Begrenzter Nutzen und nicht mehr finanzierbar? Nachdenken über die britischen Atomwaffen

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 22.08.2009

NDR Radio

200 britische Soldaten kamen mittlerweile in Afghanistan ums Leben. Und die Kritik an dem Einsatz wird immer lauter: Die einen fordern den vollständigen Rückzug. Die anderen fragen sich, ob die Soldaten angemessen ausgestattet sind. Warum, so die Frage, sind die Soldaten, die im afghanischen Helmand eingesetzt sind, nicht so ausgestattet wie ihre amerikanischen Kameraden? Warum sind sie dort zum Beispiel auf amerikanische Luftunterstützung angewiesen?

Die Debatte wirft Fragen für die gesamte britische Sicherheitspolitik auf. Denn während das Land über die Ausstattung seiner Soldaten in Afghanistan debattiert, plant die Regierung eine milliardenschwere Anschaffung, deren Sinn und Zweck immer weniger Briten einleuchtet. Für offiziell 20 Milliarden Pfund, was gut 23 Milliarden Euro entspricht, sollen die britischen Trident-Atom-U-Boote erneuert werden. So hat es das Unterhaus im Jahr 2007 auf Drängen der Regierung beschlossen.

Kritiker rechnen allerdings mit viel höheren Kosten von bis zu 76 Milliarden Pfund. Und die Frage, warum Großbritannien seegestützte Atomraketen braucht, bleibt. Am 13. Juli etwa kam es im Unterhaus zu einer kurzen, aber hitzigen Debatte mit dem neuen Verteidigungsminister Bob Ainsworth, der an den britischen Nuklearwaffen festhält. Wir werden Trident nicht erneuern, so ein Abgeordneter trotzig – und unter lauter Zustimmung einiger Mitparlamentarier:

Atmo Abgeordneter und Beifall

Kritik an den Atomwaffen ist in Großbritannien nicht neu. Sechs Jahre nach dem Test der ersten britischen Atombombe 1952 wurde die Campaign for Nuclear Disarmament (CND) gegründet. In den 80er Jahren, in der Zeit von Nachrüstungsdebatte und Kaltem Krieg, hatte die Anti-Atomwaffen-Bewegung ihre Hochphase. Im Rahmen der Proteste entstand das heute weltweit bekannte, kreisrunde Friedens-Zeichen. Der Designer Gerald Holtom entwickelte es 1958 für den ersten Friedensmarsch in Aldermaston, wo die britische Atomwaffenfabrik, das Atomic Weapons Establishment, ihren Sitz hat. Abgeleitet aus den Buchstaben N und D im Winkeralphabet, steht das Symbol für „nuclear disarmament“, also nukleare Abrüstung.

Die CND ist noch heute aktiv. Inzwischen kommt die Kritik an den Atomwaffen aber nicht nur aus dem Lager der Pazifisten und Linken. Nach einer Umfrage im Auftrag der britischen Zeitung „Guardian“ von Anfang Juli ist in Großbritannien eine Mehrheit von 54 Prozent der Briten dafür, die Atomwaffen abzuschaffen. Unter den Anhängern der regierenden Labour-Partei sind es sogar 59 Prozent. Diese war schon im März 2007 im Parlament auf die Stimmen der Konservativen angewiesen, als der damalige Labour-Premier Tony Blair den Beschluss zur Erneuerung der Trident-U-Boote durchsetzen wollte. Denn 95 Abgeordnete der Labour-Partei stimmten gegen die neuen Atom-U-Boote, die nach 2022 schrittweise in Dienst genommen werden und die alten ersetzen sollen.

Sogar von den Konservativen, die zu den strikten Atomwaffen-Befürwortern gehören, sind heute vergleichsweise moderate Töne zu hören. Im Fall eines Wahlsieges 2010 wollen die Torys „ausnahmslos alle Verteidigungsausgaben“ überprüfen, hat ihr Vorsitzender David Cameron angekündigt. Deutlich gegen die geplante Erneuerung der Atomflotte Stellung bezogen haben die Liberaldemokraten. Ihr Vorsitzender Nick Clegg sagte Ende Juni der BBC:

O-Ton Nick Clegg (overvoiced)

„Ein Nuklearraketen-System, das für eine andere Zeit, den Kalten Krieg entwickelt wurde und etwa zehn Prozent des gesamten Verteidigungshaushaltes kostet – etwa 100 Milliarden Pfund über die nächsten 25 Jahre -, sollte nicht unsere Priorität sein.“

Rückendeckung bekamen die Atomwaffengegner auch durch eine Studie, für die ehemals hochrangige britische Politiker verantwortlich zeichnen, darunter auch Lord George Robertson, der frühere NATO-Generalsekretär. Der am Institute for Policy Research entstandene Report fordert einen grundsätzlichen Schwenk der britischen Sicherheitspolitik – weg von der klassischen Landesverteidigung hin zu weltweiter Anti-Terror-Bekämpfung durch Interventionstruppen. Dieselbe Art von Streitkräften zu unterhalten wie die Vereinigten Staaten – Atomraketen- und U-Boote, Flugzeugträger und hochmodern ausgerüstete Interventionstruppen – könne sich Großbritannien nicht leisten. Das Institute for Policy Research forderte deshalb in seiner Studie, die Verteidigungsausgaben um 24 Milliarden Pfund, das entspricht 26,5 Milliarden Euro, zu senken. Auch das Royal United Services Institute sagte kürzlich voraus, dass der Verteidigungshaushalt in den sechs Jahren nach der nächsten Wahl um mehr als 15 Prozent gekürzt werden müsse.

Derzeit gibt Großbritannien 35 Milliarden Pfund im Jahr für sein Militär aus. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt, sind das die mit 2,3 Prozent höchsten Verteidigungsausgaben in der EU. Doch die Finanzkrise ist auch an Großbritannien nicht spurlos vorübergegangen. Das Land steuert auf eine hohe Verschuldung zu und würde sich die geplanten Rüstungsprojekte nur bei hohen sozialen Einsparungen leisten können: Neben neuen Trident-U-Booten sind nämlich zwei Flugzeugträger in Planung, die fünf Milliarden Pfund kosten. Außerdem sollen „Joint Strike Fighter“-Kampfflugzeuge im Wert von bis zu 10 Milliarden Pfund und sechs Zerstörer für 6,5 Milliarden Pfund angeschafft werden.

Die britische Regierung hält jedoch weiter an der Erneuerung der Atomwaffen fest. Allerdings soll das Atomwaffenarsenal dabei verkleinert werden – ein Zugeständnis an die Kritiker. Statt vier soll es möglicherweise nur drei U-Boote geben. Und die Zahl der operativ nutzbaren Gefechtsköpfe soll von derzeit rund 185 auf unter 160 verringert werden. Ganz verzichten will London aber nicht auf die Atombewaffnung. Denn nur die Atomwaffen geben Großbritannien seine herausragende Stellung in der internationalen Staatenwelt, aber auch in der EU, wo neben dem Königreich nur Frankreich über Atomwaffen verfügt.

Zwar sagte Premier Gordon Brown beim G8-Gipfel im italienischen L’Aquila Anfang Juli, Großbritannien sei bereit, sein Atomarsenal im Rahmen von Abrüstungsverhandlungen weiter zu reduzieren. Was das bedeutet, machte aber wenig später sein neuer Verteidigungsminister Bob Ainsworth im britischen Unterhaus klar:

O-Ton Bob Ainsworth (overvoiced)

„Der Premierminister hat sehr deutlich gemacht, dass wir die nukleare Abschreckung behalten wollen. Wir müssen bei der multilateralen nuklearen Abrüstung mitwirken. Aber gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass wir eine minimale nukleare Abschreckung behalten. Und das wird diese Regierung auch tun.“

Die Abrüstungsbereitschaft der Regierung in London hat also ihre Grenzen. Einen Erfolg konnten die Atomwaffengegner allerdings erzielen: Die Regierung in London will nicht wie geplant im September den endgültigen Startschuss für neue Atom-U-Boote geben, sondern stattdessen die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Frühjahr 2010 abwarten. Und die könnte nach den deutlichen Abrüstungsbekundungen von US-Präsident Barack Obama diesmal wirklich interessant werden. Die Zukunft der britischen Atomwaffen ist also offen.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20090821-1952-5501.mp3