Zwischen den Fronten? Israels Rolle im Kampf gegen die Terror-Organisation Islamischer Staat

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 27.02.2016

NDR Radio

Der syrische Bürgerkrieg bedroht auch Israel, denn in Syrien stehen sich alte und neue Feinde des jüdischen Staates gegenüber. Das sind auf der einen Seite das Assad-Regime in Damaskus, das jahrelang die libanesische Hisbol-lah unterstützt hat. Gegen die Schiiten-Miliz hatte Israel zuletzt 2006 einen Krieg geführt, nachdem die Hisbollah zwei israelische Soldaten gekidnappt hatte. Unterstützung bekommen Assad und Hisbollah dabei von dem ebenfalls schiitischen Iran, dessen Regierung für antiisraelische Ausfälle berüchtigt ist.

Auf der anderen Seite stehen aber auch keine Israel-Freunde, sondern radikale Islamisten wie die Al-Nusra-Front, die zum Terrornetzwerk Al Qaida gehört. Und natürlich der sogenannte Islamische Staat, der es als erste Assad-feindliche Gruppe geschafft hat, ein größeres Territorium unter Kontrolle zu bringen. Zwar haben die Islamisten Israel bisher nicht angegriffen, obwohl die Al-Nusra-Front auf den Golan-Höhen israelischen Soldaten gegenübersteht. Doch das dürfte rein taktische Gründe haben. Der syrische Bürgerkrieg hat jedenfalls potenziell auch Auswirkungen auf Israel. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu machte das Dilemma Anfang Dezember in einer Botschaft an das sicherheitspolitische Saban-Forum des US-Think Tanks Brookings Institution deutlich:

O-Ton Netanjahu (overvoice)

„Die Gefahr wird für uns größer, wenn der militante Islam einen souveränen Staat bekommt. Denn durch den Staat kommt er an Geld, besonders durch Öl-Verkäufe. Und er bekommt die Macht, Waffen zu entwickeln oder zu erwerben – chemische Waffen wie im Fall des IS oder andere komplizierte Waffen. Oder er strebt nach Nuklearwaffen oder U-Booten oder Satelliten und verschiedene Raketen und Präzisionsraketen wie der Iran.“

Bisher hält sich Israel weitgehend aus dem Konflikt heraus, den israelische Soldaten von den Golan-Höhen aus gut im Blick haben. Bei gutem Wetter kann man von dort sogar die syrische Hauptstadt Damaskus sehen. Die israelische Regierung mache lediglich zwei Ausnahmen, erläuterte Netanjahu weiter: Israel versorge Verletzte aus Syrien. Und Israel greife militärisch ein, um Waffenlieferungen an die Hisbollah zu verhindern, räumte der Regierungschef offen ein. Von diesen zwei Ausnahmen abgesehen hält sich Israel aber grundsätzlich zurück, erläuterte Netanjahu:

O-Ton Netanjahu (overvoice)

„Unsere Position ist – meine Position ist – nicht zu intervenieren. Denn ein vom Islamischen Staat dominiertes Syrien ist schlecht – aber auch ein vom Iran dominiertes Syrien ist schlecht. Unsere Politik ist daher nicht, die einen auf Kosten der anderen zu stärken, sondern beide zu schwächen.“

Beide zu schwächen. Doch ganz so neutral, wie Netanjahu suggeriert, ist die israelische Regierung dann doch nicht. Verteidigungsminister Mosche Yaalon etwa machte kürzlich klar, dass er die schiitische, vom Iran unterstützte Seite für gefährlicher hält als den Islamischen Staat. Iran sei „unser Hauptfeind“, sagte er auf einer Konferenz des israelischen „Institute for National Security Studies“ (INSS). Wenn er sich entscheiden müsse, würde er – so wörtlich – „den IS präferieren“. In Israel wird befürchtet, dass die vom Iran unterstützte Hisbollah in Syrien Kampferfahrung sammelt und somit gestärkt aus dem Bürgerkrieg hervorgeht, wo sie weniger wie eine Terrorgruppe agiert, sondern eher wie eine Territorialarmee.

Verwiesen wird auch auf das Raketenarsenal der Hisbollah. Im Kriegsfall könnte die Miliz den Norden Israels mit geschätzten 100.000 Raketen terrorisieren. Mit mehreren tausend Raketen könne sie sogar Tel Aviv erreichen und damit den Internationalen Flughafen Ben Gurion lahmlegen. Auch Netanjahu warnte im vergangenen Herbst in New York vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen vor allem vor dem Iran und dem Atomabkommen.

O-Ton Netanjahu (overvoice)

„Iran will zwei neue Terror-Fronten gegen Israel eröffnen. Das Land hat ver-sprochen, den Palästinensern in der Westbank Waffen zu schicken, und schickt Generäle der Revolutionären Garden auf die Golan-Höhen, von wo aus seine Agenten kürzlich Raketen auf Nord-Israel abgefeuert haben. Israel wird weiter konsequent auf jede Attacke aus Syrien antworten. Israel wird weiterhin die Weitergabe von strategischen Waffen an die Hisbollah von und über syrisches Territorium verhindern.“

Aktuell bereitet Israel die Lieferung von modernen russischen S-300-Flugabwehrraketensystemen an den Iran Sorge. In Griechenland trainiert die Luftwaffe deshalb, wie diese Systeme überwunden werden können. Außerdem will Israel das modernste F-35-Kampfflugzeug der USA beschaffen. Es heißt, die Maschinen könnten die Raketen des S-300-Flugabwehrsystems täuschen.

Doch trotz der Meinungsverschiedenheiten mit Russland wegen der Waffenlieferungen an den Iran hat sich Netanjahu im September bei einem Besuch in Moskau mit der russischen Regierung auf ein Verfahren verständigt, um Zusammenstöße zwischen israelischen und russischen Flugzeugen im syrischen Luftraum zu verhindern. Eingerichtet wurde eine Hotline zwischen dem israelischen Luftwaffenkommando und dem syrischen Luftwaffenstützpunkt bei Latakia. Dort sind die russischen Kampfflugzeuge stationiert. Es heißt, dieser heiße Draht habe schon Erfolge gezeigt, beispielsweise als ein russisches Flugzeug im Oktober in den israelischen Luftraum eingedrungen war. Nach Rücksprache russischer und israelischer Militärs am Boden drehte die Maschine wieder ab.

Doch ist diese Fixierung der Regierung in Jerusalem auf den Iran wirklich im israelischen Interesse? Tatsächlich ist es offenbar nur noch eine Frage der Zeit oder Gelegenheit, wann die Terror-Organistion Islamischer Staat auch Israel angreifen wird. Möglicherweise auch an neuen Fronten, etwa im Gaza-Streifen, im Westjordanland oder auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel, wo die Islamisten schon länger aktiv sind. Jedenfalls hat der selbsternannte Kalif des IS schon vor einiger Zeit Attacken gegen Israel angekündigt. In einer ihm zugeschriebenen Audio-Botschaft drohte er kürzlich, Palästina sei nicht das Land der Juden, Palästina würde ihr Grab werden.

Der syrische Machthaber Assad ist zwar ein Verbündeter des Iran. Doch unter seiner Herrschaft war es immer ruhig an der Grenze auf dem Golan. Damaskus bestand zwar auf Rückgabe des 1967 von Israel besetzten Höhenzuges. De facto reichte aber eine kleine rund 1.000 Soldaten starke UN-Truppe, um den Frieden über 40 Jahre zu sichern. In Israel ist es vor allem die kleine Minderheit der Drusen, deren Angehörige auch im Libanon und Syrien leben, die der israelischen Regierung vorwirft, sie unterstütze mit der Versorgung Verwundeter die islamistischen Rebellen und damit die falsche Seite.

Im israelischen Sicherheitsestablishment wird die Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat inzwischen offen diskutiert. Auf der Jahreskonferenz des Institute for National Security Studies“ (INSS) im Januar sagte dessen Mitarbeiter Yoram Schweitzer, Mitherausgeber einer gerade erschienen, mehrere hundert Seiten starken Studie, auch Israel beobachte den Islamischen Staat kritisch:

O-Ton Schweitzer (overvoice)

„Wie Al Qaida, so ist auch der IS ein globales Problem. Solange Israel nicht direkt angegriffen wird, sollten wir uns sehr zurückhalten. Zugleich sollten wir uns auf die Zukunft vorbereiten. Denn eines Tages werden der Islamische Staat und seine Ableger Israel angreifen: in Israel, an unseren Grenzen, ganz sicher außerhalb. Deshalb sehen wir genau hin. Wir lernen, wir versuchen, das Phämomen zu verstehen. Wir versuchen, die größten Risiken zu identifizieren. Wir müssen Prioritäten setzen, weil wir viele Feinde haben. Manche sind stärker, manche sind gefährlicher, manche sind akuter. Wir beobachten aber auch die innerisraelischen Verhältnisse. Wir haben Dutzende Einheimische, die fasziniert sind vom IS und sich ihm anschließen wollen. Vor daher ist das für uns in dieser Situation der richtige Weg.“

So streiten in Israel gegenwärtig zwei Strömungen: Die einen halten den Iran nach wie vor für die Hauptbedrohung. Der sogenannte Islamische Staat ist für sie eine lästige, aber beherrschbare Gefahr, eine kleine Terror-Miliz, mit der die Streitkräfte schon fertig würden. Die anderen warnen, dass die Gefahr durch den Islamischen Staat zwar nicht übertrieben, aber eben auch nicht unterschätzt werden sollte. So nannte Anfang des Monats ein hoher israelischer General den IS erstmals ausdrücklich einen Feind und gefährlichen Gegner, auch wenn der Iran die größte Bedrohung sei. Israel sei praktisch längst Teil der internationalen Koalitionen gegen den IS und tausche entsprechende Geheimdienstinformationen mit Verbündeten aus, teilte er der Öffentlichkeit mit. In Jerusalem scheint man sich der zunehmenden Bedrohung durch die derzeit aktivste und erfolgreichste Islamisten-Gruppierung des Nahen Ostens langsam bewusst zu werden.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript568.pdf

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20160226-1335-0300.mp3