Blockfreiheit und Neutralität ade? Schweden und Finnland kooperieren stärker mit der NATO

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 18.10.2014

NDR Radio

Wegen der russischen Politik gegenüber der Ukraine rückt der Westen enger zusammen. Die NATO will ihre Präsenz in Osteuropa ausbauen. Länder wie Polen und die baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen fühlen sich bedroht und machen sich stark für die Errichtung von neuen ständigen NATO-Stützpunkten. Aber auch weiter nördlich sorgen sich Russlands westliche Nachbarn. Die Folge: Schweden und Finnland näheren sich der NATO immer mehr an.

So war beim jüngsten NATO-Gipfel in Wales auch eine finnische Delegation vertreten. Sie unterzeichnete ein Memorandum of Understanding, auf dessen Basis ein sogenanntes Host-Nation-Support-Abkommen ausgehandelt werden soll. Auch Schweden verhandelt mit der NATO über ein solches Abkommen. 2016 soll es in Kraft treten, so das Ziel der Regierung in Stockholm. Die NATO könnte dann in beiden Ländern auf Einladung Übungen abhalten, Häfen und Flugplätze nutzen. Das Gastland stellt die notwendige Logistik bereit.

Außerdem haben sich beide Länder an einer NATO-Initiative beteiligt, mit der die Operabilität der Streitkräfte des Bündnisses mit 24 Nicht-NATO-Staaten verbessert werden soll. Der Gipfel in Wales beschloss außerdem eine vertiefte Kooperation mit fünf Ländern, nämlich Australien, Georgien, Jordanien sowie Schweden und Finnland: Sie erhalten Zugang zur Eingreiftruppe der Allianz, der NATO Response Force, und zu strategischen Planungen sowie Diskussionen im Nordatlantikrat, dem wichtigsten Entscheidungsgremium der Allianz. Wie es ein NATO-Offizieller ausdrückte: Die Länder nehmen damit an der täglichen Arbeit des Bündnisses teil.

Schweden und Finnland suchen allerdings nicht nur die Nähe zur NATO, sie kooperieren auch verstärkt untereinander, wie der damalige schwedische Außenminister Carl Bildt Mitte September in London auf einer Konferenz des International Institute for Strategic Studies (IISS) hervorhob:

O-Ton Bildt (overvoice)

„Heute beginnt eine neue Ära der Verteidigungszusammenarbeit. Im Norden trainieren die Luftstreitkräfte von Norwegen, Schweden und Finnland zusammen in einem Maße, wie es das sonst nirgendwo in Europa gibt. Finnland und Schweden beschreiten neue Wege der Kooperation bei der Verteidigung. Ein Focus – besonders aus schwedischer Sicht – ist die baltische Region. Hier ist in den vergangenen Monaten die Zusammenarbeit vertieft worden…Und wir stellen uns auch auf Herausforderungen in der Arktis und im Hohen Norden ein – mit Norwegen als Führungsnation.“

Ganz so überraschend kommt die vertiefte Zusammenarbeit von Schweden und Finnland mit der NATO allerdings nicht. Die schwedische Regierung hat zum Beispiel bereits 2010 beschlossen, ein Host-Nation-Support-Abkommen mit der NATO anzustreben. Finnland hat sogar schon 2001 diesen Weg eingeschlagen. Traditionell neutral bzw. bündnisfrei, haben sich die beiden Länder nach dem Ende des Kalten Krieges schrittweise dem Westen angenähert. 1995 wurden sie in die Europäische Union aufgenommen. Parallel weiteten beide Länder die Beziehungen zur NATO aus.

Zwar hat Finnland, das erst 1917 vom Zarenreich unabhängig wurde, wirtschaftlich enge Beziehungen zu Russland. Es leidet daher unter den aktuellen Sanktionen und den russischen Gegenmaßnahmen. Doch Finnland ist seit 1994 in der NATO-Partnerschaft für den Frieden, seit 1997 ist das Land Mitglied im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat. Logistisch unterstützen die finnischen Streitkräfte die NATO Response Forces. Das finnische Verteidigungsministerium formuliert das Verhältnis zur NATO heute so: Es gibt zwar keine Vorbereitungen zu einem NATO-Beitritt, aber Finnland hält sich die Option offen. Aufgabe der Streitkräfte ist es, dafür zu sorgen, dass es dafür gegebenenfalls. keine praktischen Hindernisse gibt. Das Militär soll also fit gemacht werden, für eine eventuelle Mitgliedschaft – deswegen die militärische Zusammenarbeit mit der NATO.

Auch Schweden nimmt an dem Programm „Partnerschaft für den Frieden“ teil und stellte Truppen für die NATO-geführte ISAF-Mission in Afghanistan. Das Land unterhält eine eigene Rüstungsindustrie, das Kampflugzeug Gripen wird in alle Welt exportiert. Die Rüstungsausgaben sollen künftig wieder steigen, 60 neue Kampfflugzeuge werden angeschafft.

Ulrich Kühn vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik sieht die Annäherung an die NATO jedoch skeptisch. Er befürchtet eine Eskalationsspirale, wenn die NATO-Soldaten an der finnisch-russischen Grenze üben. Russland könnte dann seine Truppen dort ebenfalls verstärken, worauf dann wieder die NATO reagieren müsste:

O-Ton Kühn

„Die Frage ist: Würde dadurch Europas Sicherheit gestärkt oder geschwächt werden. Deswegen ganz klar: Ich sehe ein solches Bestreben Finnlands oder Schwedens, in die NATO reinzugehen, sehr skeptisch. Auch wenn diese Staaten natürlich ihr souveränes Recht haben, einen solchen Wunsch zu äußern.“

Tatsächlich hat der russische Präsident Wladimir Putin 2012 seinen finnischen Amtskollegen Sauli Niinistö vor den Folgen gewarnt, die ein Beitritt Finnlands zur NATO für das Land haben könnte:

O-Ton Putin (overvoice)

„Wenn ein Land einem Militärbündnis beitritt, verliert es in einem gewissen Maße an Souveränität. Manche Entscheidungen werden dann auf anderer Ebene getroffen. Wir haben das gerade bei den Visa gesehen, wo der Präsident sagte, wir treffen diese Entscheidungen nicht, die Zuständigkeit dafür liegt jetzt in Brüssel bei der EU. Dasselbe wird passieren, wenn Finnland der NATO beitritt. Entscheidungen werden dann teilweise dort getroffen. Wenn zum Beispiel Raketen stationiert werden, dann ist das eine Bedrohung unserer Sicherheit und Russland wird sicher darauf reagieren. Finnland mag dann argumentieren, dass es wie bei den Visa nichts machen kann, aber Russland wird trotzdem Gegenmaßnahmen einleiten.“

In der Bevölkerung wird ein NATO-Beitritt übrigens in Umfragen regelmäßig abgelehnt. In Schweden ist ein Drittel der Bevölkerung dafür, aber 50 Prozent sind dagegen. In Finnland sind sogar 57 Prozent dagegen und nur 26 dafür. Anders ist es bei der politischen Elite: Der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb gilt als Befürworter, Staatspräsident Niinistö spricht immerhin von einer Option.

Vor allem im Fall von Finnland wäre ein NATO-Beitritt brisant. Schließlich teilt das Land der 1.000 Seen eine 1.340 Kilometer lange Grenze mit Russland. Dass die Gefahr einer Eskalation besteht, zeigen verschiedene Zwischenfälle der jüngsten Zeit. Nach finnischen Angaben haben russische Flugzeuge öfters den Luftraum verletzt. Das Eindringen von russischen Kampfflugzeugen meldeten im vergangenen Monat auch die schwedischen Streitkräfte. Manche Militärexperten vermuten, dass Russland mit solchen Aktionen den Westen und seine Abwehrbereitschaft testen will.

Führt die Ukraine-Krise also auch in Nordeuropa zu einer neuen Konfrontation zwischen der NATO und Russland? Das muss nicht sein, meint Ulrich Kühn:

O-Ton Kühn

„Ich bin der Meinung, dass gerade die NATO sehr gut beraten wäre, jetzt auch mal wieder kooperative Angebote an Russland zu machen oder zumindest erst mal auszuloten, ob es denn überhaupt Möglichkeiten für eine kooperative Politik gäbe.“

Der verstorbene Historiker und Diplomat George F. Kennan hatte die NATO-Osterweiterung übrigens 1997 als „verhängnisvollsten Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg“ bezeichnet. Kennan, nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich an der Entwicklung der sogenannten Eindämmungs-Politik beteiligt, meinte, dadurch werde die Atmosphäre des Kalten Krieges wiederherstellt und die russische Außenpolitik in Richtungen gezwungen, die dem Westen entschieden missfallen werden. Angesichts der Ukraine-Krise eine wahrlich prophetische Warnung.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript496.pdf

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20141017-1347-3742.mp3