Tempel in Palmyra: Alte Zeichnungen restauriert

Der IS wurde aus Palmyra vertrieben. Was zerstört wurde, lebt aber in Zeichnungen des 18. Jahrhunderts weiter.

Impuls (SWR2), 29.03.2016

Radio SWR2

Der Islamische Staat hat viele Überreste des antiken Palmyra in Syrien vergangenes Jahr zerstört. Wie groß der Schaden ist, ist nicht bekannt. Doch die antiken Monumente leben fort: Etwa in den Zeichnungen, die der französische Architekt und Archäologe Louis-François Cassas Ende des 18. Jahrhunderts vor Ort angefertigt hat. Heute sind sie, frisch resaturiert, im Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Dirk Eckert hat sie sich angesehen.

Text Dirk Eckert:

Es sind feine Tintenzeichnungen, die Louis-François Cassas auf die Papierbögen gebannt hat: die berühmte Säulenstraße von Palmyra, der Bal-Tempel mit fein herausgearbeiteten Ornamenten und Verzierungen; oder das Bel-Heiligtum, das mit seinem Seiteneingang so gar nicht der typischen römischen Tempelanlage entspricht. Und schließlich ein Turmgrab, gezeichnet in Grund- und Aufriss.

Cassas zeichnete in schwarzer Farbe die Original-Mauerteile, die er 1785 bei seinem Besuch in der antiken Stadt vorgefunden hat. Dazu, in roter Farbe, seine Ergänzungen, die Rekonstruktion. Damit war Cassas einer der ersten, der Rekonstruktion von Befund getrennt hat, sagt Christian Raabe vom Lehrstuhl Denkmalpflege der RWTH Aachen:

O-Ton Raabe (raabe-architekt-2):

„Cassas hat das erste Mal ganz minutiös diese Stätten als Künstler mit der Sicht eines Architekten, wenn ich das so vereinfachend sagen darf, hat er sie dokumentiert. Das ist für die Zeitgeschichte, auch die Architektur, die dann in Europa entstanden ist, eine ganz wichtige Ressource.“

Als Cassas vor Ort war, stand Palmyra gerade hoch im Kurs bei europäischen Intellektuellen. Es war die Zeit, als Europa die Antike wiederentdeckte. Man fand Pompeji und Herculaneum, die 79. n. Chr. vom Vesus verschüttet worden waren. 1764 hatte Johann Joachim Winckelmann sein Hauptwerk, die „Geschichte der Kunst des Altertums“ veröffentlicht. Mit seiner Formel „edle Einfalt und stille Größe“ deutete er die antike Kunst neu und prägte den Klassizismus. Auch die Ruinen von Palmyra faszinierten das europäische Publikum spätestens, seit 1753 Robert Wood und James Dawkins einen Bildband veröffentlicht hatten. Die Stimmung der Zeit spiegelt sich in einem Gedicht des deutschen Dichters Friedrich Hölderlin. Zitat:

Zitat Hölderlin:

„Ihr Städte des Euphrats! // Ihr Gassen von Palmyra! // Ihr Säulenwälder in der Eb’ne der Wüste! // Was seid ihr?“

Schon damals war nur noch wenig von der einst blühenden antiken Stadt übrig. Günstig an einer Karawanenstraße gelegen, wurde die Stadt, die in der Provinz Syria im Osten des Römischen Reiches lag, im ersten nachchristlichen Jahrhundert reich. Doch die Römer zerstörten Palmyra, als die lokale Herrscherin Zenobia gegen Rom revoltierte. Zwar wurde der Ort später wieder aufgebaut, seine ursprüngliche Bedeutung sollte er aber nie mehr erreichen. Im Mittelalter fiel die Stadt der Vergessenheit anheim und wurde erst im 18. Jahrhundert wiederentdeckt.

1980 wurde sie ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen. Doch 2015 eroberte der Islamische Staat die Wüstenstadt, zerstörte auch hier antike Überreste und ermordete den langjährigen archäologischen Leiter der Ausgrabungen. Daniel Lohmann, Bauforscher am Lehrstuhl Denkmalpflege der RWTH Aachen, gehört zu den wenigen, die das antike Palmyra kurz vorher noch sehen konnten. Die Zeichnungen von Cassas sind für ihn ein wichtiger Schritt in der Architekturgeschichte:

O-Ton Lohmann (lohmann-zeichnungen):

„Sie sind sowohl absolutes Kind ihrer Zeit. Das heißt, dass es natürlich auch ein höherer künstlerischer Anspruch ist, und er bedient sich auch einer künstlerischen Freiheit, muss man schon sagen. Aber, auf der anderen Seite, ist er jemand, der trotzdem eine sehr hohe Präzision erreicht. Die Abbildung der Wirklichkeit erreicht bei ihm ein Niveau, was viele seiner Vorgänger noch nicht geschafft hatten.“

Begeistert von den Cassas-Zeichungen war seinerzeit auch kein geringer als Johann Wolfgang von Goethe. Als Cassas in Rom eintraf, hatte Goethe ihn schon sehnsüchtig erwartet. Am 16. September 1787 kam es zum Treffen von Dichter und Zeichner. Daniel Lohmann:

O-Ton: Lohmann (lohmann-goethe):

„Goethe war auch neugierig, genau so wie die ganze Gelehrtenwelt neugierig auf Palmyra war, so war es auch Goethe. Und er hat eben dann Cassas gebeten, ihm zu zeigen, was er denn vor Ort gezeichnet hat, und war völlig aus dem Häuschen, würde man heute sagen. Goethe war voll des Lobes in der ‚Italienischen Reise’ für die Kunstfertigkeit von Cassas.“

In den Briefen an seine Freunde berichtete Goethe vom Treffen mit dem Architekten: „Zeichnungen, von großer Präszision und und Geschmack, mit der Feder umrissen und, mit Aquarellfarben belebt“, habe er gesehen, schreibt er. Derart inspiriert von Cassas, besuchte Goethe nach dem Treffen die Ruinen der Kaiserpaläste auf dem Palatin und genoss dort den Sonnenuntergang, wie er in einem Brief an Charlotte von Stein schreibt. Die Palmyra-Zeichnungen gingen schließlich auch in seine „Italienische Reise“ ein. Dort bekannte er:

Zitat Goethe:

„Die Sachen von Cassas sind außerordentlich schön. Ich habe ihm manches in Gedanken gestohlen, das ich euch mitbringen will.“

Cassas konnte allerdings nur einen Teil seiner Zeichnungen publizieren. Die Skizzen allerdings blieben. Sie liegen heute in Köln und sind kürzlich restauriert worden. Damit könnten sie eine wichtige Quelle werden, um das kulturelle Erbe Syriens zu bewahren, das die Fanatiker vom Islamischen Staat so brutal zerstört haben. Daniel Lohmann:

O-Ton Lohmann (lohmann-retten):

„Das ist der erste Schritt, dass dort Frieden ist, dass dort aufgehört wird zu morden und kulturelles Erbe zu zerstören. Wenn es dann irgendeine Möglichkeit gibt, mit unseren bescheidenen Mitteln, zu helfen, dann sofort, natürlich. Und sei es, dass man Cassas’ Ceuvre benutzt, um sich darüber klar zu werden, wie sah es denn mal aus. Oder auch natürlich die 200 Jahre danach vor allem auch zu konsultieren und zu gucken, was können wir vielleicht noch retten von dem, was dort zu retten ist.“

Denn auch wenn die Originale für immer vernichtet sind: Hermann Parzinger, Präsident der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz, plädiert dafür, Kopien zu erstellen, wenn es denn die Verhältnisse vor Ort wieder zulassen. Und der Kunsthistoriker Horst Bredekamp fordert eine – Zitat – „kämpferische Reproduktion“ der Originale. Es mehren sich die Stimmen, dem Islamischen Staat nicht das letzte Wort zu lassen.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/impuls/tempel-in-palmyra-alte-zeichnungen-restauriert/-/id=1853902/did=17186484/nid=1853902/7y4kdl/index.html

MP3: http://mp3-download.swr.de/swr2/impuls/beitraege/2016/03/swr2impuls-20160329-alte-zeichnungen-restauriert.12844s.mp3