junge Welt, 17.08.2002, S. 5
Soziale Bewegungen Wirtschaft junge Welt
Neuen Schwung für nachhaltige Entwicklung« erwarten sich einige Nichtregierungsorganisationen (NGO) vom Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung, der am 26. August im südafrikanischen Johannesburg beginnt. Der Gipfel soll der Armutsbekämpfung neuen Aufwind geben und eine Bilanz des Rio-Prozesses ziehen. In Rio de Janeiro waren 1992 auf dem Gipfel für Umwelt und Entwicklung die Klimarahmenkonvention, die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt sowie die Agenda 21, die das Ziel der »nachhaltigen Entwicklung« auf lokaler Ebene verankern sollte, beschlossen worden.
Neben Regierungsvertretern werden in Johannesburg auch viele Nichtregierungsorganisationen als Vertreterinnen der »Zivilgesellschaft« erwartet. Ohne die NGOs können »die Probleme von Umwelt und Entwicklung nicht in Angriff genommen werden«, hatte der Gipfel in Rio beschlossen und NGOs in die Umsetzung einbezogen. Diese beklagen inzwischen, daß die Umsetzung der Beschlüsse von Rio nicht recht vorangekommen sei. Trotzdem halten Gruppen wie das Bonner Forum Umwelt und Entwicklung am Rio-Prozeß fest.
Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) hat jetzt die NGOs aufgefordert, den Gipfel zu boykottieren. »Fahrt nicht hin! Macht was Schönes!«, heißt es in einem Aufruf, den die BUKO in gekürzter Form am 13. August in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht hat. Dem Aufruf haben sich zahlreiche Gruppen angeschlossen, darunter das Freiburger Informationszentrum 3. Welt (iz3w), die Coordination gegen Bayer-Gefahren, die Aktion 3. Welt Saar und die Bundesarbeitsgemeinschaft Internationalismus der PDS.
»Der Rio-Prozeß ist gescheitert«, meinen die Initiativen. »Die Agenda 21 verkennt, daß Globalisierung ein Prozeß herrschaftsförmiger kapitalistischer Modernisierung ist. Damit blendet der Rio-Prozeß gesellschaftliche Machtverhältnisse aus und stabilisiert sie.« Jenen Nichtregierungsorganisationen, die noch immer auf den Gipfel setzen, werfen sie vor, »weiter von der Nachhaltigkeit zu träumen«. »Doch was zehn Jahre nicht gefruchtet hat, wird auch in Zukunft nicht die proklamierten hehren Ziele erreichen.«
Ulrich Brand, Wissenschaftler an der Universität Kassel und Unterstützer des Aufrufs, warnt vor den Folgen von Rio. Der Eindruck, die Klimakonvention sei wirkungslos, seit die US-Regierung das Klimaprotokoll aufgekündigt habe, sei falsch. Die Konventionen zu Klima und biologischer Vielfalt sind »höchst wirksam«, wie Brand in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau schrieb. »Sie treiben unter dem Label Nachhaltigkeit die Kommerzialisierung der Natur voran.« So trüge die Biodiversitätskonvention dazu bei, »daß Pharma- und Agrarfirmen ihre Rechte bei der Aneignung genetischer Ressourcen sichern können«.
Von »globaler Partnerschaft« könne keine Rede sein. »In Wirklichkeit geht es um eine ðnachhaltigeÐ Aufrechterhaltung des Ressourcenflusses für das nordwestliche Wohlstandsmodell.« Das sieht auch die BUKO so: »Die Lösung der wirklich drängenden Probleme – Klimakatastrophe, Armut oder die Zerstörung von Lebensräumen – wird in Johannesburg abermals mit staatsmännischer Miene in die ferne Zukunft verschoben werden.«
Solche Befürchtungen könnten sich in Johannesburg bestätigen. Die USA lehnen konkrete Entwicklungsziele, Zeitpläne und Überwachungsmechanismen ab. Ob wenigstens bis 2015 die Zahl der Menschen, die ohne sanitäre Grundversorgung auskommen müssen, halbiert werden kann, was die EU fordert, ist nach den Vorbereitungsverhandlungen zu der Konferenz zweifelhaft.
* Aufruf unter http://www.buko.info
Autor: Dirk Eckert