Machtmaximierung

Ein materialreiches Buch über die imperiale Strategie der USA

junge Welt, 07.12.2002,

junge Welt Rezension

Ein Jahr nach den Anschlägen des 11.September tut eine wissenschaftliche Bearbeitung des Themas gut. Jürgen Wagner hat mit seinem im VSA-Verlag erschienenen Buch »Das ewige Imperium. Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor« die Außenpolitik der USA nach dem 11. September untersucht. Washington setzt demnach weiter auf die »imperiale Strategie«, wie Wagner sie nennt. Sie folge der Theorie des »offensiven Realismus« und reagiere auf Herausforderung mit einem weiteren Ausbau eigener Macht.

Wagner, als Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) selbst in der Friedensbewegung aktiv, belegt seine These mit einer Untersuchung der Antiterrorstrategie der Bush-Regierung. Unter dem Deckmantel des »Krieges gegen den Terror« betrachte sie willkürlich Länder als Freunde oder gebe sie als »Achse des Bösen« zum Abschuß frei. Der Bruch des Völkerrechts werde in Kauf genommen – so, wie es den eigenen Interessen nütze. Ein Beispiel dafür ist nach Wagner der Krieg gegen Afghanistan. Die Anschläge seien nur der »Auslöser eines längst beschlossenen Krieges« gewesen: Eines Krieges um den »Zugang zu Schlüsselmärkten und strategischen Ressourcen«, den ein offizielles Dokument der amerikanischen Regierung als vitales Interesse der USA bezeichnet.

Die Politik der Machtmaximierung fordert natürlich ihren Preis. Entsprechend ordnet Wagner auch die Terroranschläge ein. »Die den Attentaten des 11. September zugrundeliegenden Motivationen einzig auf religiösen islamischen Fundamentalismus zu reduzieren, greift einfach zu kurz.« Er hält die Anschläge für weder zufällig noch irrational. »Diejenigen, die sie ausführten, handelten aus kalter Berechnung, die Vereinigten Staaten zur Änderung spezifischer Politiken zu zwingen – Politiken, die sich hauptsächlich aus der globalen Rolle ergeben, die Amerika gewählt hat«, zitiert Wagner aus The Atlantic Monthly.

In den USA war es vor allem die Linke um den Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, die die Anschläge von New York und Washington sofort in den Kontext der Außenpolitik stellte. Daran orientiert sich auch Wagner. »Die aus den Theorien der realistischen Denkschule abgeleitete imperiale Politik der USA riskiert auf unverantwortliche Weise zahllose Menschenleben, nicht nur in den Vereinigten Staaten, und muß deshalb kritisiert werden. Als eine Art self-fullfilling prophecy verhindert sie deeskalierende Maßnahmen und macht damit die Möglichkeit zu einem friedlichen Zusammenleben unmöglich.«

Wagner hat seine ursprünglich als Studie der PDS-Bundestagsfraktion erschienene Untersuchung quellenmäßig gut belegt. Es dürfte kaum einen Aufsatz eines amerikanischen Fachblatts geben, der seiner Literaturrecherche entgangen ist. Insofern lohnt sich das Buch allemal auch für diejenigen, die nicht der politischen Richtung von Wagner anhängen. Nebenbei zeigt er damit auch, daß vieles von dem, was hierzulande oft als linke, altbackene »Antiimp«-Vorstellung abgetan wird – Pipelines, imperiale Strategie – in Wirklichkeit in der Fachliteratur heiß diskutiert wird oder sogar von den Regierenden selbst so gesehen wird.

Der politikwissenschaftliche Ansatz des Buches verhindert es, daß die Kritik an der US-Politik ins Antiamerikanische abrutscht. Wagner leitet das Verhalten der USA richtigerweise aus der Stellung der Vereinigten Staaten im Internationalen System ab und spricht mit Bruce Cronin vom »Paradox der Hegemonie«, mit dem die USA als hegemoniale Macht zu kämpfen hätten. Demnach neigt der Hegemon dazu, Regeln zu brechen, weil er das ungestraft tun kann. Damit untergräbt er aber gleichzeitig die Stabilität der Ordnung, die er erhalten will.

Aus einer linken, herrschaftskritischen Perspektive, die Wagner einnimmt, kann es deshalb auch keine Lösung sein, auf die EU als militärische Konkurrentin zu setzen. »Unweigerlich würde eine zweite Macht etabliert werden, deren Präferenzen ebenfalls nicht auf einem friedlichen Zusammenleben der Völker liegen, sondern die sich ausschließlich an den militärischen Kategorien von Gut und Böse, Sieg und Niederlage orientiert«, so Wagner. Genau darauf setzt die EU, die eine 60 000-Soldaten starke »Interventionsarmee« bis 2003 aufstellen will.

Ganz will aber auch Wagner nicht auf einen »europäischen Verbund« verzichten, der in der Lage sein soll, den »Prozeß der Globalisierung zu steuern und die Macht der transnationalen Konzerne zu beschränken«. Gleichzeitig warnt er aber vor zu viel Hoffnung auf Regierungen. Sein Herz schlägt, das ist deutlich zu spüren, für außerparlamentarischen Druck und die Zusammenarbeit von Friedensbewegung, Friedensforschung und Anti-Globalisierungsbewegung.

* Jürgen Wagner: Das ewige Imperium. Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor. VSA-Verlag, Hamburg 2002, 172 Seiten, 12,80 Euro


Autor: Dirk Eckert