Die Händler bleiben im Tempel

Bundesbildungsministerin Bulmahn versucht Kritik an Handelsabkommen GATS zu entkräften / Globalisierungskritiker: Halbherzige Distanzierung

Neues Deutschland, 27.07.2002, S. 21

Neues Deutschland

Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat erstmals auf wie wachsende Kritik von Globalisierungsgegnern an der Einbeziehung des Bildungssektors in die Verhandlungen zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen reagiert. Im Rahmen des GATS-Abkommens, an dem auch Deutschland und die EU als Verhandlungsführerin ihrer Mitgliedsländer beteiligt sind, sollen ähnlich wie beim Warenaustausch alle Handelsschranken und -hemmnisse fallen. Kritiker befürchten nun, dass Bildung zur handelbaren Ware werden könnte.

Diesen Befürchtungen will Bulmahn nun entgegentreten. „Wir dürfen Bildung nicht dem Handel überlassen“, schrieb sie kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“. Gleichzeitig sprach sich aber dagegen aus, Bildungsdienstleistungen generell vom GATS-Abkommen auszunehmen: „Einzelne Angebote können gehandelt werden. Die Bildung selbst ist keine Handelsware.“ Ein internationaler Bildungsmarkt solle sich „unter bestimmten Vorkehrungen“ entwickeln. Nötig seien insbesondere Maßnahmen zur Qualitätskontrolle der Bildungsangebote.

Dass über einen Bildungsmarkt Druck auf die öffentlichen Bildungsinstitutionen ausgehen könne, räumte Bulmahn freimütig ein. „So schlicht ist die Welt nicht mehr, dass man, wie in biblischen Zeiten, die Händler einfach zum Tempel hinausjagen könnte“, bedauerte sie. Allerdings könnten und sollten Regulierungen und Streitschlichtungen im Rahmen des GATS „nur ein kleines Fenster der internationalen Beziehungen im Bildungsbereich erreichen“.

Das will Thomas Fritz genauer wissen. „Wie groß ist denn dieses Fenster?“, fragt der GATS-Experte von der Organisation „Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung“ (WEED). Auch nur in Erwägung zu ziehen, Bildung zum Gegenstand von GATS-Streitschlichtungsverfahren zu machen, nennt Fritz „leichtfertig“. Diese könnten nur auf Grundlage der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) geführt werden, in deren Rahmen auch das GATS verhandelt wird. „Für gesellschaftspolitische Fragen ist der Streitschlichtungsmechanismus der WTO blind.“

Befürchtungen über zu weit reichende Liberalisierung trat Bulmahn entgegen: „Die EU hält sich mit Liberalisierungsforderungen für den Bildungsbereich gegen andere Staaten zurück“, skizzierte sie die Linie der EU. „Bulmahn unterschlägt gewisse Dinge“, sagt dagegen Fritz. Das Bundeswirtschaftsministerium habe das Bildungsministerium am 14. Juni über die EU-Forderungen zur Liberalisierung im Bildungsbereich unterrichtet. „Die EU stellt sehr wohl Forderungen, und das weiß Bulmahn.“ Auch ihre Darstellung der Verhandlungsposition der USA – anhand einer Pressemitteilung des Weißen Hauses, abrufbar im Internet – blende die kritischen Punkte aus: So forderten die USA eine Gleichbehandlung von Bildungsanbietern bei Steuererleichterungen, was Bulmahn geflissentlich verschweige.

Auch sonst haben die Ausführungen von Bulmahn dem GATS-Experten Fritz „keine neuen Erkenntnisse“ gebracht. Was Bulmahn zum GATS schreibe, könne man alles aus dem Internet erfahren. WEED ist eine von 95 Nichtregierungsorganisationen, die am 7. Mai in einen Offenen Brief an die EU-Kommission mehr Transparenz bei den GATS-Verhandlungen einfordert haben. Bisher vergeblich: Welche Forderungen die EU am 1. Juli an andere GATS-Staaten übermittelt hat, ist Verschlusssache. Auch die eigenen Angebote, die die GATS-Teilnehmer bis zum 31. März 2003 vorlegen müssen, stimmen die EU-Staaten in nicht-öffentlichen Verhandlungen untereinander ab.

Bulmahn favorisiert dabei ein „Viereck“, um die deutschen Vorstellungen in die Positionsfindung der EU zum GATS einzubringen: Es besteht aus Bildungsministerium und Generaldirektion Bildung auf der einen Seite und Wirtschaftsministerium und Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission auf der anderen. „Diese Konzept von Transparenz kann ich nicht teilen“, sagt Fritz. „Vier Ecken sind zu wenig, nicht einmal die Parlamentarier werden informiert“, macht er das Demokratiedefizit deutlich.

Falsch findet der WEED-Mitarbeiter auch die Vorstellung der Bildungsministerin, das Bildungssystem in marktfähige und nicht marktfähige Teilbereiche zu trennen. Jetzt bestehe die „reale Gefahr“, dass das Bildungssystem in den GATS-Verhandlungen einem „Kuhhandel“ zum Opfer falle: Um die Öffnung in anderen Bereichen zu erreichen, könnte die EU Teile des Bildungssystems anbieten. Richtig sei aber, eine Klärung des Artikel 1 des GATS anzustreben. Dort heißt es, dass „hoheitlich erbrachte Dienstleistungen“ nicht dem GATS unterliegen. Deshalb sollte der Bildungssektor gänzlich vom GATS ausgenommen sein, sagt Fritz.

Gegen die Privatisierung von Bildung und das GATS treten nicht nur WEED, globalisierungskritische Organisationen wie Attac oder die Gewerkschaften ein. Auch eine Enquete-Kommission des Bundestages zu „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“ hat kürzlich gefordert, Bildung aus den GATS-Verhandlungen auszunehmen, und zuerst die schon erfolgten Liberalisierungen auf ihre Wirkung zu überprüfen. Damit haben sich auch Abgeordnete von SPD und Grünen gegen die Politik der eigenen Regierung gestellt. Und gegen Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn.


Autor: Dirk Eckert