Die Proliferations-Sicherheitsinitiative PSI – Papiertiger oder wirksames Instrument gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 25.07.2009

NDR Radio

Offiziell gibt es weltweit fünf Atommächte. Das sind laut Atomwaffensperrvertrag China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA. Die meisten Staaten der Erde sind diesem Vertrag beigetreten. Nicht dabei sind lediglich Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan – vier Länder, die ebenfalls über Nuklearwaffen verfügen. Damit nicht noch mehr Staaten in den Besitz von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen wie chemischen und biologischen Kampfstoffen kommen, hat die US-Regierung 2003 eine Initiative ins Leben gerufen, die ihre Weiterverbreitung verhindern soll.

Mehr als 90 Staaten haben inzwischen ihre Unterstützung für diese sogenannte Proliferations-Sicherheitsinitiative „Proliferation Security Initiative“ PSI bekundet. Dazu gehören neben Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Japan einige Staaten, unter deren Flaggen viele Schiffe auf den Weltmeeren unterwegs sind. Mit verstärkten Kontrollen wollen sie die illegale Verbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen unterbinden.

Wie das in der Praxis aussieht, zeigt ein Fall aus dem Jahre 2003. Damals wurde ein nordkoreanisches Schiff in einem thailändischen Hafen festgehalten. Die USA hatten die Regierung in Bangkok informiert, dass der Frachter Chemikalien für Raketentreibstoff transportiere. Das Schiff wurde schließlich durchsucht – mit Zustimmung der nordkoreanischen Regierung. Pjöngjang wollte damals offensichtlich die laufenden Abrüstungsverhandlungen nicht durch einen weiteren Konflikt gefährden. Tatsächlich wurden entsprechende Chemikalien entdeckt und beschlagnahmt.

Der Vorfall zeigt ein generelles Problem der Anti-Proliferations-Initiative: Schiffe in internationalen Gewässern dürfen nicht aufgrund eines bloßen Verdachts geentert werden. Es gilt grundsätzlich das Recht des Landes, unter dessen Flagge ein Schiff fährt. Kriegsschiffe dürfen fremde Handelsschiffe nach der UN-Seerechtskonvention nur in bestimmten Fällen durchsuchen, etwa bei Verdacht auf Piraterie oder Sklavenhandel. Schiffe, die im Staatsauftrag unterwegs sind, sind dagegen Tabu. Sie genießen sogar Immunität.

Zwar hat sich auch der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1540 vom 28. April 2004 gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ausgesprochen. Die UN-Mitgliedsstaaten wurden dazu aufgefordert, „den unerlaubten Handel mit nuklearen, chemischen oder biologischen Waffen, ihren Trägersystemen und verwandtem Material“ zu unterbinden. Alle entsprechenden Maßnahmen müssen aber im Einklang stehen mit den – wie es heißt – „natio-nalen rechtlichen Befugnissen und Rechtsvorschriften“. Und gemeinsame Aktionen dürfen nur auf Grundlage des Völkerrechts erfolgen.

Wie schwierig die Rechtslage ist, zeigte sich auch bei einem Vorfall im Sommer dieses Jahres. Am 17. Juni verließ das Schiff „Kang Nam“ Nordkorea. Die USA vermuteten, dass der Frachter Raketenteile für das Militärregime in Birma geladen hatte. Der Lenkwaffenzerstörer „USS John McCain“ beschattete daher das Schiff. Die USA beriefen sich auf die Resolution 1874 des UN-Sicherheitsrates, die eine Antwort auf den nordkoreanischen Atomwaffentest vom 25. Mai war. Danach ist Nordkorea der Im- und Export größerer Waffen untersagt.

Allerdings gestattet es die Resolution 1874 nicht, Schiffe auf hoher See gewaltsam zu durchsuchen. Die rechtlichen Möglichkeiten eines US-Kriegsschiffs sind daher sehr beschränkt. Der Chef des US-Generalstabs, Admiral Michael Mullen, über die Optionen im Fall des nordkoreanischen Frachters „Kang Nam“:

O-Ton Michael Mullen (overvoice):

„Wenn ein Schiff wie dieses keiner Durchsuchung zustimmt, können wir es in einen Hafen dirigieren. Das entsprechende Land kann das Schiff dann inspizieren und die Vereinten Nationen informieren, wenn das Schiff es ablehnt, zu kooperieren. Aber die Resolution des UN-Sicherheitsrates gestattet es nicht, ein Schiff ohne Erlaubnis zu entern. In diesem Fall würden wir den Vereinten Nationen Meldung machen, wenn wir das Schiff verdächtigen, Material an Bord zu haben, das gegen die Bestimmungen des UN-Sicherheitsrates verstößt.“

Der nordkoreanische Frachter „Kang Nam“ drehte schließlich bei und kehrte in seinen Heimathafen zurück. Um fremde Schiffe gegebenenfalls auch aufbringen zu dürfen, haben die USA mit mehreren Staaten Verträge abgeschlossen, unter deren Flagge viele Schiffe registriert sind. Ziel ist es, den Schmuggel von Massenvernichtungswaffen, ihren Bestandteilen und Trägersystemen auf Handelsschiffen zu verhindern. Entsprechende Abkommen gibt es bisher mit den Bahamas, Belize, Kroatien, Liberia, Malta, den Marshall-Inseln, der Mongolei, Panama und Zypern. Die Verträge erlauben es den USA, Schiffe bei Verdacht zu durchsuchen. 2005, nach der Unterzeichnung des fünften Abkommens die-ser Art mit Zypern, gab das US-Außenministerium bekannt, dass damit mehr als 60 Prozent aller Handelsgüter auf See kontrolliert werden können.

Neben diesen Abkommen gibt es im Rahmen der Proliferations-Sicherheitsinitiative PSI einen Kreis von mittlerweile 20 Staaten, die Informationen austauschen und Übungen abhalten, wie kritische Transporte abgefangen werden können. Dazu gehören Länder wie Australien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Japan, Russland und auch Deutschland. Die Bundesregierung spricht von „aktiven Teilnehmern“, die mehrmals im Jahr im Rahmen der so genannten „Operational Expert Group“ zum Informationsaustausch zusammenkommen.

Doch wie viele Staaten auch immer an der Anti-Proliferations-Initiative beteiligt sind – sie bleibt eine informelle Partnerschaft einzelner Länder unter Führung der USA. Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich fordert deshalb, die Proliferationsinitiative in einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zu überführen:

O-Ton Rolf Mützenich:

„Wir bräuchten eine völkerrechtlich verbindliche Vereinbarung mit der Möglichkeit einer Überprüfung und auch einer Sanktionierung. Wir bitten alle Staaten, dieser Vereinbarung beizutreten. Es kann nicht so sein, dass einzelne Staaten sich hier sozusagen ein Recht offen halten, was keine völkerrechtliche Grundlage hat. Und ich glaube, es wäre gut, wenn entweder innerhalb der Vollversammlung der Vereinten Nationen oder des Sicherheitsrates oder eben auch in den Dialogforen wie zum Beispiel in Genf darüber gesprochen würde, hier voranzukommen.“

US-Präsident Barack Obama sieht in der Proliferations-Sicherheitsinitiative, die er von seinem Vorgänger geerbt hat, einen wichtigen Baustein der amerikanischen Abrüstungspolitik. Für den März 2010 kündigte er einen Gipfel zu atomarer Sicherheit mit 25 bis 30 Staaten in Washington an. Dort soll es dann u.a. darum gehen, den Handel mit Nuklearmaterial zu unterbinden und Atommaterial vor Diebstahl zu schützen. Den Segen der Großen Acht hat Obama schon: Auf ihrem Gipfel in diesem Monat im italienischen L’Aquila unterstützten die G8-Staaten die Proliferations-Sicherheitsinitiative. Was Obama vor der Presse in L’Aquila sagte, klang dann fast schon so, als denke auch er an ein allgemein gültiges Rüstungskontrollregime.

O-Ton Barack Obama (overvoice):

„Das Ziel hier ist es zu zeigen, dass die USA und Russland ihre Verpflichtungen erfüllen, so dass auch andere Länder sehen, dass es um eine internationale Anstrengung geht und nicht um etwas, was die Vereinigten Staaten oder Russland oder die Staaten mit Nuklearwaffen anderen Ländern vorschreiben. Und ich bin zuversichtlich, dass wir wieder ein System schaffen können, das die Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindert und mit dem alle einverstanden sind. Wir brauchen überprüfbare internationale Normen, deren Einhaltung erzwungen werden kann.“

Möglicherweise bekommt die Proliferations-Sicherheitsinitiative also noch den Segen der Vereinten Nationen. Denn die USA streben weiterhin an, verdächtigte Schiffe jederzeit durchsuchen zu können – notfalls auch gegen den Willen einer Regierung.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20090724-1237-0101.mp3