taz köln, 26.09.2002, Nr. 111, S. 5
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23. Mai 1802. In der Schildergasse, gegenüber der Antoniterkirche im ehemaligen Haus der Brauerzunft, wurde der erste öffentliche evangelische Gottesdienst gefeiert. In diesem Jahr feiert die Evangelische Kirche in Köln ihre 200-jährige Geschichte im Schatten des katholischen Doms – und das mit sehr selbstkritischen Tönen im Rahmen des „Blaukopp-Projekts“.
Blauköppe – so wurden die Protestanten schon bald nach ihrem Einzug in Köln von den alteingesessenen Katholiken genannt. Woher die Bezeichnung kommt, ist bis heute ungeklärt. Beim „Blaukopp-Festival“, das heute beginnt, gibt es Vorträge und Konzerte. Der erste Vortrag packt gleich ein heikles Thema an: Die Evangelische Kirche im Dritten Reich. „An den Rand gedrängt“, heißt der Abend, weil das Thema immer noch von der Mehrheit der Gemeindemitglieder als nicht zentral angesehen werde, wie Marten Marquardt, der Leiter der Melanchthon-Akademie sagt.
„Die Kirche war kein Hort des Widerstands, sondern gleichgeschaltet“, betont Marquardt. So wurden im Evangelischen Krankenhaus in Weyertal Behinderte zwangssterilisiert. Selbst an der Deportation von Juden war die Kirche beteiligt. Marquardt berichtet von den „Abschiedsgottesdiensten“, die die evangelische Gemeinde in der Kreuzkapelle in Riehl für ihre Mitglieder jüdischer Herkunft vor deren Deportation in die Konzentrationslager veranstaltete.
Was in der Riehler Kreuzkapelle genau vor sich ging, ist nicht völlig geklärt. Der Nachlass des Predigers sei noch nicht freigegeben, sagt Marquardt. Auf jeden Fall wurde dort noch getauft und auch neue Ämter vergeben, um an dem Ort, an den die Menschen gebracht würden, eine neue Gemeinde aufzubauen. War das „Naivität, Konfusion, Unwissenheit, Verdrängung“? – Marquardt hat keine Antwort.
Was er aber weiß: „Bis in die 60-er Jahre hinein“ habe es kein Bewusstsein dafür gegeben, dass die Kirche Menschen „mit einem Gottesdienst in die Hölle“ geschickt habe. „Auch nach dem Krieg hat die Kirche noch nicht verstanden, was für ein Skandal das war“, sagt Marquardt.
Mit den „Kölner Vikarinnen“ gibt es aber auch ein Beispiel für Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Als Theologiestudentinnen durften sie aufgrund ihres Geschlechts den Pfarrberuf nicht ergreifen und mussten Vikarin werden. Im Gegensatz zu den Männern hätten sich einige von ihnen „vorbildlich gegen die NS-Ideologie“ gestellt. „Frauenordination ist zwar heute kein Problem mehr“, trotzdem werde das Thema „an den Rand gedrängt“, weiß Marquardt.
Indem er die Rolle seiner Kirche im Nationalsozialismus öffentlich diskutiert, will Marquardt bei den Jubiläumsfeiern den „Hauch von Selbstgefälligkeit“ infrage stellen. Auch sonst gibt es in der Geschichte des Kölner Protestantismus einiges aufzuarbeiten. Am 8. September 2002 etwa holte die Kirche zusammen mit der Gewerkschaft in Anwesenheit des stellvertretenden Präses der Evangelischen Kirche Rheinland eine evangelische Beerdigungsfeier für den Kölner Armenarzt Andreas Gottschalk nach, der 1849 gestorben war.
Damals wollte die Kirche den Sozialrevolutionär jüdischer Herkunft, der sich fünf Jahre vor seinem Tod taufen ließ, um 5.30 Uhr morgens in aller Stille unter die Erde bringen. Doch Arbeiterinnen und Arbeiter verhinderten das, und so gaben 4000 Menschen dem Arzt am Nachmittag das letzte Geleit. Der kirchliche Segen fehlte – 153 Jahre lang.
Autor: DIRK ECKERT