Neues Deutschland, 31.07.2002, S. 7
Internationale Politik USA Neues Deutschland
In ein USA steht ein über 100 Jahre altes Gesetz auf der Kippe: Der Posse Comitatus Act von 1878, der den Einsatz des Militärs im Inneren verbietet.
Die Bush-Regierung hat jetzt laut „New York Times“ Rechtsanwälte im Verteidigungs- und Justizministerium beauftragt, das Gesetz aus der Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg zu überprüfen. Noch im Mai hatte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beteuert, es sei nicht beabsichtigt, die bestehenden Gesetze vom Kongress ändern zu lassen.
Einst ein Werkzeug der Sklavenhalter
Einer der Hardliner in der Bush-Regierung, der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, forderte bereits kurz nach den Anschlägen des 11. September vor dem „Senate Armed Services Committee“, den Einsatz der Streitkräfte auch im Inneren zu ermöglichen. George W. Bush hat diese Linie am 16. Juli als seine neue Sicherheitsstrategie vorgestellt und mit Hinweis auf die Bedrohung durch den Terrorismus eine Änderung des Posse Comitatus Act verlangt. Damit findet er inzwischen auch im Militär Unterstützung, das traditionell skeptisch gegenüber Einsätzen im Inneren ist.
Der neueste Vorstoß kommt von Ralph E. Eberhart, dem Oberbefehlshaber des neuen Northern Command, das als militärisches Oberkommando für den nordamerikanischen Kontinent das Territorium der Vereinigten Staaten vor Angriffen schützen soll. Eberhardt befürchtet wegen des Posse Comitatus Act Abgrenzungsprobleme und sieht sich in seiner Handlungsfreiheit beschränkt. Kritiker des Posse Comitatus Act verlangen schon seit längerem, das Gesetz neu auszulegen bzw. zu streichen.
Dabei wird auf dessen Entstehungsgeschichte verwiesen. 1854 billigte Generalstaatsanwalt Caleb Cushing, Einheiten der Armee als „posse comitatus“, als vom Sheriff gerufene Hilfstruppen, zur Durchsetzung des Rechts einzusetzen. Cushings „Posse Comitatus Doctrine“ wurde vor allem im Westen angewandt, wo die Armee oft die einzige bewaffnete Truppe war, und diente der Durchsetzung des „Fugitive Slave Act“ von 1850, eines Gesetzes zur Auslieferung flüchtiger Sklaven, über das Karl Marx bissig bemerkte: „Sklavenfänger für die südlichen Sklavenhalter zu spielen, schien der konstitutionelle Beruf des Nordens.“
Nach dem Bürgerkrieg sollte der Posse Comitatus Act für eine Trennung von zivilen und militärischen Bereichen sorgen. Insofern richtete er sich eher an Sheriffs und Marshalls, die Bundestruppen zur Hilfe rufen wollten, als an den Präsidenten – so die Argumentation derer, die das Gesetz gerne als überholt abtun wollen. Ohnehin hätten Präsidenten im Falle von Unwettern oder Unruhen schon unzählige Male Truppen in Inneren eingesetzt. Das ist in Ausnahmefällen möglich.
Außerdem wurde das Gesetz mehrfach ergänzt und eingeschränkt: Zum Beispiel im Dezember 1981, als der Armee etwa die Bereitstellung technischer Hilfe zur Rechtsdurchsetzung im Inneren zugebilligt wurde. Militärpersonal darf aber nicht direkt beteiligt sein. Durch die Neuregelung konnte die Küstenwache bei der Bekämpfung von Drogenschmuggel auch auf militärische Unterstützung zurückgreifen.
Der 11. September wird als Moralkeule benutzt
Ganz so einfach lässt sich der Posse Comitatus Act dann aber doch nicht entsorgen. Schließlich haben die verschiedenen Regierungen immer wieder betont, sich an das Gesetz zu halten. Er wurde auch auf die Marine ausgeweitet, obwohl die im Originaltext gar nicht erwähnt wird. Auch die jetzige Diskussion beweist, dass das Gesetz für Regierung und Präsident gilt. Bei der Einrichtung des Northern Command betonte das Pentagon noch, dass damit nicht der Posse Comitatus Act verletzt werde.
Bush hat noch nichts Genaueres über eine mögliche Gesetzesänderung verlauten lassen. So wird das Gesetz möglicherweise gar nicht geändert, sondern einfach neu ausgelegt. Bei einer Änderung könnte es Bush ergehen wie mit dem neuen Ministerium für Heimatsicherheit. Dessen Kompetenzen wurden in den Kongressausschüssen von Mitgliedern der eigenen Partei wieder zusammengestrichen. Um den moralischen Druck zu erhöhen, will Bush seine Pläne am 11. September, genau ein Jahr nach den Anschlägen, vom Kongress absegnen lassen.
Autor: Dirk Eckert