Auf den Spuren der Hexenprozesse

Leonardo (WDR5), 23.02.2017

Radio Reportage WDR

(Anmoderationsvorschlag: Hexenprozesse gehörten im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit zum Alltag. Auch im heutigen Nordrhein-Westfalen. Vor ein paar Jahren machte der Ort Flamersheim bei Euskirchen Schlagzeilen, weil das Protokoll eines solchen Hexenprozesses wiederentdeckt wurde, der dort in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges geführt wurde. Die historischen Orte kann man noch heute sehen, auch wenn manche nicht öffentlich zugänglich sind. Dirk Eckert hat sich in Flamersheim umgesehen.)

Still ist es auf dem Markt von Flamersheim heute. Wo einst im Mittelalter das Leben pulsiert hat, stehen ein paar Bäume, am Rand parken Autos. Das Schloss Flamersheim liegt direkt nebenan. Auf den ersten Blick erinnert nichts an das, was sich vor fast 400 Jahren in dem kleinen Ort im Rheinland abspielte, der heute ein Stadtteil von Euskirchen ist: Fünf Frauen standen hier vor Gericht, angeklagt der Hexerei – ein Verbrechen, auf das damals die Todesstrafe stand. Vier der Frauen wurden am Ende bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Doch schaut man genauer hin, sieht man überall in Flamersheim Zeugnisse des Hexenwahns, erklärt Historikerin Claudia Kauertz vom Landschaftsverband Rheinland:

„Wir haben aber hier in Flamersheim die Situation, wir haben hier diesen Marktplatz und der Markt ist das Zentrum des Geschehens. Und der Markt war auch das Zentrum, wo sozusagen der Gerichtssitz war. Das Schöffengericht hatte hier ein Haus, das Gerichtsgebäude. Das war das sogenannte Dinghaus.“

Und genau dort entstand auch das Flamersheimer Hexenprotokoll. Das Gerichtsprotokoll ist das einzige Zeugnis dafür, dass auch in Flamersheim Frauen als Hexen verfolgt wurden. Das Original liegt heute in der Bibliothek der Cornell University in US-Bundesstaat New York, Claudia Kauertz hat es 2014 dort wiederentdeckt. Die darin dokumentierten Prozesse fanden in den Jahren 1629/30 statt. Der Hexenglaube war damals in Deutschland weit verbreitet, das Rheinland war einer der Schwerpunkte der Hexenverfolgung.

„Der Hexenglaube ist entstanden um 1400 in den Alpen, so in der Gegend so um den Genfer See. Und der Hexenglaube entsteht im Zusammenhang mit den Ketzerverfolgungen. Das waren also gelehrte Theologen, Inquisitoren, häufig gehörten sie dem Dominikaner-Orden an. Die haben sich dann im Zuge der Ketzerverfolgung, wo sie aktiv waren als Inquisitoren, verschiedene Elemente aus dem Bereich Ketzerei und Dämonologe zusammengeführt und ein neues Gedankengebäude, die sogenannte Hexenlehre, entwickelt.“

Heute erscheint es ganz unglaublich, wie Frauen damals der Hexerei verdächtigt wurden. Wie ihnen unter Folter abenteuerliche Geständnisse abgezwungen wurden, mit denen sie sich und andere belasteten. Die Zahl der Opfer solcher Hexenprozesse ging in die Zehntausende. Doch bei den Zeitgenossen war der Glaube an böse Menschen, die im Bund mit dem Teufel stehen, weit verbreitet, betont Kauertz. Hexenprozesse galten lange als geeignetes Gegenmittel. Gerade in Krisenzeiten wie dem Dreißigjährigen Krieg hätte die Obrigkeit damit demonstriert, dass sie ihre Untertaten schützen kann. Auch Gabriele Rünger, die Leiterin des Stadtarchivs Euskirchen, erklärt sich so den Hexenwahn:

„Wir glauben heute auch an Verschwörungstheorien. Das war nichts anderes in der damaligen Zeit. Man glaubte das einfach.“

Spuren der grausigen Gerichtsverfahren finden sich bis heute in Flamersheim. Im Schloss wurden Gefangene inhaftiert, wenn im Dinghaus, dem Gerichtsgebäude, kein Platz mehr war. Und am sogenannten Urteilsstein, einem hüfthohen Findling auf dem Marktplatz, wurden die Urteile verkündet. Das entsprach alter Tradition, wonach ein Urteil nur dann gültig ist, wenn es öffentlich bekanntgegeben wird.

„Und sehen Sie jetzt den Urteilsstein, den Urteilsstein des alten Gerichts Flamersheim. Und dieser Urteilsstein, der ist hier schon seit sehr sehr langer Zeit. Da gibt es verschiedene Mythen. Also im Hexenprotokoll ist er nicht erwähnt, aber wir wissen, dass er in der Zeit schon längst da war.“

Die Stelle, an der einst das Dinghaus stand, ist dagegen leer. Aber die beiden Dinghäuser, die hier nacheinander standen, existieren noch. Als Fachwerkhäuser konnten sie leicht ab- und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Das ältere Dinghaus steht nur wenige Meter Luftlinie entfernt vom Markt in einem Hinterhof und ist für die Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich. Über eine Treppe geht es hoch in den ersten Stock. Wo einst über vermeintliche Hexen Gericht gehalten wurde, wohnt seit den 50er Jahren Ernst Ueckert. Der 83-jährige Rentner hat eine Küche eingebaut und das Gebäude so gut es geht instand gehalten. Außen sieht man noch die mittelalterliche Farbe, das rote Ochsenblut.

„Ich habe das auch bis jetzt gehegt und gepflegt. Denn von der Stadt oder Denkmalamt ist nie was geflossen hier. Sonst wäre es schon längst gar nicht mehr da.“

Ernst Ueckert sucht nun nach einem Käufer für das Dinghaus. Was aus dem mittelalterlichen Zeugnis für die Hexenprozesse wird, ist somit mehr als unsicher. Dabei liegt dieses Kapitel Stadtgeschichte gar nicht so lange zurück. Erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert ging der Hexenwahn zu Ende. Die Hexenprozesse selbst waren allerdings schon früher beendet worden, sagt Claudia Kauertz. Die massenhaften Verurteilungen hätten die ganze Gesellschaft destabilisiert und chaotisiert, erklärt sie. So endete die Hexenverfolgung, bevor der Glaube an Hexen verschwand.

„Aber das hat eine Eigendynamik angenommen, die man nicht mehr kontrollieren konnte. Und aufgrund dieser Erfahrung hat man dann schon vor dem 18. Jahrhundert, also jedenfalls hier im Rheinland, von den Hexenprozessen Abstand genommen.“

(Abmoderation: Und Claudia Kauertz plant weitere Führungen durch Flamersheim.)


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/podcast/weltweit/fsk0/131/1317154/wdr5leonardo_2017-02-23_wdr5leonardoganzesendung23022017_wdr5.mp3