junge Welt, 30.09.2002,
Bildung, Hochschule Interview junge Welt
F: Wie ist die Situation in Großbritannien bezüglich Studiengebühren?
Faz Velmi: Sie ist wahrscheinlich die schlechteste in Europa. Man muß 1075 Pfund Gebühren im Jahr bezahlen. Darüber hinaus braucht man Geld, um zu leben, um Essen zu kaufen, zu reisen und Bücher zu bezahlen. Für diese zusätzlichen Ausgaben gibt es ein System, über das Studierende Darlehen aufnehmen können. Die Schulden haben sie dann aber den Rest ihres Lebens. Außerdem müssen viele Studierende nebenher arbeiten.
F: Gehen wegen der Studiengebühren weniger Kinder aus unteren Einkommensschichten auf die Universität?
Faz Velmi: Sicher. Jedes System, das die Kosten der Bildung dem Staat nimmt und dem Einzelnen aufbürdet, hat solche Auswirkungen. In bestimmten Universitäten gibt es eine hohe Abbrecherquote: Leute haben angefangen zu studieren, merken dann, daß sie es finanziell nicht durchhalten und beenden ihr Studium ohne Abschluß. Es gibt keine Statistiken, wie viele junge Menschen aus der Arbeiterklasse abgeschreckt werden und wegen der Kosten nicht auf die Universität gehen. Aber ich bin sicher, es sind Tausende.
F: Gibt es dagegen Proteste?
Faz Velmi: 1997, bei der Einführung von Studiengebühren, gab es studentische Initiativen wie die Campaign for Education, die Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern organisiert haben. Die Studentengewerkschaft brauchte drei Jahre, bis sie die erste Demonstration auf die Beine gestellt hatte. Sie brauchte fünf Jahre, um das Thema wirklich ernst zu nehmen.
F: Warum hat das solange gedauert?
Faz Velmi: Die NUS war 1997 sehr regierungsnah. Die Führungsspitze bestand aus jungen Mitgliedern von Labour, so daß sich die NUS in einen Kindergarten von Parlamentsmitgliedern verwandelt hatte. Diese Leute hätten nie gesagt: Wir sind gegen Studiengebühren. Sie hätten nie etwas getan, was ihre berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt hätte. Außerdem ist die Widerstandsbereitschaft in Großbritannien recht gering. Aber nicht gleich null – es gab Demonstrationen.
F: Ist das General Agreement on Trade in Services (GATS) unter britischen Studierenden ein Thema?
Faz Velmi: In bestimmten Kreisen vielleicht, aber gewöhnliche Studierende diskutieren nicht darüber. Ich glaube nicht, daß die Mehrheit weiß, was GATS ist. Dabei ist das Abkommen wirklich erschreckend. Es müßte unter Studierenden viel mehr Aufklärung darüber geben, was GATS für sie, die Gesellschaft und den Sozialstaat bedeutet.
F: Was tun Sie gegen GATS?
Faz Velmi: Wir haben verschiedene Konferenzen organisiert. Im Vorfeld des Europäischen Sozialforums Anfang November in Florenz, auf dem GATS sicherlich eines der Themen sein wird, werden wir noch mehr mit den Leuten darüber reden.
Autor: Dirk Eckert