Ungünstiges Klima zum Studieren

Europäische Studie gibt deutscher Bildungspolitik schlechte Noten

Neues Deutschland, 28.09.2002,

Neues Deutschland

Warum ist der Anteil der Studierenden unter allen Jugendlichen in Deutschland so niedrig, auch wenn es keine Studiengebühren gibt? Eine erste Antwort gibt die europäische Sozialerhebung »Euro Student Report«. In der erstmalig erstellten Studie schneidet Deutschland nicht gut ab. Demnach hängt es vor allem von der staatlichen Förderung ab, die die Studierenden bekommen.

Wenig Förderung und Studiengebühren schrecken vom Studium ab. In Finnland ist die Förderquote sehr hoch, Studiengebühren werden nicht erhoben. Entsprechend nehmen viele Jugendliche ein Studium auf. Insgesamt haben acht Länder teilgenommen: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande und Österreich.

Die Studie machte bereits vor der Bundestagswahl einigen Wirbel, als das »Aktionsbündnis gegen Studiengebühren« (ABS) dem Bundesbildungsministerium vorwarf, die Studie absichtlich zurückzuhalten. Auf der Homepage des Hochschulinformationssystems (HIS) war sie damals schon zum Download bereitgestellt. Doch zu der geplanten Vorstellung am 17. September kam es nie.

Dabei wäre die Studie als Wahlkampfmaterial gegen Rot-Grün eigentlich nicht geeignet gewesen. Die deutschen Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1999, somit sind die Ergebnisse eher der Kohl-Ära als der derzeitigen Regierung anzulasten. Dass die Studie trotzdem nicht als Wahlkampfmunition verwendet wurde, zeigt für Markus Struben vom ABS, dass das deutsche Abschneiden »peinlich« genug war, um SPD-Bildungsministerin Edelgard Bulmahn in »Erklärungsnöte« zu bringen.

Bulmahn habe wohl die Folgen gefürchtet, vermutet Struben. »Die Studie macht deutlich, dass wir eine umfassende Bildungsreform brauchen, die vor allem sozial schwächer gestellten Menschen die Möglichkeit gibt, ihr Recht auf Bildung wahrzunehmen.« Struben beruft sich außerdem auf die Abteilung 3 (Hochschulen) des Bundesbildungsministeriums, laut der die Studie aus Rücksicht auf die Bundestagswahl bewusst zurückgehalten worden sei.

Von einer »Verschwörungstheorie« spricht hingegen »Spiegel Online« und zitiert Dieter Schäferbarthold vom Deutschen Studentenwerk, das neben HIS und Bundesbildungsministerium in Deutschland an der Erstellung der Studie beteiligt war: »Wir haben erfolglos nach einem gemeinsamen Termin für die Präsentation gesucht. In der Endphase des Wahlkampfes kann das schon mal vorkommen.«

Die Pressestelle des Ministeriums bestritt gegenüber dem »Neuen Deutschland« vehement die Darstellung, die Studie sei vor den Wahlen zur Verschlusssache erklärt worden. »In der Woche vor der Bundestagswahl wäre eine Studie nicht auf großes Interesse gestoßen«, behauptet Florian Frank, stellvertretender Sprecher des Bundesbildungsministeriums. Deshalb sei der Pressetermin abgesagt worden. Zu einer offiziellen Vorstellung werde es wahrscheinlich gar nicht mehr kommen. »Die Studie ist publiziert und öffentlich zugänglich.«

Was also steht drin in der geheimnisvollen Studie? Im europäischen Vergleich steht Finnland besonders gut da: Zwei Drittel aller Jugendlichen nehmen dort ein Hochschulstudium auf. In Deutschland sind es gerade 31 Prozent – schlechter schneiden bei der »Bildungsbeteiligung« nur noch Belgien mit 30 Prozent ab und Österreich mit 29 Prozent.

Auch um die Studienfinanzierung ist es in Deutschland nicht gut bestellt. 326 Euro erhalten Studierende im Durchschnitt pro Monat. Das sind zwar 9 Euro mehr als in Finnland. Dort aber liegt die Quote derer, die in den Genuss der Förderung kommen, deutlich höher, nämlich bei 83 Prozent. Das ist mehr als vier Mal so viel wie in Deutschland, wo es nur 20 Prozent sind. Der Rest wird von den Eltern finanziert bzw. muss jobben gehen.

Am schlimmsten steht es Italien. Dort liegt die staatliche Förderquote im Durchschnitt bei gerade mal 12 Prozent. Im Durchschnitt trägt der Staat 7 Prozent zum Unterhalt eines Studierenden mit eigenem Haushalt bei. Die restlichen 93 Prozent werden fast vollständig von den Eltern aufgebracht bzw. durch Nebentätigkeiten erwirtschaftet. In Deutschland trägt der Staat 12,7 Prozent zum Unterhalt bei. Ganz anders in Finnland: Dort sind es 48,3 Prozent, die aus dem Staatshaushalt kommen. Eine geringe staatliche Förderung bleibt natürlich nicht ohne soziale Folgen. So wohnen in Italien 68 Prozent der Studierenden noch bei ihren Eltern, in Deutschland 24 Prozent, in Finnland sind es nur sechs von hundert. Außerdem ist die Mobilität der Studierenden niedrig. »Eine hohes staatliches Engagement bei der individuellen Studienfinanzierung stärkt sowohl die geografische als auch die soziale Mobilität der Studierenden«, so Klaus Schnitzer vom Hochschulinformationssystem. Den Grund sieht Schnitzer darin, dass die Studierenden die von den Eltern gewährten Naturalleistungen nicht an andere Orte mitnehmen können.

Das Bundesbildungsministerium sieht sich durch den »Euro Student Report« bestätigt, Sprecher Frank verweist auf entsprechende Reformen, mit denen die Regierung gegensteuere: Mit der Bafög-Reform der rot-grünen Regierung vom April 2001 seien 91000 Studierende mehr den Genuss des erhöhten Bafög-Satzes gekommen. Zusätzlich wolle die Regierung die Quote der Jugendlichen, die ein Studium aufnehmen, auf den Durchschnitt der OECD-Ländern von 40 Prozent anheben. Derzeit liege sie in Deutschland bei 31,8 Prozent, fast vier Prozent mehr als 1998.

»Die letzte Bafög-Novelle hat zu einer leichten Verbesserung bei der Förderung von Studenten beigetragen«, bestätigt Christian Schneijderberg, der Geschäftsführer des »Aktionsbündnis gegen Studiengebühren« (ABS). In einem anderen Punkt liegt das ABS mit dem Ministerium jedoch im Streit: Studiengebühren seien das Gegenteil von staatlicher Förderung. Das Ministerium ist der Meinung, mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes, nach der das Erststudium gebührenfrei bleiben soll, einen Schritt in Richtung Gebührenfreiheit gemacht zu haben. Das jedoch sehen die Gebührengegner anders. »Die rot-grüne Bundesregierung hat aus ihrem 1997/98 angekündigten Studiengebührenverbot eine Aneinanderreihung von Ausnahmebeständen für zulässige Studiengebühren gemacht, die schon jetzt in Nordrhein-Westfalen zu spüren sind«, kritisiert Schneijderberg. So sollen ausgerechnet im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen ab 2003 Studiengebühren erhoben werden. Das ABS sieht sich durch den »Euro Student Report« in seiner Ablehnung von Gebühren bestätigt, die »zwangsläufig zu einer weiteren Exklusion vor allem von sozial Schwächeren« führten. Schneijderberg empfiehlt, auch hier Finnland als Vorbild zu nehmen. Dort seien Gebühren in den 70ern abgeschafft und 1997 per Gesetz ganz verboten worden.


Autor: Dirk Eckert