Rückmeldung, 16.02.1998, Zeitung des AStA der Uni Köln
Bildung, Hochschule
Eine der zentralen studentischen Forderungen im Streik war die Verankerung des Politischen Mandats für die Verfaßte StudentInnenschaft im Hochschulrahmengesetz _ wie sich jetzt zeigt, nicht ohne Grund. Denn am 22. Januar 1998 untersagte das Verwaltungsgericht Berlin in einer einstweiligen Anordnung dem AStA der Freien Universität (FU) Berlin, “allgemeinpolitische, nicht hoch-schulbezogene Äußerungen (Erklärungen, Forderungen, Stellungnahmen) abzugeben. Zugleich wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 5,00 DM bis 500.000,00 DM angedroht.”
“Der Maulkorb ist angeschnallt”, kommentierte der AStA der FU Berlin in einer ersten Stellungnahme. Nach den ASten von Bremen, Bonn, Marburg, Münster und Potsdam werde jetzt auch dem AStA FU Berlin unter Androhung von Ordnungsgeldern untersagt, “seine Politik in gesamtgesellschaftliche Bezüge einzubetten, d. h. sich ‘allgemeinpolitisch’ zu äußern.”
Die jetzt gerichtlich erzwungene Trennung von Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik ist nach Meinung des FU-AStA so überhaupt nicht möglich. Wie solle sich der AStA zur Kürzung des BAföGs äußern, ohne diese in einen Zusammenhang mit dem gesamtgesellschaftlichen Sozialabbau stellen zu dürfen? Nur so sei erklärbar, warum Gelder nach anderen Prioritäten verteilt werden.
Das Verwaltungsgericht gestand dem AStA immerhin zu, Aufrufe wie “DEMO ohne Hunni in die Uni” zu veröffentlichen. Sie zeigten Hoch-schulbezüge im Hinblick auf die sich auf den Hochschulbereich auswirkende Kürzung von staatlichen Geldern, so das Gericht.
Andere Beiträge aus Neues Dahlem, der Zeitung des FU-AStA, ließen dagegen jeden Hochschulbezug vermissen, befand das Gericht. Darunter fallen Artikel über Sozialabbau und Neoliberalismus ebenso wie Beiträge zu Atomtransporten und Militarisierung. Damit dürften Streikparolen wie “Gegen Bildungs- und Sozialabbau” und “Seminarleiter statt Eurofighter” vom Verbot betroffen sein. Selbst ein Beitrag mit dem Titel “Wenn Naziaufmarsch, dann verhindern” hat nach Ansicht des Gerichts in einer AStA-Zeitung nichts zu suchen. Bleibt noch die Frage, wer dann für die Bekämpfung von Faschismus und Rechtsradikalismus zuständig sein soll. ASten offenbar nicht.
So bleibt die Trennung von Allgemeinpolitik und Hochschulpolitik für den FU-AStA weiter schwammig. Damit sei laut FU-AStA nicht abzusehen, welche Äußerungen in Zukunft mit Ordnungsgeldern belegt werden und bei welchen das Gericht den Hochschulbezug anerkennen wird. “Diese gravierende Rechtsunsicherheit wirkt sich lähmend auf die Arbeit des AStA aus und erzielt genau die Wirkung, die die KlägerInnen beabsichtigen: erhebliche Erschwerung einer studentischen Politik, die sich als Teil einer kritischen Gegenöffentlichkeit versteht und gesellschaftliche Bezüge daher als existentiell für eine sinnvolle Hochschulpolitik betrachten muß”, so der AStA in der Presseerklärung.
Die KlägerInnen, so der AStA weiter, “stammen durchweg aus dem konservativen bis rechtskonservativen und korporatistischen Lager, dem Spektrum von RCDS/Junge Union und der Republikaner.” Die Klage sieht der AStA als den Versuch, politisch mißliebige ASten in ihren Äußer-ungsmöglichkeiten so weit wie möglich zu beschneiden.
Das Urteil des Berliner Gerichts ist deshalb um so bemerkenswerter, weil das Berliner Hochschulgesetz bisher als eines der liberaleren in der Bundesrepublik galt. “Die Studentenschaft hat die Belange der Studenten und Studentinnen in Hochschule und Gesellschaft wahrzunehmen und die Verwirklichung der Ziele und Aufgaben der Hochschule zu fördern. In diesem Sinne nimmt sie im Namen ihrer Mitglieder ein politisches Mandat wahr”, heißt es da. Als Aufgabe der Student Innenschaft wird unter anderem “die Förderung der politischen Bildung der Studenten und Studentinnen im Bewußtsein der Verantwortung für die Gesellschaft” genannt. Das Gericht interpretiert das nun so, daß die Grenze zwischen Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik dort überschritten sei, wo ein Hochschulbezug weder erkennbar noch beabsichtigt sei.
Dabei beruft sich das Gericht auf die “ständige Rechtsprechung”, und insbesondere auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster. Das hatte 1994 dem AStA untersagt, “politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die nicht spezifisch und unmittelbar hoch-schulbezogen sind”. Auf diese Formel beziehen sich seitdem die meisten Urteile gegen das Politische Mandat. Was das allerdings im einzelnen bedeutet, bleibt Auslegungssache.
Besonders restriktiv urteilte das OVG Münster im April 1997. Stein des Anstoßes war ein Interview mit dem ehemaligen KZ-Häftling Emil Carlebach. Mit der Veröffentlichung dieses Interviews in der AStA-Publikation Semesterspiegel hatte der AStA nach Meinung des Gerichts seine Kompetenzen wieder einmal überschritten. Carlebach war übrigens auf Einladung der Fachschaft Geschichte nach Münster gekommen, um an der von der Fachschaft organisierten Veranstalt-ungsreihe ZeitzeugInnengespräche teilzunehmen.
Aufgrund der Urteile des OVG Münster ist Nordrhein-Westfalen das zentrale Bundesland in der Auseinandersetzung um das Politische Mandat. Die rot-grüne Landesregierung hat im Sommer 1997 deshalb eine Gesetzesnovellierung durchgesetzt, in der der Verfaßten StudentInnenschaft weitreichende Kompetenzen eingeräumt werden. So kann sie für ihre Aufgaben “Medien aller Art” nutzen und in diesen auch “die Diskussion und Veröffentlichung zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen ermöglichen”.
Inwieweit dieses Gesetz die ASen in Nordrhein-Westfalen vor Klagen schützt, bleibt abzuwarten. Sicher werden rechte Gruppen auch in Zukunft versuchen, politisch unerwünschten ASten gerichtlich einen Maulkorb zu verpassen. Und ob das neue Landeshochschulgesetz gegen restriktive Auslegung gefeit ist, wird sich zeigen. Die CDU Nordrhein-Westfalen hat schon Klage gegen das Gesetz vor dem Landesgerichtshof eingelegt. Mit der Begründung, das Politische Mandat verstoße gegen Vereinigungsfreiheit und das Demokratieprinzip.
Autor: Dirk Eckert