Ein kritisches Jein

"Nein zum Krieg" und "Nein zum Nein zum Krieg" - Moskau und die Interessen der "internationalen Werte-" und Waffengemeinschaft im "Krieg gegen Terror", Teil 3.

Volksstimme, 13.02.2003, Nr. 7

Volksstimme

Die USA sind mitten in den Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Irak, doch die russische Regierung verhält sich auffallend ruhig. Sicher, Russland sieht „keinen Grund“ für einen Krieg, wie der russische Außenminister Igor Iwanow kürzlich wieder erklärte. Das war’s dann aber auch schon. Als Gegenspieler der Bush-Regierung treten gegenwärtig eher Paris und Berlin auf, die den Konflikt nutzen wollten, um den Grundstein für eine europäische Außenpolitik zu legen, und grandios gescheitert sind, wie die Erklärung von acht europäischen Staaten zugunsten der US-Regierung zeigt.

Dabei hat Russland allen Grund, dem Aufmarsch der US-Army am Golf kritisch gegenüberzustehen. Seit dem Afghanistan-Krieg unterhalten die USA mehrere Militärstützpunkte in Zentralasien. Die gesamte Region von Kasachstan über Usbekistan, Turkmenistan und Afghanistan, Iran und Irak, die arabische Halbinsel bis nach Somalia und Sudan steht zudem unter einem einheitlichen amerikanischen Oberkommando, dem U.S. Central Command (USCENTCOM). Der Großmacht Russland sind damit im Süden enge Grenzen für eine eigene imperiale Machtpolitik gesetzt.

Zudem könnte Russland in eine Finanzkrise taumeln, wenn der Irak nach dem Krieg als großer Anbieter von Erdöl auf den Weltmarkt zurückkehrt. Ein fallender Ölpreis wäre die Folge, was Russland als erdölexportierendem Land überhaupt nicht zugute käme. Moskau berechnet sogar seinen Haushalt aufgrund zu erwartender Einnahmen aus dem Ölexport, wobei von einem Preis von 20 Dollar pro Barrel ausgegangen wird.

Bisher hat sich die russische Regierung mit dem Regime im Irak gut gestellt. Moskau hofft auf eine Rückzahlung der Schulden von acht Milliarden Dollar, die der Irak vor allem durch Waffenkäufe zu Sowjetzeiten in Moskau angehäuft hat. Russische Energiekonzerne wiederum wollen nach dem Ende der Sanktionen groß in die Ölindustrie des Irak einsteigen. Im Norden des Landes, auf den Ölfeldern von Kirkuk, ist die russische Firma Sarubeschneft aktiv. Der Ölkonzern Lukoil hat 1997 einen Vertrag über das Ölfeld West-Qurna unterzeichnet, von dessen Erschließung sich das Unternehmen bis zu 20 Milliarden Dollar Einnahmen verspricht. Erst im August 2002 handelte die russische Regierung mit dem Irak ein Kooperationsabkommen im Wert von 40 Milliarden Dollar in den Bereichen Energie, Chemieproduktion, Bewässerung und Verkehrsprojekte aus.

Wie viel Russland an den Projekten im Irak liegt, ist natürlich auch in Washington bekannt. Um Moskau auf seine Seite zu ziehen, hat US-Präsident George W. Bush mittlerweile zugesagt, dass die russischen Wirtschaftsinteressen im Irak im Falle eines Regimewechsels gewahrt bleiben würden. Alexander Vershbow, der US-Botschafter in Russland, stellte Moskau Anfang Januar in Aussicht, russisches Öl könne zu einer „ernsthaften Alternative zu den Lieferungen vom Persischen Golf und anderen Regionen der Erde werden“.

Andere versuchen es mit Drohungen: Ein Sprecher des republikanischen Senators Richard Lugar warnte am 23. Januar, Frankreich und Russland müssten sich „an den militärischen Anstrengungen“ und den Kosten für einen Machtwechsel beteiligen, wenn sie Zugang zum irakischen Öl bekommen wollten.

Die amerikanischen Bemühungen könnten auch deshalb Erfolg haben, weil Moskau erst im Dezember eine böse Überraschung mit dem Irak erlebte. Saddam Hussein kündigte den Vertrag mit Lukoil, was allgemein als Reaktion des Iraks auf die weiche Haltung Russlands gegenüber den US-Kriegsplänen gedeutet wurde. Inzwischen hat Bagdad, nach einer Intervention der russischen Regierung, den Vertrag wieder hergestellt. Presseberichten zufolge hat der ganze Vorgang in Moskau für einige Verstimmung gesorgt. Der Irak sei unzuverlässig und Moskau solle eine härtere Gangart an den Tag legen, so der Tenor.

Der russischen Regierung, die einen streng prowestlichen Kurs verfolgt, ist an einer Konfrontation mit den USA ohnehin nicht gelegen ist. Denn die Reintegration der ehemaligen Sowjetunion in die kapitalistische Weltwirtschaft, für die Russlands Präsident Wladimir Putin steht, ist noch lange nicht abgeschlossen, als eines der nächsten Projekte steht der Beitritt zur Welthandelsorganisation auf dem Programm. Nach dem 11. September hat Putin den US-Krieg in Afghanistan deshalb ebenso akzeptiert wie die Stationierung amerikanischer Soldaten zwischen Schwarzem Meer und Hindukusch. Dafür bekam er freie Hand in Tschetschenien. Quasi über Nacht wurde die russische Teilrepublik, bisher eher ein Fall für die Menschenrechtskommission, zur vordersten Front im „Krieg gegen den Terror“ erklärt.

In Deutschland vollzog Bundeskanzler Gerhard Schröder diesen Richtungswechsel mit den Worten, der Tschetschenien-Krieg müsse jetzt „differenzierter“ betrachtet werden.

Eigentlich will Putin sich mit allen gut stellen. Mit den USA ebenso wie mir den „Schurkenstaaten“ Nordkorea, Iran und Irak, zu denen Russland auch diplomatische Beziehungen unterhält. Das heißt im Fall Irak: Nein zum Krieg und Nein zum Nein gegen den Krieg. Die russische Regierung lehnt einen Krieg ab, warnt vor amerikanischen Alleingängen und befürchtet eine Spaltung der Anti-Terror-Koalition. Trotzdem wird Russland die USA bei ihrem Krieg nicht behindern, wie Putin kurz vor der Rede von Bush „zur Lage der Nation“ Ende Januar deutlich machte: „Die Qualität unserer Beziehungen erlaubt es uns nicht, in eine Konfrontation abzugleiten“.

„Schweigende Opposition“ heißt diese Position mittlerweile in der Presse. „Ein gutes Verhältnis zu den USA bedeutet nicht, dass unsere Ansichten völlig deckungsgleich sind“, erklärte Putin diese Politik. In der Praxis setzt Moskau weiter auf die UN-Inspektionen, von deren Ergebnis sich die US-Regierung ohnehin nicht beeinflussen lassen will. Außerdem bereitet sich Moskau auf die Nachkriegszeit im Irak vor: Russland und China haben sich jüngst darauf verständigt, nach einem Regimewechsel gemeinsam auf ihre Wirtschaftsinteressen im Irak zu achten.

Teil 1 dieser Serie (Großbritannien) ist in Volksstimme 03/03 erschienen, Teil 2 (Frankreich) in Volksstimme 05/03.


Autor: Dirk Eckert