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Syrien ist eines der letzten Länder der Erde, das noch Chemiewaffen besitzt. Nun werden sie gemäß dem Beschluss des UN-Sicherheitsrates und mit Zustimmung der syrischen Regierung außer Landes gebracht. Geplant ist, die Kampfstoffe auf hoher See im Mittelmeer auf einem speziellen Schiff zu zerstören. Im Nahen Osten gibt es damit ein Massenvernichtungswaffen-Arsenal weniger. Und wenn die Atomgespräche zwischen dem Westen und der iranischen Regierung erfolgreich verlaufen, wird auch der Iran eine Nicht-Atommacht bleiben.
Die Chancen sind anscheinend also günstig, einen alten, langgehegten Traum zu verwirklichen: den Nahen Osten in eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen umzuwandeln. Zwischen Nordafrika und dem Iran wären dann Atomwaffen sowie biologische und chemische Waffen untersagt. Das genaue Gebiet müsste natürlich noch festgelegt werden. Ähnliche Zonen gibt es bereits: Die Verträge von Tlatelolco, Pelindaba und Rarotonga etwa verbieten Atomwaffen in Lateinamerika, Afrika und dem Südpazifik. Auch die Antarktis, die Mongolei und Zentralasien sind Regionen, in denen Atomwaffen per Vertrag für illegal erklärt wurden.
Auch im von Kriegen und Konflikten erschütterten Nahen Osten existieren solche Pläne seit Jahrzehnten. 1974 brachte Ägypten zusammen mit dem Iran eine entsprechende Initiative in die UN-Generalversammlung ein. Und erst kürzlich machte der ägyptische Außenminister Nabil Fahmy wieder einen neuen Vorstoß in diese Richtung. Vor der UN-Vollversammlung zählte er im September die notwendigen Schritte auf, um den Nahen Osten nicht nur in eine Zone ohne Atomwaffen, sondern auch in eine Zone ohne biologische und chemische Waffen zu verwandeln:
O-Ton Fahmy (overvoice)
„1. Israel muss als Nicht-Atomwaffenstaat dem Nichtverbreitungsvertrag beitreten und die C-Waffen-Konvention ratifizieren sowie die B-Waffen-Konvention unterzeichnen und ratifizieren.
2. Syrien muss die B-Waffen-Konvention ratifizieren und die verbliebenen Verpflichtungen erfüllen, die es mit der C-Waffen-Konvention eingegangen ist.
3. Ägypten muss die B-Waffen-Konvention ratifizieren und die C-Waffen-Konvention unterzeichnen und ratifizieren.“
Doch bislang sind diese Pläne immer daran gescheitert, dass Israel nicht bereit ist, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Das Land gilt heute als die einzige Atommacht im Nahen Osten. Offiziell hat Israel allerdings bisher den Besitz von Atomwaffen nicht zugegeben. Die Regierung in Jerusalem verfolgt vielmehr die sogenannte Politik der nuklearen Ambiguität, also der Mehrdeutigkeit: Israel, so lautet die offizielle Sprachregelung, werde nicht als erstes Atomwaffen im Nahen Osten einführen.
Experten gehen aber davon aus, dass Israel zwischen 100 und 200 nukleare Sprengköpfe besitzt. Als ein Land, das sich nie offiziell zur Atommacht erklärt hat, ist Israel nicht prinzipiell gegen eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten. Doch diese kann aus israelischer Sicht nur das Ergebnis von Verhandlungen sein. Jede israelische Regierung hat es daher bisher abgelehnt, dem Atomwaffensperrvertrag mit all seinen Verpflichtungen bedingungslos beizutreten. Israel argumentiert, Abrüstung sei ohne Entspannung nicht möglich. Es wird darauf verwiesen, dass viele arabische Staaten das Land bisher nicht anerkannt haben.
Rüstungsforscher wie Bernd W. Kubbig von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) halten es dennoch für möglich, die arabischen Staaten und Israel an einen Tisch zu bringen: Durch vertrauensbildendende Maßnahmen und eine Politik der kleinen Schritte ließe sich ihrer Ansicht nach das nötige Vertrauen schaffen, um Abrüstung und Rüstungskontrolle auch im Nahen Osten einzuführen – so dass eine massenvernichtungswaffenfreie Zone eines Tages Wirklichkeit werden könnte. Bernd W. Kubbig:
O-Ton Kubbig
„Dieser Weg vertrauensbildender Maßnahmen, vor allem vertraulicher Gespräche, ist der allererste Schritt, um in diese Richtung zu gehen. Nur so können sie die unvereinbaren Positionen aufbrechen, reduzieren.“
Die Fachleute sprechen bei diesem Zug-um-Zug-Prozess vom Konzept des sogenannten Inkrementalismus: Gemeint ist damit eine Politik der kleinen Schritte, bei dem keiner die andere Seite überfordert. Doch bislang beharren die arabischen Staaten darauf, dass Israel als erstes seine Atomwaffen abschaffen muss. Diese starre Haltung führt aber erfahrungsgemäß nur dazu, dass es überhaupt nicht zu Verhandlungen, Rüstungskontrollgesprächen und vertrauensbildenden Maßnahmen kommt.
Daran konnte auch die sogenannte „Mubarak-Initiative“ von 1990 nichts ändern. Ägypten hatte damals vorgeschlagen, statt einer Zone ohne Atomwaffen, eine Zone ohne Massenvernichtungswaffen einzurichten. Das Ziel war, Israel entgegenzukommen, weil damit nicht nur über das israelische Nuklearpotenzial, sondern auch über syrische Chemiewaffen verhandelt worden wäre. Doch am Ende beharrten die arabischen Staaten darauf, dass Israel einlenken und zunächst auf Atomwaffen verzichten müsse – natürlich vergeblich. Kontraproduktiv verhielt sich auch die iranische Regierung. Teheran hatte in den vergangenen Jahren Israel als „zionistisches Regime“ kategorisch abgelehnt und damit jegliche Abrüstungsgespräche torpediert. Doch vielleicht ändert sich auch hier die iranische Position, nachdem der neue Präsident Rohani inzwischen die Annäherung an den Westen betreibt.
Abrüstungsexperte Bernd W. Kubbig sieht nun Ägypten in der Pflicht, die israelische Position ernst zu nehmen. Nötig sei es, die arabische Friedensinitiative wiederaufzunehmen und die Anerkennung Israels sowie die Gründung eines Palästinenserstaates voranzutreiben, argumentiert Kubbig.
O-Ton Kubbig
„Israel hat immer gesagt: wir als Israelis können unsere Nuklearwaffen nur aufgeben, wenn wir von allen Staaten der Region anerkannt werden, wenn also in der Region Frieden herrscht. Die Aufgabe etwa von Ägypten, das sich als Führungsmacht bei der Abrüstung hervortut, wäre es, auf diese israelische Bedingung einzugehen.“
Anscheinend ist die gegenwärtige Lage nicht ganz aussichtslos. Immerhin haben sich kürzlich Vertreter arabischer Staaten und Israels zweimal im schweizerischen Glion getroffen. Die Gespräche sollen nach Angaben von Insidern konstruktiv verlaufen sein. Ziel ist es, die Staatenkonferenz vorzubereiten, die eigentlich 2012 im finnischen Helsinki hätte stattfinden sollen. Sie war auf der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag 2010 beschlossen worden, um eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten vorzubereiten. Doch bisher ist diese Konferenz immer wieder verschoben worden, offenbar, weil es in Israel Widerstand gegen eine solche Tagung gibt.
Die Gespräche in Glion sollen in diesem Jahr weitergehen: Der UN-Beauftragte Jaako Laajava plant laut Medienberichten schon demnächst ein weiteres Treffen. Beraten werden dann aber nur die Unterhändler und im Protokoll sehr niedrig eingestufte Diplomaten. Auf politisch höchster Ebene gibt es weiterhin keine Anzeichen dafür, dass die Idee einer massenvernichtungswaffenfreien Zone Nahost ernsthaft in Angriff genommen wird. Bernd W. Kubbig sieht hier auch die Großmächte in der Pflicht:
O-Ton Kubbig
„Der Erfolg der kleinsten Schritte hängt sicher auch davon ab, dass die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland versuchen, durch Anreize einerseits, aber auch durch einen sanften Druck ihre jeweiligen Alliierten dazu zu bringen, in diese Richtung zu gehen.“
Doch danach sieht es zurzeit nicht aus. Bis es zur Einrichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten kommt, dürften daher wohl noch viele Jahre vergehen.
Autor: Dirk Eckert
MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20140110-1307-3442.mp3