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Seit 2006 hat die Bundeswehr eigene Satelliten im All, die zu den weltweit leistungsfähigsten ihrer Art gehören. SAR-Lupe heißt das System, das Radar-bilder bis zu einem Meter unter der Erde schießen kann. Wegen der Radar-Technik ist das Aufklärungssystem wetterunabhängig, es kann also auch durch Wolken hindurch sehen. SAR steht für Synthetic Aperture Radar. Entwickelt wurde das Satelliten-System von der Bremer OHB-System AG in Kooperation mit anderen europäischen Rüstungsfirmen.
Mit SAR-Lupe lässt sich jeder Ort der Welt überwachen. In der Internationalen Politik kann das durchaus von Nutzen sein. Beispielsweise müssen Rüstungskontrollvereinbarungen überwacht werden. Auch eine zivile Nutzung von Satellitenaufklärung ist möglich, etwa in der Meeresforschung oder Raumplanung. Doch SAR-Lupe wird eindeutig militärisch genutzt: Das Satellitensystem gehört zum Kommando Strategische Aufklärung der Bundeswehr. In bwtv, dem bundeswehreigenen Fernsehsender zur Truppenbetreuung, wird SAR-Lupe in höchsten Tönen gelobt:
O-Ton Bundeswehrfilm:
„Tief unterhalb der Erde befindet sich die Operationszentrale. Sie ist das Herzstück des Kommandos. Rund um die Uhr wird von hier aus die strategische Aufklärungsarbeit koordiniert. Auf diesem Weg trägt das Kommando maßgeblich zur Verdichtung und Feststellung der Lage bei. Außerdem werden hier die Einsätze deutscher Streitkräfte geplant und vorbereitet.“
SAR-Lupe wird von der „Abteilung satellitengestützte Aufklärung“ der Bundeswehr in Gelsdorf bei Bonn betrieben. Diese gehört zum Kommando Strategische Aufklärung, das sich selbst als „Informationsversorger für die Krisenfrüherkennung sowie für die Unterstützung der Einsätze“ beschreibt. Das System besteht aus fünf Satelliten, die die Erde in 500 Kilometern Höhe in drei Umlaufbahnen umkreisen. Die Bilder können innerhalb eines Tages ausgeliefert werden, möglich ist eine Auflösung von bis zu unter einem Meter. Das System eignet sich sehr gut zur Beobachtung von Krisengebieten. Anders als Flugzeuge brauchen Satelliten keine Überfluggenehmigung.
Es wird kolportiert, dass damals Verteidigungsminister Rudolf Scharping das System aus Wut über die USA bestellt hat. Denn im Kosovo-Krieg hatte die US-Regierung nur spärlich Informationen an Deutschland und andere Bündnispartner weitergegeben. Scharping soll darüber so erbost gewesen sein, dass er die Anschaffung eines eigenen Satellitensystems auf den Weg brachte. So war es dann nur folgerichtig, dass die fertigen Satelliten seinerzeit mit russischen Kosmos-3M-Trägerraketen ins All geschossen wurden. Damit demonstrierte Deutschland Unabhängigkeit gegenüber dem NATO-Bündnispartner USA.
Scharping hat damals in der Tat das SAR-Lupe Projekt angestoßen. Allerdings gab es auch schon vor dem SPD-Mann deutsche Versuche, eine eigene Satellitenaufklärung aufzubauen. So wollten Mitte der 90er Jahre der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand gemeinsam Helios-2-Satelliten bauen. Das Gemeinschaftsprojekt scheiterte allerdings, genauso wie eine Beteiligung Frankreichs an SAR-Lupe.
Deutschland baute das System schließlich in Eigenregie, vereinbarte aber eine Kooperation mit Frankreich auf dem Gebiet der Satelliten-Aufklärung. Denn die Bilder der französischen Helios-2-Satelliten haben eine höhere Auflösung, die deutschen sind dafür aber wetterunabhängig. Von daher bietet sich eine Zusammenarbeit und ein Informationsaustausch an. Bei der Inbetriebnahme lobte der stellvertretende Generalinspekteur der Bundeswehr, Vizeadmiral Wolfram Kühn, militärpolitisch bringe das SAR-Lupe-System Deutschland „in der satellitengestützten Aufklärung auf Augenhöhe mit anderen Staaten, im Radarbereich sogar in eine weltweite Spitzenposition“.
Tatsächlich verfügen nur zwei weitere Staaten, die USA und Russland, über solche Aufklärungssysteme im All. Kein Wunder, dass die Informationen, die SAR-Lupe liefert, auch für andere Staaten interessant sind. Und damit steigt auch die Bedeutung Deutschlands im Konzert der Bündnisstaaten. Brigadegeneral Friedrich Wilhelm Kriesel sagte das in dem Beitrag von Bundeswehr-TV damals auch ganz offen:
O-Ton Kriesel:
„Man erhält als Regierung nur etwas, wenn man selber auch etwas liefern kann. Man kann sich nicht immer nur vom guten Willen der Verbündeten abhängig machen, sondern die Verbündeten erwarten, dass man selber etwas dazu beiträgt. Mit SAR-Lupe sind wir jetzt in einer hervorragenden Position und können für das, was wir gegebenenfalls Verbündeten liefern, natürlich auch selber etwas verlangen, was wir nicht haben.“
Wie weit der Austausch solcher Bilder und Informationen geht, darüber lässt die Bundesregierung nichts Konkretes verlauten. Welche Erkenntnisse mit SAR-Lupe gewonnen werden konnten, darüber ist bislang überhaupt nur wenig nach außen gedrungen. Bekannt gegeben wurden nur harmlose Geschichten wie die, wonach die Satelliten unter einem deutschen ISAF-Feldlager in Afghanistan eine unbekannte Grabstätte entdeckt haben. Über die Nutzung-SAR-Lupes für Militäroperationen und Kampfeinsätze in Afghanistan verlautete dagegen nichts.
2007 wollte es der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele genauer wissen. Im Bundestag fragte er die Bundesregierung, ob bei US-geführten Luftangriffen in Afghanistan, bei denen auch hunderte Zivilisten getötet wurden, Aufnahmen des Radar-Aufklärungssatelliten „SAR-Lupe“ verwendet wurden. Konkret wollte Ströbele in seiner schriftlichen Anfrage wissen:
Zitat:
„Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sich die Bundeswehr durch Tornado-Flugzeuge oder andere Einheiten an den US-geführten Luftangriffen in Afghanistan beteiligt hat, bei denen allein am 30. Juni 2007 in Grischnik/Provinz Helmand 45 Zivilisten getötet worden sein sollen sowie bisher 300 Zivilisten im Jahr 2007 gesamt, indem sie Fotoaufnahmen, Zielmarkierungen oder andere Informationen übermittelt hat, und kann die Bundesregierung ferner ausschließen, dass für diese Angriffe auch Informationen verwendet werden können, welche durch die ab Dezember 2006 ins All geschossenen Radar-Aufklärungssatelliten ‚SAR-Lupe‘ der Bundeswehr gewonnen worden sind?“
Die Bundesregierung antwortete schriftlich durch den Parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Christian Schmidt. In dem Sitzungsprotokoll der Bundestagssitzung vom 4. Juli 2007 heißt es:
Zitat Schmidt:
„Die Bundesregierung kann ausschließen, dass für Operationen gemäß Fragestellung Informationen verwendet wurden, die durch den Radar-Aufklärungssatelliten ‚SAR-Lupe‘ der Bundeswehr gewonnen wurden. Darüber hinaus können Aufträge für solche Aufnahmen nur von den zuständigen deutschen Stellen für Nachrichtengewinnung und Aufklärung erteilt werden.“
Für die Luftangriffe soll der Radar-Satellit also keine Rolle gespielt haben. Offen bleibt aber, ob er Informationen für andere Militäraktionen in Afghanistan geliefert hat. Nun soll SAR-Lupe durch ein Nachfolgesystem ersetzt werden. Denn die Lebenszeit von SAR-Lupe endet nach ca. zehn Jahren, wenn der Treibstoff an Bord verbraucht ist. Geplant ist ein neues System namens „SAR-ah“. Es besteht aus zwei Bodenstationen und drei Satelliten, die 2018 und 2019 ins All geschossen werden sollen. Zwei der Satelliten arbeiten mit der Reflektortechnologie, der dritte mit dem sogenannten Phased-Array-Radar. Das neue System soll mehr und bessere Bilder machen, die auch noch schneller an die Bodenstation übermittelt werden können – in nur wenigen Stunden.
370 Millionen Euro hatte SAR-Lupe offiziell gekostet. Das Nachfolgesystem wird mit rund 800 Millionen Euro zu Buche schlagen. Der Vertrag mit der Firma OHB und der EADS-Tochter Astrium wurde im September abgeschlossen. All das ging weitgehend ohne Öffentlichkeit und Diskussion vonstatten. Wie überhaupt unklar ist, welche Rolle SAR-Lupe beim Krieg in Afghanistan gespielt hat. Oder auch bei den US-Drohnenangriffen in Pakistan. Amnesty International hat kürzlich angemahnt, dass diese geheimen Attacken zum Teil Kriegsverbrechen sein könnten. Für Amnesty ist die Sache klar: Deutsche Behörden dürfen solche Angriffe nicht unterstützen. Das würde auch das Bereitstellen von Aufklärungsbildern betreffen, wie SAR-Lupe sie liefert.
Autor: Dirk Eckert
MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20131101-1306-3542.mp3