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Unberechenbares Nordkorea. Das isolierte Land hat am Freitag erneut einen Atomtest durchgeführt. Der Versuch habe gezeigt, dass man in der Lage sei, einen Atomsprengkopf auf eine Rakete zu montieren, heißt es aus Pjöngjang.
Um für solche Attacken gewappnet zu sein, haben Südkorea und die USA beschlossen, ein Raketenabwehrsystem in Südkorea zu stationieren. Doch dagegen protestieren Russland und China. Wird durch das Defensivsystem das militärische Gleichgewicht in der Region verändert? Dirk Eckert ist dieser Frage nachgegangen:
Manuskript Dirk Eckert
Die Bilder gingen um die Welt: Als Barack Obama Anfang des Monats zum G20-Gipfel in China eintraf, wurde kein roter Teppich ausgerollt. Es stand auch keine Flugzeugtreppe bereit und so musste der US-Präsident seine Air Force One über eine flugzeugeigene Treppe verlassen. Er nahm es zwar sportlich und spielte den Vorfall herunter, doch der kalte Empfang ist symptomatisch für den Stand der amerikanisch-chinesischen Beziehungen. Neben dem Inselstreit im südchinesischen Meer ist Peking verärgert, weil die USA ihr Raketenabwehrsystem THAAD in Südkorea stationieren wollen. Die Abkürzung THAAD steht für „Terminal High Altitude Area Defense“. Es heißt, die Abwehrraketen haben eine Reichweite von rund 200 Kilometern, die Flughöhe soll 150 Kilometer betragen. Die US-Stationierungspläne werden von Russland, aber vor allem von China heftig kritisiert. Befürchtet wird eine Verschiebung des Kräftegleichgewichts.
An diesen Vorbehalten hat auch der Besuch des US-Generals Mark A. Milley in Peking nichts geändert. Der Stabschef der US-Armee hatte Mitte August vergeblich versucht, die chinesischen Militärs davon zu überzeugen, dass die Raketenabwehr nur gegen Nordkorea gerichtet ist. Pjöngjang hat immer wieder ballistische Raketen getestet oder Satelliten ins All geschossen. Denn China fürchtet, dass THAAD die chinesische Zweitschlagfähigkeit untergräbt und damit das strategische Gleichgewicht zerstört. Außerdem wird kritisiert, dass die USA mit dem 2.000 Kilometer weit reichenden THAAD-Radar China ausspionieren könnten.
Und diese Sorgen sind durchaus verständlich, sagt Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Denn die Raketenabwehr gefährde das System der gegenseitigen nuklearen Abschreckung, da es im Kriegsfall Vergeltungsschläge verhindere. Allerdings nur im Fall von China. Russland könne mit THAAD gut umgehen:
O-Ton Neuneck
„Der Unterschied zwischen China und Russland ist, dass Russland über sehr viele Sprengköpfe verfügt – 1.550 nach dem New-Start-Vertrag. China selbst – wenn wir jetzt das Verhältnis zwischen den USA und China betrachten – hat aber weitaus weniger strategische Streitkräfte. Und dementsprechend ist tatsächlich der Ausbau einer integrierten Raketenabwehr in Asien durchaus eine Bedrohung für China.“
Bereits heute gibt es Raketenabwehrsysteme wie Aegis und Patriot in Südkorea und Japan. Doch nachdem Nordkorea im Januar nach eigenen Angaben eine Wasserstoffbombe gezündet und wenig später erneut Raketen getestet hatte, stimmte Südkorea zu, das vom US-Rüstungskonzern Lockheed entwickelte THAAD-System zu stationieren. THAAD sei nötig, um eine Lücke in der Abwehr zu schließen, weil das System Raketen in viel größeren Höhen abfangen können soll, als die vorhandenen Systeme. Auf diese Weise sollen Südkorea, aber letztlich auch Japan und die US-Streitkräfte in beiden Ländern sowie die USA selbst besser geschützt werden. Kim Sung-woo, Mitarbeiter der südkoreanischen Präsidentin:
O-Ton Kim Sung-woo (overvoice)
„Der entscheidende Grund dafür, dass Südkorea sich für THAAD entschieden hat, ist die zunehmende Bedrohung durch Atombomben und Raketen aus Nordkorea. Die Raketenabwehr wäre nicht nötig, wenn es keine Bedrohung durch Nordkorea gäbe.“
Doch Südkorea zahlt einen hohen Preis für seine Entscheidung: THAAD gefährdet die Beziehungen zu China, seinem wichtigsten Handelspartner. Mikko Huotari vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin :
O-Ton Huotari
„Was wir bereits jetzt schon sehen ist, dass es ganz eindeutig zu einer massiven Abkühlung der diplomatischen Beziehungen zu Südkorea gekommen ist. Es gibt Aussagen, die andeuten, und zwar recht deutlich andeuten, dass man dann auch mit einer Art von wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen drohen würde oder bereits schon jetzt droht – das wird noch subtil formuliert. Aber es ist schon so, dass Südkorea natürlich in einer heftigen wirtschaftlichen Abhängigkeit von China steht.“
Dementsprechend war die Entscheidung für THAAD in Südkorea selbst sehr umstritten. Bis heute gibt es Widerstand in Parlament und Bevölkerung, Anwohner machen sich Sorgen wegen Radarstrahlen. Auch im Militär gab es Vorbehalte, denn Südkorea entwickelt derzeit auch ein eigenes Raketenabwehrsystem namens Korean Air and Missile Defense (KAMD). Doch THAAD ist bereits fertig entwickelt. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Seoul muss Südkorea nur eine Liegenschaft und die notwendige Infrastruktur dafür bereitstellen. Die US-Army wird das 1,3 Milliarden Dollar teure System auf eigene Kosten betreiben. Aufgestellt werden soll eine Batterie mit 48 Abfangraketen und sechs mobilen Startrampen. Ob das ausreicht und was ein solches Abwehrsystem im Ernstfall bewirken könnte, ist umstritten. Der Rüstungsexperte Neuneck:
O-Ton Neuneck
„Man kann eine Raketenabwehr, die immer nur eine begrenzte und sehr teure Verteidigungsalternative ist, dadurch umgehen, indem man eben einfach mehr Raketen produziert. Dann ist so ein System nicht mehr in der Lage, alle anfliegenden Sprengköpfe abzuschießen.“
China werde jedenfalls auf THAAD reagieren, ist sich Neuneck sicher. Er verweist auf die Möglichkeit, Mehrfachsprengköpfe zu verwenden, die schon im Kalten Krieg Raketenabwehrsysteme überwinden sollten:
O-Ton Neuneck
„Und dann bleibt China eigentlich nichts anderes übrig, als zusätzliche strategische Raketen zu bauen. Wir sehen jetzt schon, dass man auf klassische Strategien umschaltet, die Raketenabwehr ausschalten zu können. Das ist ganz einfach, indem man einfach mehrere Sprengköpfe auf eine Rakete montiert. Das passiert auch jetzt schon in China. Das heißt, die Zahl der Sprengköpfe könnte sich vervielfachen und die Zahl der Raketen, in die man dann investieren muss, könnte sich auch vergrößern.“
Und auch Nordkorea hat schon mit Gegenmaßnahmen gedroht, wenn THAAD aufgestellt werden sollte. So ist THAAD zwar eine Reaktion auf die Aufrüstung in Nordkorea, auf die Raketen und Atombomben, die das Regime in Pjöngjang unter Missachtung von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates testet. Die Stationierung des Defensivsystems führt aber seinerseits zu Gegenmaßnahmen. Selbst Mahnungen aus China ignoriert die nordkoreanische Regierung. Pekings Einfluss ist offenkundig sehr begrenzt. Zwar will China erklärtermaßen eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel. Zugleich hat Peking aber kein Interesse daran, dass das nordkoreanische System kollabiert und ein wiedervereinigtes Korea in den amerikanischen Einflussbereich gerät. So geht das Aufrüsten weiter. Der China-Experte Mikko Huotari:
O-Ton Huotari
„Wir sehen den Rüstungswettlauf schon in vollem Gange, auf konventioneller Ebene wie auf nicht-konventioneller Ebene, im Bereich von U-Booten und ähnlichem. Der Rüstungswettlauf ist in vollem Gange. Das ist tatsächlich eine besorgniserregende Entwicklung und THAAD hat das Potenzial, das ganze nochmal zu beschleunigen.“
Diplomatische Initiativen zu Rüstungskontrolle und Abrüstung auf der koreanischen Halbinsel hat es in den vergangenen Jahren dagegen kaum gegeben. Während Barack Obama in seinen zwei Amtszeiten zum Beispiel die Beziehungen zu Kuba verbessert und einen Neustart mit Russland zumindest versucht hat, fehlen entsprechende Initiativen zu Nordkorea. Götz Neuneck:
O-Ton Neuneck
„Die Obama-Administration hat sich nicht sehr angestrengt, mit Nordkorea ins Geschäft zu kommen. Das scheint man offensichtlich dem nächsten Präsidenten oder der nächsten Präsidentin zu überlassen.“
Der Rüstungswettlauf in der Region geht also vorerst weiter.
Autor: Dirk Eckert
MP3: http://media.ndr.de/progressive/2016/0910/AU-20160910-0822-3800.mp3