Telepolis, 12.03.2002, http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/12056/1.html
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Russische Umweltschützer konnten Ende Februar vor dem Obersten Gericht in Moskau einen Erfolg gegen die Wiederaufarbeitung von Atommüll erzielen. Das Gericht erklärte die Einfuhr von radioaktivem Müll aus Ungarn für illegal.
Insgesamt liegen bereits 23 Tonnen Atommüll aus Ungarn in der [1]Wiederaufarbeitungsanlage Majak im sibirischen Tscheljabinsk. Die Lieferungen gehen zurück auf ein Abkommen aus dem Jahre 1982. Damals hatte die Sowjetunion Ungarn zugesagt, abgebrannte Brennstäbe aus Kraftwerken sowjetischen Typs wiederaufzuarbeiten. Nach dem Ende der Sowjetunion kündigte Russland den Vertrag, 1998 erlaubte der damalige Ministerpräsident Jewgeni Promakow eine letzte Lieferung. Doch damit hat er gegen damals geltende Gesetze verstoßen, wonach die Einfuhr von Atommüll illegal ist, befand jetzt das Gericht.
Ob der Richterspruch Folgen haben wird, ist zu bezweifeln. Ungarn will die Brennstäbe nicht zurücknehmen. “Keine Kapazitäten”, heißt es kurz und knapp. Die Begründung des Gerichts lässt außerdem vermuten, dass solche Urteile in Zukunft nicht mehr gefällt werden. Denn Russland hat inzwischen Art. 50 des Umweltschutzgesetzes [2]geändert, um in den nächsten Jahren 20.000 Tonnen atomaren Müll importieren zu können.
20 Milliarden Dollar will die russische Regierung damit verdienen, atomaren Müll aus dem Ausland aufzuarbeiten beziehungsweise endzulagern. Geld, das das gebeutelte Land gut gebrauchen kann. Die erhofften Einnahmen sollen, so das Versprechen der russischen Regierung, dafür verwendet werden, die Sicherheit der bestehenden russischen Atomanlagen zu erhöhen.
Bisher war die Einfuhr von radioaktivem Müll verboten. Bis zum 18. Oktober 2001: An diesem Tag hob das russische Parlament, die Duma, das Verbot auf. Sofort wurden die ersten Züge mit nuklearem Material in Bewegung gesetzt: Bulgarien schickte 41 Tonnen abgebrannter Brennstäbe ins sibirische Exil. Bezahlt wurden dafür jedoch nur 620 Dollar je Kilo statt der ursprünglich erwarteten 1.000 Dollar.
Die Atompolitik der Regierung stößt in der russischen Bevölkerung nur auf geringe Zustimmung. Proteste sind keine Seltenheit, in Umfragen sprachen sich rund 90 Prozent der Bürger gegen die Einfuhr von Atommüll aus dem Ausland aus. Allerdings wird jedes Aufbegehren der Bevölkerung von Staat und Bürokratie in der Regel rigoros abgebügelt: So unterstützten 100.000 Menschen ein Volksbegehren gegen Lagerung und Aufarbeitung von Atommüll im sibirischen “Bergbau- und Chemiekombinat Krasnojarsk 26”. Die Unterschriften wurden jedoch von der zuständigen Wahlkommission zu 90 Prozent für ungültig erklärt, das Volksbegehren kam nicht zustande.
“Demokratie und Atomenergie sind in Russland offenbar miteinander unvereinbar”, so die russische Umweltschutzorganisation [3]Ecodefense . Im Jahr 2000 wurden in einem landesweiten Referendum zweieinhalb Millionen Unterschriften gesammelt. 600.000 wurden für ungültig erklärt, so dass die erforderliche Zahl von 2 Millionen nicht zustande kam. Ein Einspruch der Umweltschützer beim Verfassungsgericht wurde im Mai 2001 abgewiesen.
Im russischen Unterhaus befürworteten fast alle Parteien einschließlich der Kommunisten das Geschäft mit dem Atommüll. Nur die liberale Partei Jabloko sowie die Union Rechter Kräfte (SPS) brachten Änderungsanträge ein, die aber mehrheitlich abgelehnt wurden. Wie gefährlich Atompolitik für Menschen und Umwelt ist, zeigt wiederum das Beispiel der Anlage Majak: Der Ort gilt als einer der am stärksten verseuchten der Erde.
Jahrelang war Majak die Hauptproduktionsstätte der Sowjetunion für waffenfähiges Plutonium. Immer wieder kam es zu Unfällen, bei denen hochradioaktives Material in die Umwelt gelangte. Erst 1989 gab die Sowjetunion diese Unfälle zu. Noch heute ist die Umweltsituation in der sibirischen Region Tscheljabinsk katastrophal: “International übliche Sicherheitsstandards werden dort in keinster Weise eingehalten”, sagt etwa Greenpeace.
Links
[1] http://www.bellona.no/imaker?id=4707&sub=1
[2] http://www.bellona.no/imaker?id=15795&sub=1
[3] http://www.ecodefense.ru
Autor: Dirk Eckert