/ruestungsexport-zwischenbericht-2017.pdf?__blob=publicationFile
[14] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/f-a-s-exklusiv-gabriel-warnt-vor-drohendem-krieg-in-der-golf-region-15055386.html
[15] http://augengeradeaus.net/2017/06/neue-regeln-fuer-den-ruestungsexport-aufgaben-der-naechsten-legislaturperiode
[16] http://www.taz.de/Neues-Gesetz-zum-Ruestungsexport/!5412082/
Autor: Dirk Eckert
Quelle: http://www.heise.de/-3747117